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Fachartikel
02. Juli 2021

Gewässer

Stauen Wasserpflanzen den Bodensee?

Der Bodensee ist nach Dekaden erhöhter anthropogener Nährstoffbelastung infolge der Sanierungsmassnahmen der Anrainerländer wieder naturnah nährstoffarm. Die Verbreitung und Zusammensetzung der Wasserpflanzen reagiert auf diese Veränderungen, beeinflusst die Wasserstände der beiden Seeteile Obersee und Untersee und verändert das Ökosystem.
Klaus Schmieder, Bernd Wahl, Gunnar Franke, 

Seit 2008 sind im Bodensee die Pegelunterschiede von Ober- und Untersee zunehmend grösser geworden. Analysiert man die Pegelstände zusammen mit den Ausstrommengen, die aus dem Bodensee in den Hochrhein strömen, erkennt man, dass die Zunahme der Pegelunterschiede sich nicht aus einem Absinken des Unterseepegels ergibt, wie er z. B. infolge von Erosionsvorgängen zu erwarten wäre, sondern infolge eines Rückstaus, der die Wasserstände im Obersee mehr angehoben hat als im Untersee.
Vorangegangene Untersuchungen zu den Bodenseewasserständen bis ins Jahr 2007 [1] hatten gezeigt, dass sowohl die Pegelstände als auch die Pegelstandsdifferenzen der beiden Teilbecken im Verlauf des letzten Jahrhunderts signifikant abgefallen waren. Der lineare Trend des Wasserstandsrückgangs von 1888 bis 2007 betrug im Obersee 20,9 cm/100 Jahre und im Untersee 9,3 cm/100 Jahre. Die Wasserstandsunterschiede der beiden Teilbecken sind im selben Zeitraum um 11,6 cm/100 Jahre abgefallen. Von etwa 1950 bis Ende der 1970er-Jahre fielen die Wasserstandsdifferenzen besonders deutlich ab, während sie ab den 1980er-Jahren annähernd stagnierten.
Nach 2007 setzte ein deutlicher Anstieg der mittleren jährlichen Pegeldifferenz ein. 2016 lag die Pegeldifferenz bereits über 30 cm, während sie vor 2008 bei etwa 18 cm oder weniger lag. Im Sommer ist dieser Unterschied gut 12 cm höher als im Winter. Gründe für die jahreszeitlichen Unterschiede der Wasserstände liegen im saisonal sich ändernden Bewuchs der Wasserpflanzen und in der Abhängigkeit der hydraulischen Bedingungen von den Wasserständen.
Die Hauptursache für die zunehmende Pegeldifferenz wird in einer Zunahme der Wasserpflanzenbestände gesehen [2], besonders am Übergang vom Ober- zum Untersee.

Veränderung der Wasserpflanzenbestände 

Die Wasserpflanzenvegetation des Bodensees erfuhr in den vergangenen Jahrzehnten infolge der rasanten Nährstoffzunahme in den 1960er- und 1970er-Jahren und der anschliessenden stetigen Nährstoffabnahme dramatische Veränderungen [3, 4]. Vor allem die Bestände des Schweizer Laichkrauts (Potamogeton helveticus) kommen als Ursache für die Seespiegelveränderungen in Frage, da sie typischerweise in den Ausstrombereichen des Sees vorkommen und zudem immergrün sind. Sie tragen damit das ganze Jahr dazu bei, dass die Wasserströmungen gebremst werden, übereinstimmend mit der Beobachtung, dass sich die Wasserstände über das ganze Jahr hinweg erhöht haben.

