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Fachartikel
06. Januar 2021

Landesweite Studie

Quecksilber im Schweizer Abwasser

In einer landesweiten Studie wurde Quecksilber in Abwässern und Klärschlämmen analysiert, jährliche Gesamtmengen des abwasserbürtigen Quecksilbers ermittelt und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben überprüft. Ebenso wurde die durchschnittliche Fracht pro Einwohner und der Beitrag der Abwasserreinigungsanlagen zur Quecksilberbelastung der Oberflächengewässer ermittelt. Auf nationaler Ebene waren diese Kennzahlen bisher nicht bekannt.
Michael Berg , Elke Suess, Lara Cayo, Sylvain Bouchet, Stephan Hug, Ralf Kaegi, Andreas Voegelin, Lenny H. E. Winkel, Andreas M. Buser, 

Quecksilber (Hg) ist weltweit als prioritĂ€rer Schadstoff eingestuft. Die maximale Hg-Gesamtkonzentration (THg) in OberflĂ€chengewĂ€ssern ist in der Schweiz gesetzlich auf 30 ng/l [1] und in den USA auf 50 ng/l [2] festgelegt. In der EU betragen die UmweltqualitĂ€tsnormen 70 ng/l fĂŒr kurzfristige Belastungen in OberflĂ€chengewĂ€ssern und 20 mg/kg in der Biota fĂŒr langfristige Belastungen [3]. Um die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor anthropogenen Emissionen und Freisetzungen von Quecksilber und Quecksilberverbindungen zu schĂŒtzen, wurde 2013 das globale Minamata-Übereinkommen formuliert [4]. Zu den Hauptzielen der Konvention gehören die Identifizierung, Quantifizierung, Kontrolle und Reduktion der Hg-Emissionen sowie ein besseres VerstĂ€ndnis relevanter Transport- und Transformationsprozesse [4].
Abwasserreinigungsanlagen (ARA) spielen eine SchlĂŒsselrolle bei der Begrenzung der Einleitung von Hg in die aquatische Umwelt, sie können aber auch bei der Identifizierung von Emissionsquellen helfen. Neben direkten industriellen (global 168 t/Jahr, geschĂ€tzt fĂŒr 2010) und hĂ€uslichen Abwassereinleitungen (global 48 t/Jahr, geschĂ€tzt fĂŒr 2010) waren ARA in der Vergangenheit relevante Hg-Emissionsquellen fĂŒr OberflĂ€chengewĂ€sser [5]. ZusĂ€tzlich wurden Emissionen aus der Landwirtschaft, von SpitĂ€lern, Zahnarztbetrieben, Forschungsinstituten, aus HausmĂŒll, von Deponiesickerwasser, aus der StrassenentwĂ€sserung sowie aus der Chemie-, Zement- und Metallindustrie als Quellen identifiziert [6]. In den letzten 20 Jahren wurden die meisten dieser Quellen aufgrund strengerer Vorschriften deutlich reduziert.
In Studien aus Schweden, Grossbritannien, der Schweiz, Österreich, Deutschland und Brasilien wurden im KlĂ€rschlamm (Faulschlamm) THg-Konzentrationen zwischen 0,4 und 7 mg/kg gemessen [7–9]. Die Hg-Gehalte im KlĂ€rschlamm sind relevant, da in vielen LĂ€ndern immer noch ein grosser Teil des KlĂ€rschlamms zur landwirtschaftlichen DĂŒngung verwendet wird, beispielsweise ~60% in den USA oder ~47% in der EU [7]. In der Schweiz darf KlĂ€rschlamm seit 2006 nicht mehr als DĂŒnger genutzt werden (Fig. 1). Stattdessen wird er in KlĂ€rschlammverbrennungsanlagen, Zementwerken und Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt, und die RĂŒckstĂ€nde aus der Rauchgasreinigung werden fachgerecht entsorgt [10, 11].
Die Speziierung von Hg ist fĂŒr die ToxizitĂ€t von Bedeutung. Bereits geringe Mengen an Methyl-Hg (MeHg) können durch Bioakkumulation ökotoxikologische Effekte herbeifĂŒhren und ĂŒber die Nahrungskette auch den Menschen gefĂ€hrden [12]. Daher wird den methylierten Hg-Verbindungen spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. In frĂŒheren Studien konnte MeHg im Abwasser nachgewiesen werden mit Konzentrationen von 0,4 bis 7,5 ng/l im Rohabwasser und bis zu 2 ng/l im gereinigten Abwasser [13].
Basierend auf den verfĂŒgbaren Studien ist anzunehmen, dass ARA dank ihrer hohen RĂŒckhalteffizienz keine wichtige Hg-Quelle fĂŒr OberflĂ€chengewĂ€sser darstellen. Es fehlen aber umfassende nationale Studien, um diese Annahme solide zu untermauern. Die geografische Beschaffenheit der Schweiz ist jedoch bestens geeignet, um den Beitrag von ARA zur Hg-Belastung von OberflĂ€chengewĂ€ssern zu quantifizieren, da fast die gesamte Schweiz (∌98%) an ARA angeschlossen ist und alle grossen FlĂŒsse ihren Ursprung innerhalb der Landesgrenzen haben [14].
In der vorliegenden Studie wurden 28 reprĂ€sentative ARA der Schweiz untersucht und die THg-Konzentrationen im Rohabwasser und im gereinigten Abwasser sowie die THg-Konzentrationen und die Hg-Speziierung in KlĂ€rschlamm bestimmt. DarĂŒber hinaus wurde in der grössten ARA der Schweiz, der ARA ZĂŒrich-Werdhölzli, eine detailliertere Studie durchgefĂŒhrt, um die Hg-Konzentrationen und -Frachten innerhalb der ARA entlang der Reinigungsstufen zu bestimmen. Mit diesem umfassenden Datensatz wurden schliesslich

