Fast alle Jahre breitet sich im Herbst auf einigen grossen alpennahen Seen (z. B. Hallwilersee und Zürichsee, Ammersee [D], Wörthersee [A]) ein rötlicher Film auf der Wasseroberfläche aus. Der Volksmund spricht von der Burgunderblutalge, die Wissenschaft von Planktothrix rubescens (in älteren Arbeiten auch Oscillatoria rubescens). Biologisch gesehen handelt es sich aber nicht um eine Alge, sondern um ein fädiges, rötlich gefärbtes Cyanobakterium (s. Box unten), das man schon mit blossem Auge in einer Wasserprobe erkennen kann. Im Zürichsee ist P. rubescens seit über 100 Jahren zu finden und entwickelte sich innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte zum dominanten Organismus im Nahrungsnetz des Freiwassers [1, 2]. Der erste schriftliche Nachweis geht auf einen Zeitungsartikel der NZZ aus dem Jahr 1899 zurück, in dem das Phänomen des Burgunderbluts beschrieben wird. Massenentwicklungen gab es vor der stärksten Nährstoffbelastung (Eutrophierung) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während der stärksten Eutrophierungsphase (1960 bis 1970) war P. rubescens allerdings phasenweise kaum nachweisbar. Erst nachdem der Phosphoreintrag in den See durch die Inbetriebnahme von Kläranlagen nachhaltig reduziert wurde, etablierte sich P. rubescens wieder massenhaft im Zürichsee und zeigt zunehmende Populationsstärke seit den 1990er-Jahren.
Planktothrix rubescens hat das Potenzial, in Bezug auf die Gesamtbiomasse zum dominantesten Lebewesen in einem Seeökosystem zu werden. Das Cyanobakterium hat kaum natürliche Fressfeinde, weshalb es als Senke und nicht als Verbindung in der Nahrungskette und für den gesamten Nährstoffpool angesehen werden muss. Einerseits haben filtrierende Räuber (wie z. B. Wasserflöhe) mechanische Probleme, die bis zu 5 mm langen Fäden (Filamente) aufzunehmen. Diese Filamente entstehen aus einer Aneinanderreihung von Hunderten einzelnen Zellen, die selbst nur 0,005 mm gross sind. Andererseits bildet P. rubescens, wie viele andere Cyanobakterien auch, giftige, zellintern gelagerte Stoffwechselprodukte, die potenziell auf alle tierischen Organismen (Wirbellose und Wirbeltiere) und auch auf den Menschen wirken [3, 4]. Dies kann zu Problemen führen, da viele der betroffenen Seen als Trinkwasserressourcen und Erholungsgebiete dienen. Die bekanntesten toxischen Substanzen der Cyanobakterien sind: Cyanopeptoline, Anabaenopeptine, Aeruginosine und Microcystine [5]. Die Klasse der Microcystine wurde bis dato am besten untersucht und so überrascht es nicht, dass bereits über 90 chemische Strukturvarianten beschrieben sind [6]. Auch für P. rubescens ist bekannt, dass mehrere Microcystin-Varianten produziert und auch andere oben erwähnte Toxine gebildet werden können [7]. Microcystine schädigen vor allem die Leber, können aber auch andere Organe betreffen und sind in hoher Dosis bei oraler Aufnahme tödlich. Für die Bevölkerung an einem Planktothrix-belasteten See ergeben sich theoretisch drei Expositionsmöglichkeiten bezüglich der Cyanobakterientoxine (Details s. [8]):
– Kontakt über die Haut beim Schwimmen oder Wassersport
– Kontakt über das Einatmen von Aerosolen im Uferbereich und auf der Wasseroberfläche
– direkte orale Aufnahme der Toxine über unbehandeltes Seewasser