Die von [5] noch als Variation von Potamogeton vaginatus eingestufte Art kam nach seinen Angaben zu Anfang des 20. Jahrhunderts hauptsächlich im Seerhein sowie unterhalb Stein am Rhein bis Schaffhausen im Rhein vor. Nach [6] überwintern im Strömungsbereich des Seerheins neben Schweizer Laichkraut auch Krauses Laichkraut (Potamogeton crispus), Dichtes Laichkraut (Groenlandia densa) und die Kanadische Wasserpest (Elodea canadensis) als grüne Pflanzen. 1967 konnte das Schweizer Laichkraut im See­rhein und den anschliessenden Fliessrinnen des Seerheines im Ermatinger Becken nachgewiesen werden [7, 8]. Ebenso wurden die Vorkommen am Ausfluss des Untersees bei Stein am Rhein bestätigt, wogegen in der Konstanzer Bucht das Schweizer Laichkraut nicht mehr angetroffen wurde. Auch 1978 konnten die Fundorte im Seerhein und den anschliessenden Fliessrinnen im Ermatinger Becken bestätigt werden, während in der Konstanzer Bucht und bei Stein am Rhein keine Bestände gefunden wurden [9]. Bei einem Tauchgang im Januar 1989 wurde das Schweizer Laichkraut im Ermatinger Becken an den Fliessrinnen des Seerheines von Schmieder und Kiechle nur sporadisch und ausschliesslich am oberen Rand der Fliessrinnen angetroffen. Die Rinnen selbst waren komplett vegetationsfrei. Diese Vorkommen wurden 1993 [10] wieder dokumentiert. Auch 1993 waren die Rinnen des Seerheines im Ermatinger Becken noch komplett vegetationsfrei. Bei einer Kartierung am Schweizer Untersee im Jahr 2009 [11] wurde festgestellt, dass das Schweizer Laichkraut gegenüber der Untersuchung im Jahr 1993 zugenommen hat. Eine Zunahme der Bestände des Schweizer Laichkrauts könnte folglich die Hauptursache für die Änderung der Seespiegeldifferenzen sein.

Schweizer Laichkraut 
Existiert es Ãœberhaupt?

Der Artstatus des Schweizer Laichkrautes (Potamogeton helveticus [G. Fisch.] W. Koch, Stuckenia helvetica [G. Fisch.] Holub) ist umstritten [12, 13]. In der globalen, taxonomischen Datenbank worldfloraonline.org wird die Art als Synonym des Kamm-Laichkrautes (Stuckenia pectinata [L.] Börner) eingestuft. Danach existiert die Art offiziell taxonomisch also gar nicht, sondern wird mit dem Kamm-Laichkraut zusammengefasst.
Auch wenn der Artstatus nicht allgemein akzeptiert ist, so unterscheidet sich das Schweizer Laichkraut am Bodensee als immergrüne Art doch deutlich vom Kamm-Laichkraut, das häufig schon im Sommer abstirbt und mittels Wurzelknollen und Samen überwintert. Auch bildet das Schweizer Laichkraut mit bis zu 5 m Länge deutlich längere Sprosse aus, blüht erst im Herbst und fruchtet selten [14]. Es kommt ausschliesslich in fliessenden Bereichen der Seeausflüsse vor, vor allem in den stark strömenden Fliessrinnen. Peintinger [15] empfiehlt daher unabhängig vom taxonomischen Status eine gesonderte Erfassung.

