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Fachartikel
30. Juni 2022

Fernwärme-Forum

Der Takt macht die Musik

Am Jubiläums-Fernwärme-Forum 2022 spielte wie im Programm angekündigt die Musik: von Pop über Jazz bis Alphornklänge. Höhepunkt war der Auftritt von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Mit ihrem Musikwunsch «Beds are Burning» von Midnight Oil unterstrich sie die drohende Energie- und Klimakrise. Um die Realisierung von Fernwärmenetzen zu erleichtern, werde sie dem Bundesrat vorschlagen, dass für Fernwärme-Projekte, die durch Private initiiert werden, künftig keine öffentliche Ausschreibung mehr erfolgen muss.

(Ank) «Wir werden vieles, woran wir heute noch zweifeln, 2030 als normal empfinden», sagte Präsident Othmar Reichmuth, Präsident des Verbands Fernwärme Schweiz (VFS) zur Eröffnung des Fernwärme-Forums in der Bernexpo. Bundesrätin Simonetta Sommaruga sollte nur wenige Stunden später den Satz aufgreifen und nachdoppeln: «Wir werden die Veränderungen, die wir heute einleiten, nicht nur als normal empfinden, sondern als richtig und wichtig. Denn beim Ziel sind wir uns einig: Netto Null bis 2050.»

Beim Erreichen dieses Ziels spielt Fernwärme eine wesentliche Rolle. Die rekordverdächtige Zahl der Forumsteilnehmenden – knapp 400 –, der starke Zuwachs der VFS-Mitgliederzahl, der Ende 2021 vom Bund verabschiedete Bericht über das Potenzial Fernwärme- und Fernkälteanlagen, das aktuelle BFE-Projekt «Übersicht FW-versorgte Gebiete» sowie die geplante Charta, in die Inputs und Massnahmen gegossen werden, um den Ausbau thermischer Netze zu beschleunigen, weisen deutlich darauf hin: Bei der Fernwärme spielt ganz offensichtlich die Musik. Das wurde von Referat zu Referat und Diskussion zu Gespräch im Laufe des intensiven Programms des Fernwärme-Forums zum 20. Jubiläums immer wie klarer.

«Time is running out»

Begleitet vom weltuntergangsseligen Song «Time is runnig out», mit dem Muse vor bald zwanzig Jahren die Massen begeisterte, betrat Patrick Kutschera, Geschäftsführer EnergieSchweiz, BFE, das Rednerpodest. Waldsterben, Tschernobyl, schmelzende Gletscher, brennende Wälder, die Ölkatastrophe am Golf von Mexiko, Fukushima und nun der Ukrainekrieg – diese Collage machte den Muse-Song sehr schnell sehr passend. Denn schon heute muss antizipiert werden, betonte Kutschera, was die richtigen Entscheide sind, damit die Schweiz bis 2050 klimaneutral ist. Die fossilen mit erneuerbaren Energieträgern wie Biogas zu ersetzen, sei mengenmässig nicht möglich, zudem seien erneuerbare Gase wie grüner Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe aus Power-to-X-Prozessen nicht für die Komfortwärme vorgesehen, sondern für die Prozesswärme. Deswegen brauche es weitere Massnahmen, z.B gut gedämmte Gebäude mit wenig Wärmebedarf oder hohe Effizienz bei industriellen Prozessen. Fernwärme sei zwar keine Primärenergie, trotzdem gehe man in der Energiestrategie 2050+ davon aus, dass sich die thermischen Netze verdoppeln können. Um dies zu beschleunigen, arbeitet aktuell das BFE eine Wärmestrategie aus. Ein Entwurf liegt bereits vor: keine fossilen Heizungen ab 2030, einfache Verwaltungsverfahren, verstärkte Beratung und Kommunikation für Gebäudeeigentümer, Einrichtung eines nationalen Registers für den Import von grünem Wasserstoff. Zudem werde mehr auf gemeinsame Lösungen und weniger auf individuelle Lösungen gesetzt.

Zügig Wiener Walzer tanzen

Wie hätte es anders sein können? Die musikalische Untermalung von Gudrun Senks Auftritt erfolgte im Dreiviertel-Takt. Beim Walzer müsse man dynamisch sein, sich zügig bewegen, um im Takt zu bleiben – zudem brauche es einen Partner. Nur so lasse sich Walzer tanzen – und das ambitionierte Koalitionsprogramm Wiens, bis 2040 CO2-neutral zu werden, erreichen. Dazu sei eine Wärmewende unerlässlich: Dies bedeute Ausstieg aus fossilen Energieträgern für Heizung, Kühlung und Warmwasserbereitung, sagte Gudrun Senk von der Wien Energie GmbH. Dynamisch und zügig wie ein Walzer präsentierte sie die geplante Dekarbonisierung des Wiener Fernwärmesystems. Bereits heute werden ca. 40% des Wärmebedarfs über 1200 km Leitungen gedeckt. Diese auf 100% zu erhöhen und zudem den steigenden Fernwärme- und Fernkältebedarf zu decken, sei eine grosse Herausforderung. Ein Eckpfeiler der Strategie sei die Optimierung der Abwärmenutzung an den Erzeugungsstandorten. Auch die Erschliessung der Geothermiepotenziale könnte in Zukunft einen Drittel der Wärmeversorgung dekarbonisieren. Im Grunde bedeute Dekarbonisierung des Energiesystems die stetige Suche nach nachhaltigen Energiequellen und innovativen Wärme- und Kältelösungen, um fossile Technologien zu ersetzen, schlussfolgerte Senk. Aber auch mit weniger Energie auskommen, sprich effizienter werden, systematisch neue Technologien angehen und weiterentwickeln – einfach alles nehmen, was dienlich ist, und integrieren, legte sie zum Abschluss ihres Referats dem Publikum nahe.