Zu einem direkten Hautkontakt mit den Giftstoffen sollte es nur in seltenen Fällen kommen, am wahrscheinlichsten im Herbst, wenn die roten Oberflächenansammlungen auftreten. Die Fäden in diesem roten Oberflächenfilm zersetzen sich mit der Zeit aufgrund zu hoher Lichtintensitäten, dadurch erfolgt die Freisetzung der zellintern gelagerten Toxine (s. auch Kap. «Oberflächenmischung»). Bei Kontakt mit den Giftstoffen kann dies zu Rötungen und Irritationen der Haut führen. Diese Phänomene wurden für Seen mit anderen Cyanobakterienarten (z. B. Microcystis) beschrieben, eine spezifische Studie zu P. rubescens liegt bis dato nicht vor. Ebenso fehlen wissenschaftliche Arbeiten zur Frage, inwieweit bei einem solchen Szenario toxinhaltige Aerosole entstehen können. Gesichert ist jedoch, dass eine direkte Nutzung (ohne Reinigungsschritte) von Planktothrix-belastetem Seewasser als Trinkwasser für Tier und Mensch auf jeden Fall vermieden werden muss. Selbst mechanische Reinigungsstufen einer Wasseraufbereitung reichen nicht aus, um die Toxine zu eliminieren. Ein mechanisches Aufbrechen der Planktothrix-Filamente verschlimmert die Situation sogar, da durch diesen Schritt die zellgebundenen Toxine erst freigesetzt werden. Die zuverlässigste Methode zur Zerstörung der Giftstoffe ist nach wie vor die Ozonierung des Rohwassers. Durch den Einsatz von Ozon bei der Trinkwasseraufbereitung werden die molekularen Strukturen der Microcystine innerhalb von Sekundenbruchteilen aufgebrochen und zerstört [9]. Dies bedeutet, dass alle Trinkwasserwerke, die Rohwasser aus einem Planktothrix-belasteten See gewinnen, mit Ozonierungsstufen ausgerüstet sein sollten. Inwieweit eine direkte orale Aufnahme von Toxinen über Fische oder Fischprodukte aus einem Planktothrix-See möglich ist, lässt sich nach wie vor nur schwer beurteilen. Aussagekräftige Literatur zu diesem Thema findet man kaum [10]. Da P. rubescens aufgrund ihrer Toxizität von fast allen tierischen Konsumenten gemieden wird, erscheint die Gefahr einer Anreicherung der Giftstoffe über die Nahrungskette als eher gering.
Aufgrund der über 40 Jahre durchgeführten Langzeitprogramme der Wasserversorgung Zürich (WVZ) und der Limnologischen Station Kilchberg (Universität Zürich) lässt sich das Massenvorkommen dieses Cyanobakteriums mittlerweile recht schlüssig erklären [1, 11]. Die Reduktion des Phosphorgehaltes und die daraus resultierende Veränderung der Lichtbedingungen und der Nährstoffverhältnisse im See sind nur ein Teil der zugrundeliegenden Faktoren. Massgeblich fördernd waren in den letzten Jahrzehnten die klimabedingten Veränderungen der chemisch-physikalischen Strukturen des Sees, bedingt durch steigende Lufttemperaturen und zunehmende Sonneneinstrahlung [12]. Während klassische Algengruppen wie Schlund- oder Kieselalgen negativ auf die Seeerwärmung reagieren, scheinen Cyanobakterien in vielfältiger Weise vom rasanten Klimawandel zu profitieren [2]. Diese Beobachtung gilt nicht nur lokal, sondern scheint ein globales Phänomen zu sein [13].
Cyanobakterien verfügen über eine Reihe von physiologischen Eigenschaften, welche sie zu erfolgreichen Konkurrenten von Algen machen, besonders in schnell verändernden Systemen. Einige Arten, wie z. B. das Cyanobakterium Microcystis, werden direkt von erhöhten Wassertemperaturen gefördert, besonders in Kombination mit einem reichen Nährstoffangebot [13]. Andere Arten hingegen, wozu auch P. rubescens gezählt wird, profitieren von der stärkeren, temperaturbedingten Schichtung des Wasserkörpers und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Verteilung der Nährstoffe [1]. Im Folgenden wird – anhand der ausgeprägten jährlichen Dynamik von P. rubescens im Zürichsee – auf die besonderen physiologischen Eigenschaften dieses Cyanobakteriums eingegangen. Darüber hinaus werden die limnologischen (chemischen, physikalischen und biologischen) Kenngrössen erläutert, welche die Etablierung und das derzeitige Wachstum von P. rubescens im Zürichsee erklären.