Aktuelle Verbreitung im Seerhein

Zur Klärung, ob eine Zunahme des Schweizer Laichkrauts zu einem Aufstau der Wasserstände geführt haben kann, wurde im März 2017 die Verbreitung der überwinternden Bestände im Seerhein von der Konstanzer Bucht bis Ermatingen kartiert. Hierzu wurden die Bestandsdichten an Stichprobenpunkten erfasst. Die Untersuchung zeigte, dass die Art im Seerhein sowie im Ermatinger Becken nach Westen bis Ermatingen reichlich vertreten ist. Das Vorkommen des Schweizer Laichkrauts beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die stark strömenden Fliessrinnen des Seerheines und des Ermatinger Beckens. Vor allem beim Eintritt in die Abflussrinnen der Konstanzer Bucht, in den Fliessrinnen der Ausbuchtung auf halber Strecke des See­rheines sowie am Ostrand des Ermatinger Beckens finden sich dichte Bestände. Nahe Ermatingen (am westlichen Rand in der Karte) nimmt das Vorkommen des Schweizer Laichkrauts jedoch langsam ab.
Insgesamt wuchs das Schweizer Laichkraut an den untersuchten Stellen nur in deutlich strömenden Bereichen. Am vitalsten waren die Pflanzen in den stärksten Strömungsbereichen der Eingänge in die jeweiligen Fliessrinnen von ca. 1,5 m Tiefe bis 6 m Tiefe und bedeckten bis in diese Tiefen auch den Rinnenboden. In tieferen Bereichen ist der Boden der Fliessrinnen nicht bewachsen. In flachen, schwächer strömenden Bereichen ausserhalb der Rinne ist die Art meist stark von Aufwuchs­algen bewachsen und weniger vital.
Zur Untersuchung der Bestandsdichte und Wuchshöhe der Bestände des Schweizer Laichkrauts und ihrer Wirkung auf die Strömung wurden zwischen 17. Juli und 14. August 2017 mehrere Tauchgänge von Forschungstauchern im Ausstrombereich des Obersees (Konstanzer Bucht), im Seerhein und Ausstrombereich des Untersees bei Eschenz durchgeführt. Dabei wurden mehrere Sprosse des Schweizer Laichkrauts entnommen und anschliessend im Labor vermessen. Sprossdichten wurden während des Tauchganges in verschiedenen Beständen abgeschätzt, indem Sprosse in mehreren Dezimeterquadraten gezählt und auf einen Quadratmeter hochgerechnet wurden.
Das Schweizer Laichkraut wächst danach aktuell in Beständen mit bis zu mehreren Tausend Sprossen pro Quadratmeter am Boden der Strömungsrinnen bis zu 6 m Wassertiefe sowie an der Haldenkante und auch in kleinen Beständen vereinzelt in den angrenzenden flacheren Bereichen. Die Pflanzen sind in der Strömungsrinne z. T. mehr als 5 Meter lang und flottieren bis etwa 1 m unter der Wasseroberfläche. Dazu gibt es grosse Armleuchteralgen-Bestände (meist Chara globularis), die bis über ein Meter hoch sind. Auch das Durchwachsene Laichkraut (Potamogeton perfoliatus) bildet zum Teil dichte Bestände – besonders in der Konstanzer Bucht und in der Ausbuchtung auf halber Strecke des Seerheines.
Die strömungsberuhigende Wirkung der Bestände des Schweizer Laichkrauts in den Fliessrinnen des Seerheines ist am Fusse der Pflanzen deutlich feststellbar. Während an der Wasseroberfläche sehr starke Strömung herrscht, ist in Bodennähe der Fliessrinnen in den Beständen kaum Strömung zu spüren. Durch die flottierende Bewegung der Pflanzenbestände kommt es an der Wasseroberfläche zu deutlich sichtbaren turbulenten Strömungen.

