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Fachartikel
09. Februar 2021

Interview

Patrik Rust: «ewl setzt auf Fernwärme aus Abwärme, Holz, Geothermie und auf Umweltwärme»

Der Energiedienstleister und Wasserversorger ewl energie wasser luzern ist in der Stadt Luzern zu Hause und in der Zentralschweiz aktiv. Das breite Angebot von ewl umfasst Strom, Erdgas, Wasser, Fernwärme, See-Energie, Telekommunikation sowie Energie- und Installationsdienstleistungen. Patrik Rust leitet zurzeit den Bereich Rohrnetz mit der Wasser-, Erdgas- und Wärmeinfrastruktur; ab Mai 2021 wird er als Vorsitzender der Geschäftsleitung ewl die Verantwortung für das ganze Unternehmen übernehmen. Im Interview legt er dar, wie sich Fernwärme/-kälte, Gas- und Wasserversorgung in Luzern und Umgebung entwickeln und wie ewl die Ziele der Dekarbonisierung und Digitalisierung in diesen Bereichen verfolgt.

Herr Rust, ewl engagiert sich momentan stark in Projekten zur Wärmeversorgung mit See-Energie. Wie sehen diese Projekte im Detail aus und was ist für die nächsten Jahre geplant?

ewl energie wasser luzern hat die See-Energie-Zentrale Inseliquai in Luzern komplett modernisiert und die See-Energie-Zentrale Seefeld in Horw neu erstellt. Beide Zentralen konnten Ende 2020 in Betrieb genommen werden und weisen dank ihrer ökologischen Wärmeversorgung Pioniercharakter auf. Die Zentrale in Luzern versorgt aktuell das Gebiet Bahnhof, diejenige in Horw ist für das neugebaute Wärmenetz in Horw und Kriens zuständig.
Beide Projekte haben gemeinsam, dass das Seewasser in einer Tiefe von rund 40 Metern entnommen und in grosskalibrigen Leitungen in die Zentrale an Land geführt wird. Die Energie des rund fünf Grad warmen Wassers wird mittels Wärmetauscher an ein Leitungsnetz übertragen. Von der See-Energie-Zentrale fliesst das Wasser in die Quartierzentralen. Dort erfolgt der Temperaturhub mit einer Wärmepumpe. Die grossen Herausforderungen beim Wärmen mit See-Energie liegen in den sehr kleinen Temperaturdifferenzen, die zur Verfügung stehen, sowie in der Nähe zum Gefrierpunkt.
Aufgrund des Klimawandels, der dichten Bauweise sowie vieler Gebäude mit grossen Glasflächen wird die Nachfrage nach Klimakälte ansteigen. Hierbei erweisen sich Kühlanwendungen aus See-Energie als Chance, da diese sehr ökologisch realisiert werden können.
Für die nächsten Jahre plant ewl die bisher gebauten Netze weiter zu verdichten und fortwährend neue Projekte zu entwickeln.

«Mittelfristig werden die bestehenden Wärmequellen nicht mehr ausreichen und neue Energiequellen
müssen erschlossen werden. Prioritär stehen dabei Holz und Geothermie im Fokus.»

ewl betreibt auch ein Fernwärmenetz. Was sind die Charakteristika dieses Netzes?

ewl hat bereits über hundert Millionen Franken in die Erstellung von Fernwärmenetzen investiert und somit die Basis für eine ökologischen und wirtschaftliche Wärmeversorgung gelegt. Die Nutzung von industrieller Abwärme ist nachhaltig, schont die Umwelt und reduziert den fossilen Energieanteil. Dank der Abwärme aus einer Kehrichtverbrennungsanlage (KVA Renergia in Perlen) und einem Walzwerk der Stahlindustrie (Swiss Steel AG in Emmen) müssen keine zusätzlichen Rohstoffe verbrannt werden. Dies ermöglicht ewl, den Kundinnen und Kunden ein nachhaltiges und preisstabiles Produkt anzubieten.

ewl plant den kontinuierlichen Ausbau des Fernwärmenetzes. Welche Schritte sind vorgesehen?

ewl plant die Wärmeversorgung mittelfristig vollständig zu dekarbonisieren. Damit dies gelingt, ist ein massiver Aus- und Zubau alternativer Technologien erforderlich. Der Fernwärme kommt dabei eine grosse Bedeutung zu, weswegen ewl kontinuierlich in den Ausbau der Netze investiert. Zum Erreichen der Ziele der Energiestrategie 2050 des Bundes und derjenigen der Stadt Luzern werden mittelfristig die bestehenden Wärmequellen nicht ausreichen; neue Energiequellen müssen erschlossen werden. Prioritär stehen dabei Holz und Geothermie im Fokus.