Als klassischem monomiktischem See kommt es im Zürichsee theoretisch einmal im Jahr zu einer Tiefenmischung, nämlich dann, wenn die temperaturbedingten Dichteunterschiede zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser minimal sind. Die Durchmischung (Mixis) findet in der Regel zwischen Januar und März statt und führt erstens zu einer Nährstoffanreicherung des Oberflächenwassers (Epilimnion, [2]) und zweitens zur Sauerstoffanreicherung des Tiefenwassers (Hypolimnion, [14]). Während dieser Zeit werden auch die P. rubescens-Filamente zunehmend in die Tiefe gedrückt (Fig. 2 und 3). Eine vollständige Tiefenmischung (Holomixis), im Zürichsee bis auf 136 m, bewirkt grosse Verluste der Cyanobakterien-Population. Grund hierfür ist der hohe hydrostatische Druck im Tiefenwasser, der die Gasvesikel (intrazelluläre gasgefüllte Strukturen) des Cyanobakteriums kollabieren lässt. Die stärksten bekannten Gasvesikel, die P. rubescens produzieren kann, widerstehen einem Druck bis zu einer Tiefe von ungefähr 100 m [15]. Gasvesikel dienen P. rubescens für die aktive vertikale Bewegung in der Wassersäule. Die Bildung neuer Gasvesikel ist nur bei ausreichenden Lichtverhältnissen möglich. Daher können Filamente, deren Gasvesikel nach einer Tiefenmischung kollabiert sind, nicht mehr in das lichtdurchflutete Epilimnion aufsteigen, was mit der Zeit zum Absterben der Filamente im dunklen Hypolimnion führt. Somit ist das Cyanobakterium nach einer Holomixis im Frühsommer kaum nachweisbar und der Aufbau einer neuen Population beginnt erst im Spätsommer.
Während der letzten zwei Jahrzehnte traten im Zürichsee jedoch immer häufiger schwache Tiefenmischungen auf [1]. Klimabedingte Veränderungen in der Wärmekapazität des Sees führen zu einer Verstärkung der thermischen Schichtung, die sich bis in den Winter halten kann. Diese erschwert die jährliche Frühjahrstiefenmischung [2] und P. rubescens wird oft nur noch in Tiefen von 60 bis 80 Metern gedrückt. In diesen Tiefen ist der hydrostatische Druck zu gering, um die Gasvesikel kollabieren zu lassen, wodurch ein grosser Teil der Population eine schwache Tiefenmischung unbeschadet übersteht [1]. Dies führt bereits im Frühjahr und Frühsommer zu grossen Mengen an P. rubescens. Allerdings bedeutet eine schwache Tiefenmischung auch einen schlechteren Transport von Nährstoffen in die oberen Wasserschichten. Darunter leiden jedoch vor allem klassische Algengruppen, wie Kiesel- und Schlundalgen. P. rubescens hingegen scheint besser an nährstoffarme Situationen angepasst zu sein [2].
Wenn nach der Tiefenmischung die thermische Schichtungsphase im See beginnt, zeigen sich die Vorteile der Gasvesikel. Filamente, deren Gasvesikel intakt geblieben sind, bewegen sich nun aktiv in die Zone mit den idealen Lichtbedingungen. Da die Cyanobakterien eher gemächlich aufsteigen (mit einer Geschwindigkeit von 0,6 m pro Tag), kann es dementsprechend eine Weile dauern, bis sie ihr Ziel erreichen. Hier kommt P. rubescens zugute, dass sie sogar mehrere Wochen in Dunkelheit und bei niederen Wassertemperaturen überleben kann [16]. Neben der lichtabhängigen Fotosynthese ist das Cyanobakterium auch fähig, aktiv Aminosäuren aus dem Wasser aufzunehmen, um Phasen der Dunkelheit zu überbrücken [17]. Ziel der aufsteigenden Filamente ist die Sprungschicht (Metalimnion), die sich im Zürichsee in circa 12 bis 15 Metern Tiefe bildet. Das Metalimnion ist die Zone mit einer sehr starken Abnahme der Wassertemperatur pro Meter Tiefenstufe und wirkt als physikalische Barriere zwischen dem warmen Epilimnion und dem kalten Hypolimnion. Planktothrix rubescens ist ein schwachlichtangepasster Organismus [18] und findet in 12 bis 15 Metern Tiefe die idealen Lichtverhältnisse vor (6 bis 10 μmol m–2 s–1). Ein stabiles Metalimnion im Frühling in Tiefen mit geeigneten Lichtbedingungen ist daher auch entscheidend für das Aufbauen einer neuen Population nach der Frühjahrstiefenmischung. Die klimabedingten Veränderungen bieten dabei einen weiteren Vorteil für P. rubescens, da der See tendenziell immer früher im Jahresverlauf eine thermische Schichtung aufweist, wodurch sich sehr schnell ein Metalimnion ausbilden kann [19].