Hydrodynamische Modellierung der Seeausflüsse und Wasserstände

Für den Ausstrombereich des Obersees bis in den Untersee wurde mit der Modellsoftware Delft3D Flow [17] ein hydrodynamisches Modell erstellt, um die Strömungsverhältnisse und das Wasserstandsgefälle zwischen den beiden Seeteilen nachzubilden. Mithilfe einer Modellkomponente, die den Strömungswiderstand von Wasserpflanzen in der Wassersäule abbildet, wurden vereinfachte Szenarien mit unterschiedlichem Wasserpflanzenbewuchs berechnet. Ausgewertet wurden die Veränderungen in den Strömungsverhältnissen und in den Wasserstandsunterschieden zwischen den beiden Seeteilen. Die Topografie des Modellgitters basiert auf einem hochaufgelösten digitalen Beckenmodell [18].
Für die berechneten Szenarien wurden mittlere Durchflussverhältnisse betrachtet. Da Wasserpflanzen sich v. a. in flacheren Bereichen des Ausstroms stauend auswirken können, wurden drei flachere Bereiche für den Wasserpflanzenbewuchs ausgewählt (A1 bis A3), in denen – abhängig vom Szenario – ein einfacher Bewuchs von 40 cm Höhe und 100 Pflanzenstängeln pro m² mit einem Durchmesser von jeweils 1 mm angenommen wurde. Diese Prinzipstudie diente der Untersuchung der Prozesse und berücksichtigt nicht den realen Bewuchs, der sehr viel heterogener ist. Tatsächlich wurden aber gerade in den Bereichen A1 bis A3 Neuansiedlungen dichter Bestände des Schweizer Laichkrauts beobachtet. Im Szenario S1 sind keine Wasserpflanzen vorhanden, in S2 war ein Bewuchs auf der Fläche A2 definiert und in S3 sind alle drei Bereiche A1 bis A3 mit Wasserpflanzen bewachsen. Im Modellszenario S1, in dem keine Wasserpflanzen abgebildet waren, stellte sich zwischen den beiden Teilbecken des Bodensees der Wasserstandsunterschied ∆W = 17 cm ein. Dies entspricht etwa dem mittleren Wasserstandsunterschied vor der beobachteten Ausbreitung des Schweizer Laichkrauts. In Szenario S2 zeigt sich nur ein leichter Anstieg von ∆W um 2 cm. Dahingegen ergibt sich mit den drei Bewuchsflächen in S3 eine Zunahme gegenüber S1 um 13 cm. Damit beträgt ∆W = 30 cm in S3, was im Grössenbereich der aktuellen Verhältnisse liegt, welche bis 2017 auf einen maximalen Wert von ∆W = 36 cm zugenommen haben.
Das Wasserstandsgefälle ist in den flachen Bereichen A1 bis A3 höher als in den tieferen Bereichen dazwischen. Dies zeigt, dass diese Schwellenbereiche eine besonders bedeutende Rolle bei der Ausbildung der Wasserstandsunterschiede zwischen den beiden Seeteilen spielen. Durch den Wasserpflanzenbewuchs wird dieses Wasserstandsgefälle weiter erhöht und damit auch die oberflächennahe Abflussgeschwindigkeit. Im bodennahen Bereich wird die Strömungsgeschwindigkeit jedoch erwartungsgemäss durch die Wasserpflanzenbestände deutlich vermindert. Damit wird auch die Schubspannung am Seeboden reduziert. Dies bedeutet, dass Wasserpflanzen zum Schutz gegen Erosion der Gerinnesohle beitragen können.

Ursachen der veränderten Vegetation und Wasserstände 

Die durchgeführten Untersuchungen liefern deutliche Hinweise, dass die starke Zunahme des Schweizer Laichkrauts mindestens seit 2009 die Hauptursache für die Zunahme der Wasserstandsunterschiede der beiden Seeteile des Bodensees ist. Durch die dichten und sehr hohen, flottierenden Bestände des Schweizer Laichkrauts wird der Strömungswiderstand in den Fliessrinnen deutlich erhöht, was zur Anhebung des Wasserspiegels führt. Die Stauwirkung durch Wasserpflanzen ist ein an vielen Fliessgewässern seit Langem bekanntes Phänomen (z. B. [19]). Bedeutende Fragen in Bezug auf das Untersuchungsgebiet sind: Wodurch ist die starke Ausbreitung des Schweizer Laichkrauts bedingt? Wie konnten sich die zuvor auf die Haldenkante der Strömungsrinne beschränkten Vorkommen auf den Boden der Fliessrinnen und auch auf Bereiche ausserhalb der Rinne in der Konstanzer Bucht und im Ermatinger Becken ausbreiten?
Nach [14] blüht das Schweizer Laichkraut im Gegensatz zum Kamm-Laichkraut spät, von Ende August bis November, eine Fruchtbildung findet daher selten statt. Daher steht eine vegetative Ausbreitung im Vordergrund, z. B. indem Pflanzenfragmente durch die Strömungen oder Vögel verschleppt werden.
Zudem belegt die Wiederentdeckung von über Jahrzehnte verschollenen, nährstoffarme Verhältnisse bevorzugenden Armleuchteralgen [20, 21] die infolge der Sanierungsmassnahmen der Anrainerländer stark reduzierte Nährstoffbelastung des Bodensees. Die durch die Nährstoffabnahme deutlich verbesserten Lichtbedingungen ermöglichten seit Mitte der 1990er-Jahre eine zunehmende Ausbreitung der Wasserpflanzenvegetation in tiefere Bereiche der Flachwasserzone [10, 11, 21, 22]. So könnten die verbesserten Lichtbedingungen Anfang des neuen Jahrtausends zur Ansiedlung des Schweizer Laichkrauts auf der Sohle der Abflussrinnen und die vegetative Ausbreitung in den Folgejahren zu den ab 2007 messbaren Zunahmen der Seespiegeldifferenzen geführt haben.
In den Sommermonaten sind die Wasserstandsdifferenzen durch die saisonalen Bestände anderer submerser Wasserpflanzenarten gegenüber den Wintermonaten nochmals deutlich erhöht. Die stauende Wirkung dieser Bestände beschränkt sich auf die Wuchsbereiche ausserhalb der Fliessrinnen. Allerdings überwintern auch Armleuchteralgen zunehmend grün und bewirken auch ausserhalb der Rinnen eine Strömungsberuhigung und Aufsedimentierung des Seebodens [23].
Der Vergleich der Abundanz der Wasserpflanzenarten aus ak­tuellen Erhebungen [4] mit der Erhebung von 1993 mit einer deutlichen Abnahme von nährstoffliebenden Arten wie dem Kamm-Laichkraut zugunsten von Arten wie den Armleuchteralgen, die nährstoffarme Bedingungen benötigen und aktuell bis zu einer Tiefe von 14 m wachsen, bestätigt verbesserte Lichtbedingungen und die Fortsetzung des Trends der Nährstoffabnahme im Bodensee.