  • die Gesamt- und Pro-Kopf-Frachten von THg ermittelt,
  • die Hg-RĂŒckhalteffizienz bestimmt und
  • der abwasserbĂŒrtige THg-Eintrag in die OberflĂ€chengewĂ€sser abgeschĂ€tzt.

UNTERSUCHUNGSMETHODEN

Probenahme

Die Standorte und Einzugsgebiete der untersuchten ARA sind in Figur 2 ersichtlich. 2016 wurden THg-Konzentrationen im KlĂ€rschlamm von 64 ARA voruntersucht [15]. Darauf aufbauend wurden 28 ARA aufgrund ihrer unterschiedlichen Grösse sowie unterschiedlicher Einzugsgebiete (stĂ€dtisch, lĂ€ndlich, industriell) fĂŒr die vorliegende Studie ausgewĂ€hlt. Die charakteristischen Eigenschaften dieser ARA sind im Annex von Suess et al. [9] aufgefĂŒhrt. Diese 28 ARA reinigen das Abwasser von 2,6 Mio. Einwohnern, was rund 31% der Schweizer Bevölkerung (2017: 8,4 Mio.) entspricht. Im Juni 2017 wurde in allen Anlagen Rohabwasser, KlĂ€rschlamm und gereinigtes Abwasser beprobt. Die rohen AbwĂ€sser (Zulauf) wurden nach Grobrechen und Sandfang als 24-h-Sammelprobe entnommen, die gereinigten AbwĂ€sser nach dem letzten Filtrationsschritt (Ablauf). Der KlĂ€rschlamm wurde im zweiten Faulungsprozess beprobt und hatte ein durchschnittliches Alter von 26±11 Tagen [9]. Die prĂ€sentierten Hg-Konzentrationen im KlĂ€rschlamm beziehen sich immer auf die Trockenmasse.
Eine detaillierte Studie wurde im August 2017 in der ARA ZĂŒrich-Werdhölzli durchgefĂŒhrt, um die Konzentrationen, Speziierung und RĂŒckhaltung von Hg entlang der Reinigungsstufen zu bestimmen. ZusĂ€tzlich wurden die Tagesschwankungen der Hg-Konzentrationen anhand einer einwöchigen Probenahmekampagne ermittelt. Dazu wurden tĂ€glich 24-h-Sammelproben von rohem und gereinigtem Abwasser gesammelt und am letzten Tag mehrere Stichproben entlang der Reinigungsstufen entnommen.