Stimmen Licht- und Metalimnionbedingungen allerdings nicht überein, wie es im Frühling 2019 der Fall war, so kommt es zu einem massiven Zusammenbruch der Population im Frühling, die sich erst spät im Herbst wieder erholt. Das Metalimnion ist aber nicht nur während des Frühlings unentbehrlich für P. rubescens. Während der Sommermonate bis in den Herbst hinein bleibt das Cyanobakterium im Metalimnion eingeschichtet, weit weg von möglichen Badegästen. Einerseits ist P. rubescens dadurch vor zu hohen Lichtintensitäten geschützt, welche in der turbulenten Zone des Epilimnions vorherrschen. Andererseits entgeht das Cyanobakterium so dem Konkurrenzdruck mit schneller wachsenden Algen, welche die Oberflächenzone bevorzugen. Umgekehrt könnten die meisten Algen unter den Schwachlichtbedingungen im Metalimnion gar nicht wachsen.
Zur Zeit der stärksten Eutrophierung im Zürichsee (1960 bis 1970) wurde dem Cyanobakterium diese Anpassung an sehr geringe Lichtverhältnisse aber wohl zum Verhängnis. Während dieser Phase gab es ausgeprägte oberflächennahe Algenblüten, wodurch sich die Lichtverhältnisse im Metalimnion massiv verschlechterten. Planktothrix rubescens war, um fotosynthetisch aktiv zu bleiben, zur Einwanderung ins Epilimnion gezwungen, wo sie aber dem Konkurrenzdruck mit den schnellwachsenden Algen nicht gewachsen war.
Im Spätherbst, wenn sich die thermische Schichtung auflöst, ändert sich die Situation für P. rubescens. Abkühlendes Oberflächenwasser und die Kraft der Herbststürme drücken das Metalimnion in die Tiefe und schwächen die thermische Schichtung ab. Die schlechter werdenden Lichtbedingungen zwingen
P. rubescens an die obere Grenze des Metalimnions und letztendlich in das turbulente Epilimnion. Die Lichtintensitäten im herbstlichen Epilimnion sind im Gegensatz zum Sommer wesentlich schwächer und entsprechen eher den Bedürfnissen des Cyanobakteriums. Aufgrund der Turbulenzen fällt es P. rubescens aber schwer, sich stabil einzuschichten, wodurch sie gelegentlich zu viel Auftrieb generiert und an die Oberfläche gedrückt wird [20]. Dies kann zur Bildung von rötlich gefärbtem Wasser oder sogar Oberflächenfilmen führen, im Volksmund auch als Burgunderblut-Phänomen bekannt. Schafft es P. rubescens nach so einem Ereignis nicht mehr, rechtzeitig zu sinken, können zu hohe Lichtintensitäten und Scherkräfte an der Oberfläche zu Zersetzungsprozessen und zur Freisetzung der Toxine führen. Erfahrungsgemäss passiert dies im Zürichsee erst ab Ende September. Üblicherweise sind zu dieser Jahreszeit nur noch wenige Schwimmer im See anzutreffen. Probleme ergeben sich aber aufgrund zunehmend langanhaltender, milderer Temperaturen im Spätherbst, da somit vielerorts die Badesaison bis in den späten Oktober verlängert wird. Die Überschneidung von Badesaison und Risikozeitraum für eine Oberflächenfilmbildung vergrössert die Gefahr für direkte Kontakte mit dem Toxin erheblich.