Auswirkungen der der veränderten Seespiegel auf die Flachwasserzone 

Die steigenden Seespiegel könnten auch Konsequenzen auf andere Pflanzengemeinschaften der Bodenseeuferzone, wie Strandrasen und Röhrichte, haben. Die Strandrasen mit der endemischen Strandschmielen-Gesellschaft (Deschampsietum rhenanae) wachsen an kiesigen Uferabschnitten mit einem Gefälle von ca. 1:10 bis 1:30 im Höhenbereich von ca. der Mittelwasserlinie (Pegel Konstanz 331 cm) bis ca. 50–60 cm oberhalb davon [24]. Die Charakterarten Bodensee-Vergissmeinnicht (Myosotis rehsteineri), Strandling (Littorella uniflora) und Ufer-Hahnenfuss (Ranunculus reptans) konnten sich in den letzten Jahrzehnten seewärts ausdehnen und damit ihre Bestände deutlich vergrössern. Allein die für den Bodensee endemische Bodensee-Schmiele (Deschampsia rhenana) konnte diesem Trend nicht folgen.
Für die Strandrasen wäre eine starke Zunahme des Seespiegels des Obersees kritisch, da viele Flachwasserbereiche durch Verbauung landseits eingeschränkt sind, die Bestände daher nicht landseits ausweichen können und sich so der Lebensraum der Strandrasen dauerhaft verringern würde. Auch eine Reduzierung der saisonalen Wasserstandsschwankungen, wie sie infolge der klimatischen Entwicklung zu beobachten ist, würde den Lebensraum des Strandrasens vermindern.
Die seeseitige Front der Schilfröhrichte liegt ca. 50 cm (max. bis 100 cm) tiefer als die der Strandrasen. Sie reagieren negativ auf frühe starke Hochwasser, so wie es 1999 der Fall war [25, 26]. In den letzten 15 Jahren konnte sich das Röhricht wieder deutlich seewärts ausbreiten [27]. An die erhöhten Seespiegel kann sich das Schilf (und auch andere Röhricht-Arten) kurzfristig anpassen. Die durch die abflussmindernde Wirkung des Schweizer Laichkrauts in Kombination mit den durch die Klimaerwärmung milderen Wintern erhöhten Winterwasserstände könnten aber im Frühjahr zu früherem Auflaufen von Hochwassern führen, was die aquatischen Schilfbestände gefährden könnte. Dem gegenüber stehen jedoch der deutliche Pegelabfall im Bodensee im Verlauf des 20. Jahrhunderts und die klimatische Entwicklung, die zu einer geringeren Schneespeicherung im alpinen Einzugsgebiet und somit einem geringeren Schmelzwasserabfluss führt.
Mit der Wiederbesiedlung der Ausstrombereiche durch das Schweizer Laichkraut werden Bereiche des Seebodens bedeckt, die in den Jahrzehnten zuvor frei lagen und somit einer erhöhten Erosionsgefährdung ausgesetzt waren. Erosionsvorgänge werden in verschiedenen Bereichen des Ausstroms beobachtet und tragen zu Schäden an archäologischen Relikten, wie etwa steinzeitliche Pfahlbauten, bei [23, 28]. Auch grün überwinternde Armleuchteralgen breiten sich vermehrt aus und mindern damit die Erosionsgefährdung [23].

