In den vergangenen fünf Jahren wurden im Waldlabor der ETH Zürich (auf dem Hönggerberg) jede Woche Bodenwasserproben genommen und auf stabile Isotope analysiert. Ziel der Bemühungen war es, Rückschlüsse auf Alter, Herkunft und die involvierten hydrologischen Prozesse zu ziehen. Das Ergebnis ist ein eindeutiger «Fingerabdruck» des Wassers. Die involvierten Forscherinnen und Forscher haben jetzt ein erstes Fazit gezogen und die Daten bestätigen, was unter Hydrologen als das «Altes Wasser-Paradox» bekannt sei: In den Bodenproben findet sich vor allem «altes Wasser», das seit Monaten oder Jahren im Boden gespeichert ist, und nur sehr wenig neues Wasser aus kürzlich gefallenen Niederschlägen. Eine Messreihe mit Proben zwischen April 2020 und April 2023 zeige: Selbst in zehn Zentimetern Bodentiefe sind nur ein Drittel des gespeicherten Wassers jünger als drei Wochen.
Diese Erkenntnis gilt nicht nur für den beobachteten Waldboden, sondern auch für den rund 200 Meter entfernten Holderbach. Dort hat Marius Floriancic, Oberassistent am ETH-Institut für Umweltingenieurwissenschaften, am Ufer einen Autosampler installiert, der alle sechs Stunden eine Wasserprobe nimmt. Das «Alte Wasser-Paradox» zeige sich auch hier. Selbst nach einem heftigen Gewitter sei der Grossteil des Wassers im Holderbach älter als einen Monat. Und über ein Jahr hinweg seien lediglich 14 Prozent des Abflusses jünger als einen Monat. Der Rest kommt aus dem Boden, wo das Wasser mindestens einen Monat lang gespeichert war.
Die Beobachtungen zum Alter des Wassers auf dem Hönggerberg bestätigten sich auch in den Alpen. Wasserproben von 32 Einzugsgebieten in den Alpen zeigten: Durchschnittlich 93 Prozent des abfliessenden Wassers in den Alpenflüssen war älter als einen Monat. Nur ein geringer Teil stammte aus aktuellen Regenfällen und der Schneeschmelze. «Solange die Poren im Boden mit altem Wasser gefüllt sind, versickert neues Wasser über Wurm- oder Wurzellöcher rasch in die Tiefe und ins Grundwasser», erklärt Floriancic. Solche Erkenntnisse können Hochwasserschutz-Planungen verbessern.
Neben dem Blätterdach, so die Forschungsergebnisse, sei auch die Bodenbedeckung für die Waldhydrologie von Bedeutung. «Lange gingen Hydrologen davon aus, dass etwa drei bis vier Prozent der Niederschläge in der Bodenbedeckung zurückgehalten werden – und diese Schicht damit weitgehend vernachlässigbar ist», so Floriancic. Seine Messungen ergaben jedoch ein anderes Bild: Rund 18 Prozent des Niederschlags werden in der Streuschicht und im Totholz gespeichert. Rechnet man die rund 20 Prozent des Niederschlags hinzu, die in den Blättern der Baumkronen hängen bleiben und wieder in die Atmosphäre verdunsten, so gelangen von 1000 Millimetern Niederschlag nur 600 Millimeter tatsächlich in den Boden.
Angesichts des Klimawandels stellt sich die Frage, welche Bäume in Zukunft besser mit der Situation umgehen können. Laut Floriancic hat die Forschung keine eindeutigen Antworten auf diese Frage, aber fünf Jahre Forschung vermitteln einige praxisrelevante Erkenntnisse: «Der Bodenaufbau und die Bodenqualität sind zentral für die Wasserspeicherung. Je mehr organische Substanz im Boden ist, desto höher ist die Speicherkapazität für Wasser.» Insofern sei es nicht nur für die Artenvielfalt wichtig, möglichst viel Totholz im Wald zu belassen, sondern auch für den Wasserhaushalt.
Wie systematische Messungen eines Studenten zeigen, bleibt darin viel Feuchtigkeit gespeichert. Zudem ist es für den Wasserhaushalt vorteilhaft, verschiedene Baumarten miteinander zu kombinieren, da ihre Wurzeln in unterschiedlichen Tiefen an das Bodenwasser gelangen und sich so weniger konkurrenzieren. Das heisst: Je grösser die Vielfalt im Wald, desto klimaresistenter ist er.
Publikationen und Ergebnisse aus dem hydrologischen Experiment im Waldlabor
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