Ein weiteres Risiko bergen häufiger auftretende und intensiver werdende Herbststürme. Treten diese bereits Anfang September auf, wenn P. rubescens normalerweise noch immer im Metalimnion eingeschichtet ist, kann es zu unerwartet auftretenden Oberflächenfilmen kommen, wie im Zürichsee im September 2020 beobachtet werden konnte. Mit sinkenden Wassertemperaturen und grösserer Durchmischungstiefe im Winter, wird P. rubescens erneut in die Tiefe gedrückt.
Für eine genaue Charakterisierung der saisonalen Dynamik von P. rubescens sind hochauflösende Messprofile mit in-situ-Sonden nötig. Messdaten in einer Auflösung von 1-Meter-Schritten oder kleiner sind die Voraussetzung, um die vertikale Verteilung zu dokumentieren. Während stabiler thermischer Schichtungsphasen befindet sich das Maximum von P. rubescens im Metalimnion und das Populationsmaximum ist teilweise nur in einer 0,5 bis 1 Meter breiten Tiefenschicht ausgebildet [21]. Bei Beprobungen von fixen Standardtiefen mit grossen Zwischenabständen kann dementsprechend eine Massenentwicklung komplett übersehen werden.
Für hochauflösende Messungen von Chlorophyllkonzentrationen in der Wassersäule wird ein in-situ-Spektrofluorometer verwendet. Geräte wie z. B. die Fluoro Probe von bbe (Moldaenke, D) können anhand spezifischer Fluoreszenzmuster (optischer Fingerprints) der unterschiedlichen Algenklassen das Gesamtchlorophyll a den einzelnen Klassen zuteilen und sie so quantifizieren. Es empfiehlt sich, den standardmässig gespeicherten Fingerprints für Grünalgen, Blaualgen, Kieselalgen und Schlundalgen (Kryptomonaden) eine zusätzliche spezifische Eichung für P. rubescens hinzuzufügen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Fluoreszenzmuster von P. rubescens ansonsten zu einer Falscheinteilung zu den Kryptomonaden führen kann. Aber auch ohne spezielle Eichung sind Gesamtchlorophyll-a-Messungen hilfreich für die Erkennung potenzieller P. rubescens-Blüten. Ist während der Schichtungsphase ein tief liegendes Chlorophyll-a-Maximum im Metalimnion erkennbar, kann dies bereits ein wichtiger Hinweis sein.
Um das Metalimnion mit seinen stark abfallenden Temperaturgradienten detailreich wiedergeben zu können, sind ebenfalls hochauflösende Messdaten unentbehrlich. Dafür geeignete Messinstrumente sind Multiparametersonden. Neben der Temperatur werden gleichzeitig weitere wichtige limnologische Parameter wie Sauerstoffkonzentration und Sättigung, Trübung und Leitfähigkeit gemessen. Vor allem hochauflösende Daten zu Temperatur und Sauerstoff sind nötig, um die Stärke der Durchmischung abzuschätzen. Zahlreiche Multiparametersonden können zusätzlich mit einem Sensor für die Messung von Phycoerythrin, einem für Cyanobakterien typischen Pigment, ausgestattet werden. Auch damit ist es möglich, die Konzentration und Verteilung von P. rubescens zu messen.
Um die Tiefen der relevanten Lichtintensitäten für P. rubescens zu bestimmen, werden Unterwasser-Lichtquantensensoren (z. B. von LI-COR, D) verwendet. Mit diesen misst man idealerweise in 1-Meter-Intervallen die photosynthetisch aktive Strahlung (Bereich: 400 bis 700 Nanometer) in der Einheit μmol m–2 s–1 (also die Menge von Photonen, die pro Fläche und Zeiteinheit zur Verfügung steht). Eine logarithmische Auftragung der erhaltenen Werte vereinfacht die Interpretation der Profile deutlich. Ist ein ausgeprägter «Knick im Lichtprofil» im Bereich des Metalimnions erkennbar, kann dies ein deutliches Anzeichen für eine P.-rubescens-Blüte sein. Anschliessend sind mikroskopische Analysen nötig, um den Verdacht zu bestätigen oder zu verwerfen.