Probenaufbereitung

Gelöste Hg-Konzentrationen wurden nach Filtration (0,22 ”m, Nylon, BGB) und AnsĂ€uerung mit 1% HCl analysiert. Die Gesamtkonzentrationen im (trĂŒben) Abwasser wurden nach einem mikrowellenunterstĂŒtzten Aufschluss mit Aqua regia und Wasserstoffperoxid bestimmt. Die maximale Aufschlusstemperatur wurde auf 110 °C begrenzt, um Hg-Verluste durch VerflĂŒchtigung zu vermeiden [9]. Die gereinigten (klaren) AbwĂ€sser wurden ungefiltert direkt angesĂ€uert. Die KlĂ€rschlammproben wurden gefriergetrocknet, homogenisiert und Ă€hnlich wie die AbwĂ€sser (aber ohne H2O2 wegen exzessivem SchĂ€umen) im Mikrowellenofen aufgeschlossen. Die Effizienz der Mikrowellenextraktion lag im Schnitt bei 94±8 Prozent.

Analytik

THg im rohen und gereinigten Abwasser sowie im aufgeschlossenen KlĂ€rschlamm wurde mittels ICP-MS (ICP-QQQ, Agilent 8900) bestimmt. Zur Messung wurden die Hg-Isotope 201Hg und 202Hg im Kollisions- und im Reaktionsmodus aufgezeichnet, mit Helium oder Sauerstoff zur Beseitigung von Interferenzen. Die Nachweisgrenzen lagen bei 0,3 ng/l in gereinigtem Abwasser und bei 0,11 ng/g im KlĂ€rschlamm. Die Speziierung von Monomethylquecksilber (MMHg) erfolgte mittels IsotopenverdĂŒnnungs-Gaschromatographie-ICP-MS (LOD 0,1 ng/g). Die Wiederfindungen von THg und MMHg betrugen 92–112%. Die vollstĂ€ndigen Angaben zur Analytik sowie deren Leistungsmerkmale und QualitĂ€tssicherung sind in Referenz [9] beschrieben.

ERGEBNISSE

Konzentrationen und Frachten
Rohabwasser

Die THg-Konzentrationen in den RohwasserzulĂ€ufen der 28 ARA (Wasser und Schwebstoffe) deckten mit Konzentrationen von 9 bis 750 ng/l zwei Grössenordnungen ab, der Durchschnitt lag bei 110 ng/l (Tab. 1, Fig. 3a). Die in der Wasserphase effektiv gelösten Anteile waren 0,6 bis 59 ng/l und machten 1 bis 27% des THg aus (durchschnittlich 7%). Die in den ZulĂ€ufen der ARA ermittelten Gesamtfrachten von THg beliefen sich auf < 0,05 bis 39,5 g/Tag (Durchschnitt 4,8±7,7 g/Tag), bei Gesamtschwebstoff-Frachten von 150 bis 52 100 kg/Tag.
Die Schweizer ARA mit den höchsten Hg-Konzentrationen haben einen hohen Anteil an Industrieabwasser (z. B. La Chaux-de-Fonds [ChdF], Visp, Vernier [VERN], Vevey [VEV], Chur) und entsprechend höhere Pro-Kopf-Frachten (Fig. 3a und c). Es bedarf weiterer Untersuchungen, ob diese Werte mit Emissionen aus der chemischen Industrie, der Uhren- und Schmuckindustrie oder mit anderen Quellen zusammenhĂ€ngen.

Gereinigtes Abwasser

Die THg-Konzentrationen im gereinigten Abwasser lagen zwischen < 0,3 ng/l und 92 ng/l (Mittelwert 8±20 ng/l) (Tab. 1, Fig. 3a). Dieser Konzentrationsbereich ist vergleichbar mit auslĂ€ndischen Studien von ARA mit hoher RĂŒckhalteeffizienz [9]. Die THg-Frachten in gereinigtem Abwasser reichten von 3 bis 950 mg/Tag. FĂŒr den Eintrag von Hg aus ARA in OberflĂ€chengewĂ€sser lĂ€sst sich daraus fĂŒr die Schweiz eine Gesamtfracht von 13±1,3 g THg/Tag und eine Pro-Kopf-Fracht von 1,6±0,16 ”g THg/Kopf/Tag ableiten (Tab. 1). Die Hg-RĂŒckhalteffizienz der beprobten ARA reichte von 85 bis 99,7% und lag im Durchschnitt bei 96±4%, was auf eine insgesamt effektive Hg-Entfernung aus dem Abwasser hinweist.