Schlussfolgerungen für die Praxis 

Die Untersuchungen zeigen am Beispiel des Schweizer Laichkrauts einmal mehr den Erfolg der Sanierungsmassnahmen der Anrainerländer des Bodensees, die die Nährstoffbelastung des Sees durch eine konsequente Abwasserbehandlung senkten. Damit wurde die Grundlage für eine Angleichung der Vegetationsverhältnisse an die Situation vor der Periode des starken Nährstoffanstiegs geschaffen. Tatsächlich zeigt sich eine gute Resilienz bei den Wasserpflanzen, deren Bestände sich an die veränderten Verhältnisse anpassen. Annähernd verschwundene Arten wie das Schweizer Laichkraut etablieren sich wieder. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die Pegelunterschiede der beiden Seeteile führen ebenfalls zu einer Annäherung an historische Verhältnisse, wenngleich weitere Faktoren wie die Stauhaltung im Einzugsgebiet oder die Folgen der klimatischen Veränderungen ebenfalls einen Einfluss haben. Allerdings haben sich die Uferbereiche infolge der Siedlungs- und Tourismusentwicklung im Verhältnis zu Anfang des
20. Jahrhunderts stark verändert, sodass der Lebensraum von Lebensgemeinschaften wie dem Strandrasen oder dem Röhricht stark eingeschränkt wurde. Zum Erhalt dieser Lebensgemeinschaften der Uferzone bedarf es aufgrund der «eingeengten» Verhältnisse eines besonderen Schutzes und ggf. einer gezielten Renaturierung, um deren Resilienz zu stärken.
Die Verminderung der bodennahen Strömungsgeschwindigkeiten durch das sich ausbreitende Schweizer Laichkraut und grün überwinternde Armleuchteralgen trägt zu einem besseren Erosionsschutz bei und damit auch zum Erhalt archäologischer Denkmäler, die sich im Seeboden befinden.
Die klimatischen Veränderungen haben in den letzten Jahrzehnten zu einem tendenziellen Rückgang der sommerlichen Wasserstände geführt. Davon betroffen ist u. a. die Schifffahrt, die bei sehr niedrigen Wasserständen Landestellen oder Häfen nicht mehr anfahren kann. Der Aufstau des Sees aufgrund der Ausbreitung des Schweizer Laichkrauts wirkt – zum Nutzen für die Schifffahrt – dem Rückgang der sommerlichen Wasserstände entgegen.

Bibliographie

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Dank

Diese Studie erhielt Unterstützung durch das Forschungsprojekt «SeeWandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» im Rahmen des Interreg-V-Programms «Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (Deutschland/Österreich/Schweiz/Liechtenstein)» sowie Fördergelder vom Schweizer Bund und von den Kantonen. Es bestand keine aktive Mitwirkung seitens der Geldgeber bei der Entwicklung des Studiendesigns, der Datenerfassung und -analyse, der Entscheidung zur Veröffentlichung oder bei der Erstellung des Manuskriptes. Die Taucharbeiten wurden von Martin Mainberger (UWARC) durchgeführt. Das Foto des Bodensee-Vergissmeinnichts wurde von Irene Strang für diesen Artikel zur Verfügung gestellt.

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