Für P. rubescens gibt es drei entscheidende Lichtintensitäten, die ihr Wachstum sowie ihre Positionierung in der Wassersäule beeinflussen. Im Zürichsee liegt die geringste relevante Lichtintensität bei 0,8 μmol m–2 s–1. Bei dieser sehr geringen Intensität ist lichtabhängige Fotosynthese nicht mehr möglich, aber die Aufnahme von Aminosäuren wird stimuliert, um ein minimales Wachstum zu erreichen [17]. Die Filamente beginnen nun, Gasvesikel zu bilden und Kohlenhydrate abzubauen, wodurch sie in der Wassersäule aufsteigen. Bei einer Lichtintensität von 6,5 μmol m–2 s–1 ist ein Grossteil der Population in einem Schwebezustand [18]. Aufbau und Abbau von dichteren Zellkomponenten gleichen sich aus und die Filamente behalten ihre Position bei. Während der thermischen Schichtungsphase befindet sich der Grossteil der Population in einer Tiefe mit dieser Lichtintensität. Daher kann man schon anhand des Lichtprofils einschätzen, in welcher Tiefe sich P. rubescens gerade aufhält. Die obere Populationsgrenze befindet sich bei einer Intensität von 25 μmol m–2 s–1. Hier können die Filamente so effektiv Kohlenhydrate und andere Zellkomponenten aufbauen, dass sie schwerer werden und absinken [15].
Die oben genannten relevanten Lichtintensitäten können zwischen einzelnen Gewässern und ihren P.-rubescens-Populationen leicht variieren. Sie liegen allerdings immer im Schwachlichtbereich und überschneiden sich mit der Ausdehnung des Metalimnions [18]. Treten in einem Gewässer starke vertikale Schwankungen der Lichtintensität innerhalb kurzer Zeiträume auf, spricht dies gegen eine P.-rubescens-Besiedelung. Da sich das Cyanobakterium nur sehr gemächlich in der Wassersäule bewegen kann, hätte es keine Möglichkeit, sich aktiv einzuschichten.
Mikroskopisch ist P. rubescens relativ einfach zu erkennen. Die roten Filamente sind schon mit blossem Auge in Wasserproben zu erkennen und mit dem Lichtmikroskop eindeutig identifizierbar. Mit Fluoreszenzmikroskopie lassen sich P.-rubescens-Filamente schnell und effizient anhand der intensiven Eigenfluoreszenz ausmachen. Bei Wasserproben, die mit der bräunlichen Lugol-Lösung (Kaliumjodid) fixiert wurden, kann es allerdings aufgrund der Farbveränderung zu Verwechslungen mit dem grünlich gefärbten Ökotypen Planktothrix agardhii kommen. Vom Erscheinungsbild her lassen sich die zwei Ökotypen fast nur durch die unterschiedliche Färbung auseinanderhalten. Grosse Unterschiede zeigen sich aber in der Physiologie. Während P. rubescens grösstenteils in tiefen, geschichteten Gewässern auftritt, toleriert P. agardhii auch höhere Lichtintensitäten und besiedelt hauptsächlich flache Gewässer [22]. Ausserdem bestehen rot pigmentierte Planktothrix-Populationen in der Regel überwiegend aus Toxin produzierenden Stämmen, während ein grosser Teil der grün pigmentierten Ökotypen keine Giftstoffe bilden kann. Auch genetisch ähneln sich die zwei Ökotypen sehr, wodurch es erschwert wird, die beiden Arten bei Gesamtgenomanalysen von Gewässern zu differenzieren. Für zielgerichtete genetische Methoden, wie z. B. der quantitativen Echtzeit-PCR (qPCR), stehen mittlerweile zahlreiche publizierte Anleitungen zur Verfügung (z. B. [23]). Diese Methoden erlauben nicht nur die Unterscheidung der zwei Ökotypen, sondern auch die Beurteilung, ob tatsächlich potenziell Giftstoff produzierende Stämme vorhanden sind.