Was bedeutet der Ausbau der Fernwärme und der See-Energie künftig für das Gasnetz der ewl? Wie werden sich die Wärmenetze und das Gasnetz nebeneinander entwickeln?

Betriebswirtschaftlich betrachtet lohnen sich Parallelnetze nicht. Es ist somit essenziell, die Netze in der Planung aufeinander abzustimmen. Die Struktur der Gasnetze wird sich verändern. Heute sind diese bis an jedes Gebäude sehr fein verästelt. Zukünftig werden mit dem Gasnetz weniger, dafür grössere Verbraucher versorgt. ewl nennt diesen Vorgang bewusst nicht Rückbau, sondern Transformation der Gasnetze.


Aktuell erarbeitet ewl eine Dekarbonisierungsstrategie. Was sind die zentralen Elemente dieser Strategie und welche Rolle soll in Zukunft Gas spielen?

Der Kernpunkt der Strategie ist, die Wärmeversorgung vollständig erneuerbar zu gestalten. Die dazu notwendigen Technologien sind heute marktreif. Allerdings rechnet ewl mit einem hohen Kapitalbedarf von rund einer Milliarde Franken, um die dazu notwendige Infrastruktur aufzubauen. Somit ist auch die Finanzierung ein zentrales Element. Ziel ist es, diese Transformation aus eigener Kraft zu finanzieren und die Basis für zukünftige Erträge zu schaffen. Technologisch setzt ewl dabei vor allem auf Fernwärme aus Abwärme, Holz und Geothermie und auf Umweltwärme wie See- oder Grundwasser. In weniger dicht besiedelten Gebieten werden Nahwärmeverbünde oder dezentrale Lösungen in Betracht gezogen.
Gas wird auch in Zukunft ein Teil der Lösung sein: In den Wärmenetzen wird Gas künftig für die Spitzenlastabdeckung eingesetzt. Zudem ist es in gewissen Gebieten in der Stadt Luzern, wie zum Beispiel in der Altstadt, aus Platzgründen schwierig, neue Netze zu bauen. Überdies gibt es vor allem bei Hochtemperaturanwendungen wenig Alternativen zu Gas.
Ziel der neuen ewl-Wärmestrategie ist es, auch den fossilen Erdgasanteil sukzessive zu reduzieren und zu dekarbonisieren. Um dieses Ziel zu erreichen ist ewl einerseits an einer der grössten Biogasanlage der Schweiz beteiligt und anderseits verfolgt ewl aufmerksam die Power-to-Gas-Technologie.

Das Energiegesetz des Kantons Luzern kennt seit Anfang 2019 neue Anforderungen an die Sanierung von Erdgasheizungen. Wie sehen diese kantonalen Vorschriften aus und wie hilft ewl seinen Kunden, sie zu erfüllen?

Seit Anfang 2019 gelten im Kanton Luzern die MuKEn 2014. Ergänzend dazu wurde erreicht, dass auch Biogas anerkannt wird. Somit ist es möglich, weiterhin eine Gasheizung zu betreiben. Durch die neuen Vorschriften ist der Bedarf an Beratungen stark angewachsen. Entsprechend hat ewl in diesem Bereich Ressourcen aufgebaut mit dem Ziel, für jede Kundin und für jeden Kunden eine Lösung zu finden, wie die bestehende Heizung gesetzeskonform und wirtschaftlich erneuert werden kann.

«Die Struktur der Gasnetze wird sich verändern. Heute sind diese bis an jedes Gebäude sehr fein verästelt. Zukünftig werden mit dem Gasnetz weniger, dafür grössere Verbraucher versorgt.»

Neben der Dekarbonisierung will ewl auch bei der Digitalisierung voranschreiten. Was ist hierzu, vor allem in den Bereichen Gas, Fernwärme und Trinkwasser, geplant?

Grundsätzlich weist die Digitalisierung mehrere Dimensionen auf. Häufig geht es dabei um die Effizienzsteigerung der internen Prozesse. ewl stellt aber bewusst den Kundennutzen ins Zentrum. Aktuell rüstet ewl nicht nur das Stromnetz mit Smartmetern aus, sondern alle Netze. Der naheliegende Nutzen ist dabei die effiziente Auslesung der Zähler. Darüber hinaus macht sich ewl Gedanken, wie man aus den Daten zusätzliche Informationen zur Verfügung stellen kann, zum Beispiel die Detektion eines Leitungslecks oder die Alarmierung bei betagten Bewohnern, sobald sich deren Verhaltensmuster ändert.
Mit dem flächendeckenden Glasfasernetz, dem LoRa-Netzwerk oder den Rechenzentren stellt ewl die Basisinfrastruktur zu Verfügung, um eine schnellere und bessere Durchdringung der Digitalisierung im Raum Luzern zu ermöglichen.