Konzentrationen und Speziierung im KlÀrschlamm

Die 28 KlĂ€rschlĂ€mme von 2017 wiesen THg-Konzentrationen zwischen 320 und 1400 ng/g (Median 674 ng/g, Mittelwert 720±280 ng/g) auf (Fig. 3c) [9]. FĂŒr die 64 im Jahr 2016 untersuchten ARA lagen die THg-Werte zwischen 160 und 2600 ng/g (Median 445 ng/g, Mittelwert 520±380 ng/g) (Fig. 2). Bei den sowohl 2016 als auch 2017 beprobten ARA war die Differenz der beiden THg-Konzentrationen durchschnittlich ~20%, wobei sich bei 16 der 28 ARA die Konzentrationen weniger als 10% unterschieden. Dies zeigt, dass die Hg-EintrĂ€ge in die ARA in der Regel relativ konstant sind, was von Vriens et al. auch fĂŒr viele andere Spurenelemente gezeigt wurde [15]. DarĂŒber hin-aus stimmt der gemessene Bereich von THg gut ĂŒberein mit KlĂ€rschlamm-Langzeit-Messreihen der Schweizer Kantone sowie mit Literaturdaten aus europĂ€ischen LĂ€ndern (~100–3000 ng/g) [9, 16–18]. Die MMHg-Konzentrationen reichten von < 0,1 ng/g (DL) bis 8,6 ng/g (Median 0,7 ng/g, Mittelwert 1,6±2,2 ng/g), was bis zu 0,8% des THg entspricht und mit internationalen Studien vergleichbar ist [9, 13].

VariabilitĂ€t ĂŒber die Stufen der Abwasserbehandlung

Im Rohabwasser der ausfĂŒhrlich untersuchten ARA ZĂŒrich-Werdhölzli variierte THg innerhalb einer Woche zwischen 29 und 73 ng/l, mit den höchsten Konzentrationen an Arbeitstagen. Entlang der Reinigungsstufen nahm THg kontinuierlich ab von anfĂ€nglich 52±16 ng/l im Rohwasserzulauf, 22±2 ng/l nach der VorklĂ€rung, 9±2 ng/l nach dem NachklĂ€rbecken, zu schliesslich < 0,3 ng/l (DL) im gereinigten Abwasser (Fig. 4). Die höchsten THg-Konzentrationen (203±56 ng/l) wurden im RĂŒcklaufschlamm gemessen. Wie in Figur 4 ersichtlich, bewirkt dieser Kreislauf eine ungefĂ€hr 5-fache THg-Anreicherung in der biologischen Reinigungsstufe (Bioreaktor) gegenĂŒber der VorklĂ€rung.
Von den untersuchten Feststoffen waren die Schwebestoffe der VorklĂ€rung am stĂ€rksten mit THg belastet (416±28 ng/g). Diese im VorklĂ€rbecken abgesetzten Schwebstoffe machen den grössten Anteil der THg-Konzentration im entwĂ€sserten KlĂ€rschlamm aus (465±40 ng/g). In der biologischen Reinigungsstufe, bei der Nitratreduktion (Denitrifikation) und der Phosphorreduktion durch EisenfĂ€llung, sanken die THg-Konzentrationen der Schwebstoffphase auf ein Drittel (163±3 ng/g). Die niedrigsten THg-Konzentrationen unter den Feststoffen wurden im Fett (72±11 ng/g) gemessen. Die MMHg-Konzentrationen lagen bei 0,2–1,6 ng/g (0,1–0,8% des THg) (Fig. 4), was im selben Bereich wie bei den anderen untersuchten ARA liegt.
Die Verbrennungsanlage der ARA ZĂŒrich-Werdhölzli verbrennt sowohl den eigenen KlĂ€rschlamm als auch KlĂ€rschlamm aus anderen ARA. FĂŒr die Jahre 2016–2018 lag die berichtete THg-Konzentration in der Verbrennungsasche im Bereich von 100–430 ng/g, wĂ€hrend die RĂŒckstĂ€nde aus der Rauchgasbehandlung eine 100-mal höhere THg-Konzentration von 11–41 ”g/g aufwiesen (Fig. 4) [19]. In der Schweiz liegt der gesetzliche Grenzwert fĂŒr Hg-Emissionen aus Verbrennungsanlagen bei 0,05 mg/m3 [20]. Die ARA ZĂŒrich-Werdhölzli meldete 2017 eine durchschnittliche tĂ€gliche THg-Konzentration im Abgas von 0,016 mg/m3 [21]. Dies deutet insbesondere auf eine effektive Rauchgasbehandlung hin, wobei der grösste Teil des THg in den RĂŒckstĂ€nden abgeschieden wird. Der GesamtrĂŒckhaltegrad der KlĂ€rschlammverbrennung betrug ~95%. Zusammen mit 99,5% Entfernung durch die Abwasserbehandlung wurden somit insgesamt 95% des Hg von der ARA zurĂŒckgehalten.

