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Fachartikel
29. April 2020

Interview mit Diego Modolell

«Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft»

Welche Rolle spielt der Wasserstoff für die Aktivitäten des SVGW? Und eröffnen sich mit ihm neue Möglichkeiten für die Energiewende 2050? Über diese und andere Fragen unterhielten wir uns mit SVGW-Vizedirektor Diego Modolell, Leiter des Bereichs Gas & Fernwärme.
  

Diego Modolell, hat die Coronakrise einen Einfluss auf die Energiewende 2050, was denken Sie?

Ja, momentan definitiv! Der weltweite CO2-Ausstoss und die globalen Emissionen an Treibhausgasen sind in den letzten Monaten massiv gesunken, unser berufliches und privates Verhalten ändert sich punktuell auch langfristig. Die Menschheit hat aber angesichts einer weltweiten Pandemie und Wirtschaftskrise sicherlich akutere Probleme als sich um die Energiewende zu kümmern. Erst wenn die Coronakrise überstanden und ein Teil der Normalität geworden ist, wird man sich zur Energiewende wieder vermehrt Gedanken machen.

Ein wichtiger Teil der aktuellen Aktivitäten des SVGW dreht sich um den Einsatz von Wasserstoff im Gas-Bereich: Was fasziniert Sie persönlich an Wasserstoff?

Wasserstoff hat das Potenzial, einer der wesentlichen Energieträger der Zukunft zu werden. Seine Energiedichte ist überzeugend – in Wasserstoff steckt etwa dreimal so viel Energie wie in Benzin. Beim Einsatz von Wasserstoff entstehen zudem keine lokalen CO2-Emissionen, sondern lediglich Wasserdampf. Regenerativ erzeugt leistet Wasserstoff so einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Wasserstoff ist zudem im Freien nicht explosiv, nicht selbstentzündlich, nicht brandfördernd und nicht giftig. 

Wo kommt der Wasserstoff in Wirtschaft und Gesellschaft überall zum Einsatz?

Haupteinsatzgebiete des Wasserstoffs sind heute vor allem industrielle Anwendungen. Künftig wird Wasserstoff aber eine noch grössere Rolle bei der Mobilität, der Wärmeproduktion oder der Energieerzeugung und -speicherung spielen.

Man unterscheidet beim Wasserstoff je nach Erzeugung verschiedene Farben. Können Sie uns dieses Farbenspektrum etwas erklären?

Gerne! Im Wesentlichen gibt es grünen, blauen, türkisen und grauen Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei für diese ausschliesslich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. Die Produktion von Wasserstoff erfolgt dabei CO2-frei, da der eingesetzte Strom zu 100% aus erneuerbaren Quellen stammt. Blauer Wasserstoff ist aus fossilen Brennstoffen, dessen CO2 bei der Entstehung abgeschieden und gespeichert wird. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte CO2 gelangt so nicht in die Atmosphäre und die Wasserstoffproduktion kann bilanziell als CO2-neutral betrachtet werden.

Und was bedeuten die Farben Türkis und Grau beim Wasserstoff?

Türkiser oder grauer Wasserstoff ist von seiner Ökobilanz her nicht gut für die Umwelt. Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. In der Regel wird bei der Herstellung Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt. Das CO2 wird anschliessend ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben und verstärkt so den globalen Treibhauseffekt. Die Farbe Türkis bedeutet, dass Wasserstoff über die thermische Spaltung von Methan hergestellt wird. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff.

Und auf welche Farbe setzt der SVGW?

Der Weg muss in Richtung grüner Wasserstoff gehen. Als Zwischenetappe ist vielleicht noch blauer Wasserstoff wahrscheinlich. Für die Gasnetze und -leitungen spielt es allerdings keine grosse Rolle, welchen Weg der Erzeugung der Wasserstoff hinter sich hat.

Welche Aufgaben, Rolle oder Funktion möchte der SVGW im Bereich des Wasserstoffs übernehmen?

Als Verband der Netzbetreiber und Gasversorger sehen wir unsere vorrangige Aufgabe darin, die Netzwerke und Leitungen für die Zukunft wasserstofftauglich zu machen. Heute liegt der Wasserstoff-Anteil in den Leitungen noch bei unter 2%. Mittelfristig streben wir bis zu zwanzig Prozent an. Langfristig wird es möglich sein, Leitungen mit noch höheren Mischungsverhältnissen zu betreiben. Gesamtheitlich betrachtet sollte man dabei auf eine Parallelentwicklung zwischen Mischnetzen von Methan und Wasserstoff sowie reinen Wasserstoffnetzen achten.

Bedeutet das für den SVGW bei seinen Hauptkompetenzen auch eine Anpassung seiner Regelwerke und seines Weiterbildungsangebots?

Ja, wir möchten einerseits das Kursangebot mit der Vermittlung von aktuellem Wissen betreffend Wasserstoff ergänzen und andererseits unser Regelwerk an aktuelle Anforderungen und Gegebenheiten in puncto Wasserstoff anpassen. Dies bedeutet eine Überarbeitung von Regelwerken wie zum Beispiel der G18 «Gasbeschaffenheit» oder der G13 «Einspeisung von erneuerbaren Gasen».

Und auf das Technische Inspektorat des Schweizerischen Gasfaches, das TISG, kommen sicherlich auch neue Aufgaben zu?

Hier gibt es einen Ausbau der Dienstleistungen, zum Beispiel die Inspektion von Wasserstoff-Tankstellen oder die Überprüfung wasserstofftauglicher Leitungen und Netze. Auch bei der Wasserstofferzeugung und Einspeisung werden Dienstleistungen entwickelt.

Gibt es für die Zukunft spezielle Arbeitsgruppen oder Projekte?

Ja, es gibt verschiedene Arbeitsgruppen. Unter anderem beteiligen wir uns an der Erarbeitung eines Entwurfs für eine europäische Normierung der Gasinfrastruktur bezüglich Wasserstoff- und Erdgas-Mix. Die Arbeiten hierfür werden im 3. Quartal 2020 starten.

Hat der SVGW einen Zeitplan für weitere Projekte? Oder existieren eventuell Meilensteine, die man in den kommenden Jahren erreichen möchte?

Für dieses Jahr haben wir das Projekt «Analyse der Wasserstofftoleranz der Verteilnetze» gestartet. Etwa dreissig Gasversorger der Schweiz haben sich bereits gemeldet. Das ist schon jetzt eine respektable Beteiligungsquote von fast dreissig Prozent. Erste Resultate erwarten wir hier im 3. Quartal 2020. Ausserdem möchten wir zusammen mit Partnern noch einen Leitfaden für einen sicheren Betrieb der Netze mit Wasserstoff erarbeiten oder verschiedene weitere Regelwerke überarbeiten. Für all dies haben wir innerhalb des SVGW mit internen und externen Fachleuten eine Arbeitsgruppe, die AG Wasserstoff, gebildet.

Dann sind Sie optimistisch, was den künftigen Einsatz von Wasserstoff bei der Gasversorgung anbelangt?

Ich bin überzeugt, Wasserstoff hat in der Gasversorgung bereits heute europaweit seinen Platz gefunden. Er ist Teil des «Green Deals» der Europäischen Union, also von Konzepten für eine ökologische Wende, und wird in Zukunft bei der Energieversorgung noch wichtiger werden.

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