Optimistische Karneval-Ouvertüre aus Basel

In Basel ist man optimistisch. Zumindest suggerierte dies Dvořáks Karneval-Ouvertüre, Claus Weplers gewünschte Auftaktmusik. Der Generalsekretär des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt des Kantons Basel-Stadt zeigte den frühen energiepolitischen Weg auf, den der Stadtkanton bereits in den 70er-Jahren einschlug. Auf die Totalrevision des Energiegesetzes 2017 folgten Schlag auf Schlag Vorstösse im Hinblick auf Fernwärme, CO2 und Klima. Mit dem Energierichtplan (ERP) von 2020 hat heute die Stadt ein Instrument zur Hand, mit dem sie konsequent und strategisch den Ausbau des thermischen Netzes vorantreiben kann. Im ERP ist festgelegt, welche Quartiere mit welchen Energieträgern versorgt werden sollen, resp. wo welche erneuerbaren Energieträger nutzbar sind aufgrund der Standorte von KVA, ARA, Industrie etc.

Bis 2035 müssen alle fossilen Heizungen in Basel abgeschaltet werden. Die Teilstilllegung des Gasnetzes verbinde sich somit ganz gut mit dem Ausbau des thermischen Netzes, denn eine doppelte Infrastruktur dürfe nicht sein, da schlicht zu teuer, begründete Wepler. Besitzer von Heizanlagen oder Küchengeräte, die 2035 noch nicht erneuerungsbedürftig sind, würden Entschädigungen erhalten. Auch werde es Übergangslösungen geben, wenn der Gasanschluss schon stillgelegt sei, aber die Fernwärme noch fern.

Fünfviertel-Takt für Generationen

Das von Silvia Banfi Frost ausgesuchte Jazzstück ist ein Evergreen. Aufgenommen Ende der Fünfziger ist Take Five bis heute die meistverkaufte Jazz-Single. Ein Generationenprojekt ist auch Zürichs Fernwärmenetz. Der Bau des Netzes sieht die Zürcher Energiebeauftragte als eine Voraussetzung, um das Netto-Null-Ziel der Stadt bis 2040 zu erreichen. Wichtig dabei: Der Bau muss jetzt erfolgen. Die dafür erforderlichen Investitionen sind beachtlich: 1,5 Mia. Franken. Ein Direktumstieg, also die Stilllegung des Gasnetzes, sobald ein Strassenzug mit Fernwärme erschlossen ist, werde in manchen Gebieten geprüft. Grundsätzlich sei ein Anschlusszwang zu vermeiden. Ein Anschluss soll aufgrund seiner Vorteile überzeugen. Dies erfordere eine gute Kommunikation und eine Abstimmung zwischen Leitungsbau und Heizungsersatz. Zudem müssen Übergangslösungen einfach und attraktiv sein.

Keine liebliche Sonate, sondern Rock aus Down Under

Angesichts der drohenden Energie- und Klimakrise sei ihr nicht nach lieblichen Sonaten, sondern nach lauten und deutlichen Tönen, begründete Bundesrätin Simonetta Sommaruga ihre Musikwahl. Die Songzeile «How can we sleep while our beds are burning?» von Midnight Oil bringe die akut hohe Dringlichkeit zu handeln klar zum Ausdruck.

Bei der zehnten Durchführung des Fernwärmeforum 2012 war ihre Amtsvorgängerin Doris Leuthard zu Gast. Das war ein Jahr nach Fukushima. Zehn Jahre später ist der Ukraine-Krieg, der das Jubiläumsjahr prägt. «Gravierende Ereignisse wie diese zeigen uns auf: Irgendeinmal kann man aus der Komfortzone katapultiert werden», meinte Sommaruga. Immer mehr Gemeinden und Städte würden sich Gedanken über ein Fernwärmenetz oder den Ausbau des Netzes machen. Gerade in dicht besiedelten Gebieten werde es immer attraktiver, Wärmeüberschüsse aus grossen Energie- und Kehrichtverbrennungsanlagen für das Heizen und das Warmwasser zu nutzen. Entscheidend dabei: «Die Bevölkerung zieht mit: Jüngere Beispiele dazu sind die Volks- und Exekutiventscheide zugunsten thermischer Netze in Basel, Zürich, Schaffhausen oder auch Genf, ich spreche da auch von deutlichen Entscheiden mit bis zu 84 Prozent Ja! Dass die Bevölkerung mitzieht, untermauert eine aktuelle Umfrage von GFS.bern im Auftrag des Verbands Schweizerischer Energieunternehmen. Diese zeigt: Für die Bevölkerung steht die Versorgungssicherheit zuoberst.»