Pro-Kopf-Frachten

Der gewichtete Mittelwert der THg-Konzentration der untersuchten RohabwĂ€sser (104±28 ng/l) extrapoliert auf die gesamte Abwassermenge der Schweiz ergibt einen geschĂ€tzten jĂ€hrlichen Hg-Eintrag in ARA von 130±30 kg/Jahr (Tab. 1). FĂŒr die Schweiz mit 8,29 Mio. an ARA angeschlossenen Personen (98% der Bevölkerung im Jahr 2017 [22]) entspricht dies einer Pro-Kopf-Belastung von 43±11 ”g/Kopf/Tag (Fig. 3b). Damit ist der Schweizer Durchschnitt vergleichbar mit SchĂ€tzungen von Österreich (55 ”g/Kopf/Tag), der Stadt Frankfurt (59 ”g/Kopf/Tag) oder Schweden (67 ”g/Kopf/Tag) [9]. Die ARA Visp (620 ”g THg/Kopf/Tag) und La Chaux-de-Fonds (210 ”g THg/Kopf/Tag), wiesen höhere Pro-Kopf-Belastungen auf. Diese ARA befinden sich in Einzugsgebieten, die stark von der chemischen Industrie und der Uhrenindustrie beeinflusst sind. FĂŒr die ARA ZĂŒrich-Werdhölzli hingegen, die einen viel geringeren Anteil an IndustrieabwĂ€ssern aufweist, betrug die THg-Fracht im Rohabwasser 8±3 g THg/Tag, mit einer entsprechenden Pro-Kopf-Fracht von 19±6 ”g THg/Kopf/Tag.
Aus der gewichteten mittleren THg-Konzentration im KlĂ€rschlamm und der jĂ€hrlichen Schweizer Schlammproduktion wurde eine THg-Fracht von 190±30 kg/Jahr berechnet (Tab. 1). Diese schlammbasierte SchĂ€tzung liegt etwa 50% höher als die aus THg im Rohabwasser berechnete THg-Fracht. Da die Schlammproben die Hg-Frachten ĂŒber lĂ€ngere ZeitrĂ€ume integrieren als die Zuflussproben, dĂŒrfte diese AbschĂ€tzung realistischer sein.

UMWELTAUSWIRKUNGEN

Relevanz des Hg-Eintrags aus ARA in OberflÀchengewÀsser

Im Jahr 2017 betrug die Abflussmenge der HauptflĂŒsse der Schweiz gesamthaft 194 Mio. m3/Tag [14], wobei der ĂŒberwiegende Anteil ĂŒber den Rhein (71%) und die Rhone (23%) abfloss (Fig. 2). FĂŒr die gesamte Schweiz (8,29 Mio. angeschlossene Einwohner im Jahr 2017) wird eine Abwassermenge von ≈4,1 Mio. m3/Tag geschĂ€tzt, was ≈2,1% der gesamtschweizerischen Flusswasserfracht entspricht [22]. Neuere THg-Messungen in Schweizer OberflĂ€chengewĂ€ssern sind rar, und die Konzentrationen liegen oft unter der Detektionslimite [6]. Die RheinĂŒberwachungsstation an der Schweizer Grenze zu Deutschland misst seit 1994 regelmĂ€ssig THg in Schwebstoffen und im Wasser [9]. FĂŒr den Zeitraum von 1994 bis 2017 lagen die ĂŒber jeweils fĂŒnf Jahre gemittelten THg-Konzentrationen im Bereich von 2,7–4,5 ng /l, mit einem Mittelwert von 3,3±0,8 ng/l in den Schwebstoffen, und < 5 ng/l (DL) fĂŒr das tatsĂ€chlich im Wasser gelöste THg [23]. Die einzelnen Jahresfrachten reichten von 30 bis 378 kg/Jahr (Mittelwert 137±90 kg/Jahr). Basierend auf diesen Langzeitdaten fĂŒr den Rhein, der 71% des gesamten OberflĂ€chenwasserabflusses der Schweiz fĂŒhrt, lĂ€sst sich folgern, dass die durchschnittlichen THg-Konzentrationen in Schweizer FlĂŒssen zwischen 3,8 und 6,3 ng/l liegen, was einem geschĂ€tzten Hg-Abfluss aus der Schweiz von etwa 160–290 kg/Jahr (Mittelwert 197 kg/Jahr) entspricht [9].
Schliesslich wurde die gesamte THg-Fracht des gereinigten Abwassers der 28 untersuchten ARA berechnet und auf die gesamte Schweiz extrapoliert. Die geschĂ€tzte THg-Gesamtfracht aus allen ARA der Schweiz betrĂ€gt 13±1,3 g/Tag (4,7 kg/Jahr), was einem abwasserbĂŒrtigen Beitrag von rund 1,5–3% (Mittelwert 2,4%) der THg-Frachten der Schweizer FlĂŒsse entspricht (Fig. 5, Tab. 1).
Der schweizerische Grenzwert fĂŒr Hg in OberflĂ€chengewĂ€ssern ist definiert als 30 ng/l THg und 10 ng/l gelöstes Hg nach Durchmischung im Vorfluter (EU, 50 ng/l als Jahresmittelwert) [3, 12]. Die THg-BeitrĂ€ge der ARA an die Vorfluter wurden anhand der Abflussmengen Q347 berechnet [9]. Die resultierenden THg-Konzentrationen von < 0,01 bis 8,5 ng/l (THg) entsprechen den gesetzlichen Anforderungen, liegen teilweise jedoch nahe an der numerischen Anforderung von 10 ng/l [1, 12].