In typischen Planktothrix-belasteten Gewässern, in denen das Cyanobakterium seit vielen Jahren und in hohen Konzentrationen auftritt, ist üblicherweise das saisonale Wachstumsmuster bekannt. Dieses sich jährlich wiederholende Muster erlaubt es, einzuschätzen, in welchen Zeiträumen ein Risiko für die Nutzung des Gewässers besteht. Ausserdem verfügen Wasserversorgungsanlagen, welche Rohwasser aus solch belasteten Seen beziehen, über die nötigen zusätzlichen Ozonierungsstufen. Jedoch können anhaltende klimatische Veränderungen und ihre Effekte auf Gewässer in Abweichungen der bekannten Wachstumsmuster resultieren. Dies wiederum kann zu unerwarteten Phänomenen wie dem Zusammenbruch einer Population oder Oberflächenfilmbildungen führen. Zudem kommt es immer wieder zu plötzlichem Massenauftreten von P. rubescens in bisher unbelasteten Gewässern. Dies führt zu neuen Problemen im Management der Gewässer und stellt Ansprüche an die Behörden, auf die veränderte Situation zu reagieren. Als eindrucksvolles Beispiel sei hier der Bodensee erwähnt, in welchem es 2016 zu einem bis dato einmaligen Massenauftreten von P. rubescens kam. Die Hintergründe für dieses plötzliche Auftreten und ob sich P. rubescens in Zukunft permanent im Bodensee etablieren kann, wird derzeit im Forschungsprojekt «Seewandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» genauer untersucht.
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Die Schlacht bei Murten im Jahr 1476, bei der sich Truppen der Eidgenossenschaft und des burgundischen Herzogs Karl des Kühnen bekriegten, trug wesentlich zur Namensgebung des Cyanobakteriums bei. Die Truppen der Eidgenossenschaft trieben viele Soldaten der Burgunder in den Murtensee, wo die meisten kläglich ertranken.
Noch im 19. Jahrhundert erinnerten sich die Bewohner am Murtensee an die Schlacht. Denn als sich das Wasser 1825 wegen eines Massenvorkommens des Cyanobakteriums rot färbte, glaubten sie, das Blut der verstorbenen Burgunder komme wieder an die Oberfläche. So entstanden der Trivialname Burgunderblutalge sowie der erste beschriebene Nachweis für ein Massenvorkommen des Cyanobakteriums. Der Name ist aber nicht nur bezüglich des Burgunderblutes irreführend, denn es handelt sich auch nicht um eine Alge, sondern um ein Cyanobakterium. Im Gegensatz zu Algen besitzen Cyanobakterien keinen Zellkern, d. h. ihre DNS ist nicht von einer Zellmembran umgeben, sondern frei in der Zelle. Beide Organismen-Gruppen enthalten unter anderem Chlorophyll a und können Photosynthese betreiben, um Energie zu produzieren.
Wir bedanken uns herzlich bei der Universität Zürich, beim Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) des Kantons Zürich und beim Bundesamt für Umwelt (BAFU), Sektion Wasserqualität, für die Unterstützung. Ein besonderer Dank geht an unsere Kapitäne und Mitarbeiter, Eugen Loher, Daniel Marty und Barbara Bassin, für die jahrelange Hilfe bei den Probenahmen. Diese Studie erhielt Unterstützung durch das Forschungsprojekt «SeeWandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» im Rahmen des Interreg-V-Programms «Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (Deutschland/Österreich/Schweiz/Liechtenstein)» welches Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung erhält sowie Fördergelder vom Schweizer Bund und von den Kantonen. Es bestand keine aktive Mitwirkung seitens der Geldgeber bei der Entwicklung des Studiendesigns, der Datenerfassung und -analyse, der Entscheidung zur Veröffentlichung oder bei der Erstellung des Manuskriptes. Die Forschungsarbeiten wurden zudem vom Schweizer Nationalfonds (Projekt 31003A_182489) unterstützt.
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