Mit einer Charta und einem entsprechenden Programm wollen der Bund, die Kantone, Städte und Gemeinden die Zusammenarbeit festigen und den Netzausbau weiter vorantreiben. In einer ersten Analyse wurden die wichtigsten Hemmnisse erfasst, die jetzt abgebaut werden sollen. Die Vorsteherin des Uvek will eine Erleichterung konkret umsetzen: «Ich werde dem Bundesrat vorschlagen, dass für Fernwärme-Projekte, welche durch Private initiiert werden, künftig keine öffentliche Ausschreibung mehr erfolgen muss.» Dafür erntete sie spontanen Applaus. Im revidierten CO2-Gesetz sei zudem eine finanzielle Absicherung für Investitionen in den Neubau und Ausbau thermischer Netze vorgesehen. Die Bundesrätin anerkennt, dass die Branche in der Vergangenheit oft nicht nur mit schwierigen Fragen jonglieren musste, sondern auch mit unterschiedlichen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Erwartungen. Hinzu kamen Unklarheiten im Submissionsrecht, die Konkurrenz von Gasnetzen und anderen erneuerbaren Technologien wie Wärmepumpen. «Es waren keine einfachen 20 Jahre, und leider sieht es nicht so aus, als stünden einfache an. Aber gemeinsam werden wir vorwärtskommen», meinte Sommaruga, bevor sie zur Sommersession des National- und Ständerats zurückkehrte.

Von der Stadt in die Region

Mit Alphornklängen wurde übergeleitet von der Stadt in die Region, von grosser Planung zu konkreten Projektbeispielen. Den Auftakt machte Urs Gnehm, CEO Localnet, Burgdorf. Er zeigte auf, wie mit einer ARA als Quelle und einer Heizzentrale mit Wärmepumpe, Gaskessel und BHKW zwei Gemeinden mit Fernwärme versorgt werden können. Und dies mit einem COP-Wert von über vier.

Bernard Thissen von Soltop Energie SA in Siders stellte das ICESOL-System vor. Es ist eine Kombination von intelligenten Sonnenkollektoren, so genannten Hybridkollektoren, Wärmepumpen und Eisspeicher im Phasenwechsel.

In Gland fällte der Verwaltungsrat der Societé Èlectrique Intercommunale de la Côte SA (SEIC) 2006 die strategische Entscheidung, ins Fernwärmenetz auf Basis erneuerbarer Energien zu investieren. Drei Jahre später wurde für das Wärmenetz der Gemeinde Begnins ein Holzkraftwerk in Betrieb genommen, ein Jahr darauf ein weiteres für das Wärmenetz von Burtigny. Da für den Bezirk Nyon Holz nur 25% des Wärmebedarfs decken würde, galt es, alternative Quellen zu suchen. Eine Studie zum geothermischen Potenzial der Gegend war vielsprechend. Im Juni 2021 wurde das Forschungsvorhaben bewilligt, kommenden September ist Bohrbeginn in Vinzel. Resultate sollten Ende Jahr vorliegen.

Patrick Dewarrat, RWB Group SA, und Daniel Gasser, CSD Ingénieurs AG, zeigten gemeinsam auf, wie im Unterwallis und in der Waadt existierende Infrastrukturen sowie laufende Projekte nutzbar gemacht werden können, um aus den fossilen Energien auszusteigen. Wie hoch die maximale Abwärmenutzung ist, und wie die Quellen bei Bedarf gebündelt werden können. Das Potenzial ist ergiebig und vielfältig. Allein bei der SATOM – ein Unternehmen, das in der Abfallverwertung, Abfallvergärung und Erneuerbaren tätig ist – sind 15 MW Abwärme verfügbar, weitere 4 MW Wärme aus ARA, für die Kälte liegen 5 MW drin (Rhone-Grundwasserleiter). Für den Strom sorgt ein Abwasserkraftwerk sowie Photovoltaik auf grossflächigen Dächern. Um diese Ressourcen bestmöglich zu verwerten, brauche es ein flexibles Energiekonzept, ein Multienergienetz.

Wetter, Unwetter – oder Klimawandel?

Wetter sei «nur» umgesetzte und sichtbar gemachte (Fern-Wärme-)Energie, meinte Überraschungsgast Thomas Bucheli von SRF Meteo. Mit seinem ungeheuren Fachwissen beeindruckte er höchst unterhaltsam das Publikum. Zur Belustigung aller gab er am Ende seines Referats den Muotathaler Wetterschmöcker einen Tipp: «Prognostiziert, dass es wärmer und nicht kühler wird, dann steigt die Verlässlichkeit!»

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