Und noch zum Thema Wasserversorgung: Welche grossen Projekte wurden in den letzten Jahren abgeschlossen bzw. sind am Laufen?

Ein Meilenstein war sicher die Inbetriebnahme des Quellwasserwerks Sonnenberg im Jahr 2018. Dieses Werk ist in der Lage, täglich 30'000 Kubikmeter Wasser mehrstufig aufzubereiten. Das Herzstück bilden dabei die Keramikfilter. Diese sind sehr langlebig, weisen hohe Wasserdurchsätze (Durchfluss) auf und werden nur mit Wasser und Luft zurückgespült. Somit sind sie sehr effizient und kommen mit einem Minimum an Chemie aus. Dabei wird das Wasser nicht mit Pumpen durch das Werk gedrückt, sondern es wird ausschliesslich der hydrostatische Druck verwendet. Dazu wurde eine rund einen Kilometer lange Druckleitung durch den Sonnenberg gebohrt, welche das Wasser aufstaut. Damit reduziert ewl den jährlichen Strombezug um mehrere Hunderttausend Kilowattstunden.

«Grundsätzlich verfolgt ewl eine risikobasierte Erneuerungsplanung. Aufgrund der riesigen Datenmenge ist dies bei Leitungsnetzen nur softwareunterstützt möglich.»

Die Ausbreitung der Quagga-Muschel in einigen Schweizer Seen stellt die Nutzer von Seewasser vor neue Herausforderungen. Ist die Quagga-Muschel bereits im Vierwaldstättersee angekommen und wie bereitet sich ewl auf diese neue Herausforderung vor?

ewl betreibt drei Seewasserfassungen – eine Fassung für die Trinkwassergewinnung und die beiden See-Energie-Zentralen – und beschäftigt sich deshalb intensiv mit dieser Thematik. Regelmässig prüft und analysiert ewl Wasserproben auf Larven der Quagga-Muschel, konnte bis jetzt aber noch keine Larven finden. Der Vierwaldstättersee ist gut durchflossen, nährstoffarm und durch das Schmelzwasser der Voralpen eher kühl. Ob dies eine Ansiedlung der invasiven Muschel verhindern wird, ist aber unsicher. Bei den neuen Fassungen hat sich ewl deshalb intensiv mit mechanischen Reinigungsmöglichkeiten befasst und entsprechend in die Planung einfliessen lassen.

Für Betreiber mehrerer Netze wie ewl ist der Werterhalt der Infrastrukturen eine zentrale Aufgabe. Welchen Ansatz verfolgt ewl in Bezug auf Zustandserfassung, Instandsetzung und Werterhalt der Anlagen und Netze zur Wasser-, Gas und Wärmeversorgung? Welche Kennzahlen und Instrumente werden fürs Asset Management herangezogen?

Basis für jede Planung sind konsistente Daten. Deshalb achtet ewl darauf, diese möglichst korrekt nachzuführen, sei dies im GIS (Geografisches Informationssystem), ERP (Enterprise Resource Planning) oder in der Anlagenbuchhaltung. Grundsätzlich verfolgt ewl eine risikobasierte Erneuerungsplanung. Aufgrund der riesigen Datenmenge ist dies bei Leitungsnetzen nur Software-unterstützt möglich. Ewl setzt Programme ein, die nicht nur anhand von Altersangaben Ersatzzeitpunkte planen, sondern jedes Element wird auf seine Ausfallwahrscheinlichkeit und sein Schadensausmass bewertet. Durch diese differenzierte Methode konnten zum Beispiel im Bereich Trinkwasser die Schadenskosten, die durch Leitungsbrüche verursacht werden, um den Faktor drei verkleinert werden bei gleichbleibenden
Ersatzinvestitionen.
Für jede Netzinfrastruktur pflegt ewl ein Set an Kennzahlen. Dabei fliessen technische, betrieblich und finanzielle Aspekte zusammen. Beim letzten ERP-Wechsel wurde Wert daraufgelegt, bereits beim Datenmodell die Grundlage zu schaffen, um ein umfassendes Asset Management betreiben zu können. So wurden alle technischen Objekte integriert, um basierend darauf die Instandhaltung zu planen. Die Mitarbeitenden erhalten alle notwendigen Informationen auf ihr mobiles Gerät, das sie bei den Unterhaltsarbeiten immer mit sich tragen. Gleichzeitig fliessen Informationen wie Zeitaufwand, Materialbezüge oder Zustände automatisch zurück und helfen somit bei der weiteren Planung.

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