FAZIT

Die landesweite Erhebung zeigt, dass die THg-Konzentrationen in KlĂ€rschlĂ€mmen und behandelten AbwĂ€ssern der Schweiz im selben Bereich liegen wie in anderen entwickelten LĂ€ndern. Die ermittelten THg-Frachten von ~16 mg/Kopf/Jahr in Rohabwasser und 0,6 mg/Kopf/Jahr in gereinigtem Abwasser sind wertvoll zur AbschĂ€tzung von Hg-Frachten an anderen Standorten [9].
Unter der Annahme einer Ă€hnlichen RĂŒckhalteeffizient und eines Ă€hnlichen Anschlussgrads wie in der Schweiz ergibt eine Extrapolation auf die Bevölkerung Europas (750 Mio. Menschen im Jahr 2018) eine THg-Gesamtmenge von 12 000 kg/Jahr im Rohabwasser, wobei 450 kg/Jahr in OberflĂ€chengewĂ€sser eingeleitet werden. Diese Studie trĂ€gt zu den Zielen des globalen Minamata-Übereinkommens bei, indem sie aktuelle Informationen zu Hg-Frachten im Schweizer Abwasser liefert, die auch fĂŒr Interessenvertreter in den Bereichen Abwasserbehandlung, Umweltchemie, Ökologie, Toxikologie und Umweltsanierung wertvoll sind.

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[20] Schweizerischer Bundesrat (1985): Luftreinhalte-Verordnung (LRV). Bern, Schweiz, vom 16. Dezember 1985 (Stand am 1. April 2020)
[21] Abegglen, C. (Dezember 2018): Entsorgung & Recycling der Stadt ZĂŒrich, persönliche Mitteilung
[22] Bundesamt für Umwelt BAFU (2017): Kommunale Abwasserreinigung. Bern, Schweiz
[23] Mazacek, J. (Juni 2019): Amt fĂŒr Umweltschutz und Energie, Kanton Basel-Landschaft, Liestal, Schweiz, persönliche Mitteilung

Danksagung

Wir danken den ARA-Betreibern fĂŒr die Probennahmen und Anlagekenndaten. FĂŒr Datenmaterial und wertvollen Informationsaustausch danken wir Edith Durisch, Daniel Rensch, Jelena Srejic (AWEL ZĂŒrich); Urs von Arx, Josef Tremp und Saskia Zimmermann-Steffens (BAFU); Christian Abegglen, Rey Eyer und Martin SchafflĂŒtzel (Entsorgung + Recycling ZĂŒrich) sowie Jan Mazacek und Reto Dolf (Amt fĂŒr Umwelt und Energie Basel-Stadt). Caroline Stengel und Numa Pfenniger (Eawag) werden fĂŒr ihre UnterstĂŒtzung bei der Analytik verdankt. Das Projekt erhielt finanzielle UnterstĂŒtzung vom Bundesamt für Umwelt.

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