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Fachartikel
28. September 2017

Wasseraustritte unter der Wasserkirche von Zürich

«Blut der Märtyrer»

Trübes, nach Schwefel riechendes Wasser sowie Blut der Stadtheiligen von Zürich sollen aus einem Rinnsal beim Neubau der Kirche in der Baugrube geflossen sein. So beschrieb der Chronist Martin von Bartensteyn im späten 15. Jahrhundert den Wasseraustritt unter der heute an der Limmat gelegenen Wasserkirche in Zürich. Die gegenüber dem Wasser der Limmat als andersartig empfundene Beschaffenheit des austretenden Wassers im Kellergeschoss der Kirche erinnert an hydrochemische Vorgänge, wie sie heute bei der Infiltration von Flusswasser beobachtet werden.
Eduard Hoehn, Peter Haldimann, 

Einleitung

Die Wasserkirche in der Altstadt von ZĂŒrich liegt heute am Ufer der Limmat (Koo.: ca. 2’683’33/1’247’13). Sie wurde ursprĂŒnglich auf einer kleinen Insel erbaut, am Ausfluss des ZĂŒrichsees nahe dem östlichen Ufer. Ein erster Bau ist dokumentiert aus dem 10. Jh. [1, 2]. Mit der Kirche wurde das Gebiet der Insel weitgehend ĂŒberbaut. Bei frĂŒhen Umbauten im Mittelalter wurden die Böden der Unterkirche und des Erdgeschosses infolge von WassereinbrĂŒchen nach und nach angehoben. Die heutige Kirche wurde 1479 bis 1484 mit einer Krypta neu gebaut. Neben dem Wunsch nach ReprĂ€sentativitĂ€t dĂŒrften die UnterspĂŒlung der Fundamente bei HochwĂ€ssern sowie differentielle Setzungen des Mauerwerks GrĂŒnde fĂŒr den Neubau der Kirche 1479 bis 1484 gewesen sein [3]. Um 1791/1792 wurde sie zusammen mit dem nördlich angebauten GebĂ€ude, dem «Helmhaus», erneuert. Im heutigen Untergeschoss der Kirche, im «ArchĂ€ologischer Keller», ragt ein grosser Findling, der so genannte «MĂ€rtyrerstein», etwa 0,7 m aus dem Boden. Nach einer Legende sollen an dieser Stelle die drei Stadtheiligen, Felix, Regula und Exuperantius als Mitglieder der ThebĂ€ischen Legion wegen ihres christlichen Glaubens enthauptet worden sein.
Der Neubau von 1479 bis 1484 wurde vom Chronisten Martin von Bartensteyn beobachtet und dokumentiert [4]. Er beschrieb eine «Quelle» (Wasseraustritt, Rinnsal, Aufstoss), die wĂ€hrend der Bauarbeiten unter der Wasserkirche entdeckt worden war. Man hatte festgestellt, dass dieser Wasseraustritt eine andere Beschaffenheit hatte als das Wasser der Limmat. In der vorliegenden Arbeit werden die Beobachtungen ĂŒber die Beschaffenheit des Quellwassers im Licht heutiger hydrogeologisch-wasserchemischer Kenntnisse neu interpretiert. Die Wasseraustritte werden als Infiltratwasser (versickertes Wasser der Limmat) gedeutet.

Geologisch-hydrologische Grundlagen

Die nacheiszeitlichen geologischen und topografischen VerhĂ€ltnisse im Gebiet der Wasserkirche wurden von Schindler [5] beschrieben und ergĂ€nzt in den ErlĂ€uterungen zum Geologischen Atlas der Schweiz 1:25 000, Blatt 1091 ZĂŒrich [6]. Die kleine Insel dĂŒrfte seit dem RĂŒckzug des Gletschers nach der letzten Eiszeit bestanden und die OberflĂ€che des Terrains damals etwa auf der in Figur 1 dargestellten Höhe gelegen haben [5]. Der geologische Untergrund als Baugrund fĂŒr die Kirche besteht im nördlichen Bereich der Insel aus einem Gemisch von umgelagertem und schlecht sortiertem Kies und Sand, in einer Matrix aus Silt und Ton, und ohne Vorbelastung durch Gletschereis. Escher u. BĂŒrkli [7] beschreiben «schichtungslosen Molasseschutt und MorĂ€netrĂŒmmer mit örtlich Einlagerungen von Sand und Kies». Heute sprechen wir von heterogen aufgebauter MorĂ€ne. Auch im östlich und sĂŒdlich gelegenen Bereich der Insel wird der Untergrund aus MorĂ€ne mit Findlingen des ZĂŒrichIV-Stadiums des Linthgletschers aufgebaut [6]. Westlich der Insel und am West­ufer der Limmat liegen sandige Hochwasser-Sedimente eines alten Flussarmes der Sihl (Fig. 1). An einer Stelle wurden bei archĂ€ologischen Grabungen sandige Sedimente auch unter der Insel aufgeschlossen [3]. Vermutlich handelt es sich dabei um Sandlinsen in der MorĂ€ne. Sie alle weisen eine gewisse DurchlĂ€ssigkeit fĂŒr Grundwasser auf.
Der schmale Ast der Limmat östlich der Insel wurde 1791 teilweise trockengelegt und 1839 kĂŒnstlich aufgefĂŒllt [3]. Sowohl in der trockengelegten Rinne als auch im heutigen Bett der Limmat sind einzelne Steine und Findlinge mit weissem Kalk ĂŒberkrustet [5, 6]. Dabei dĂŒrfte es sich um Versinterungen handeln.
Die SeestĂ€nde und der Abfluss der Limmat im spĂ€ten Mittelalter und der Neuzeit wurden neu von NĂ€f-Huber et al. analysiert [8]. Auf der Höhe der Wasserkirche dĂŒrfte der Wasserspiegel im Mittelalter bei Hochwasser bei max. 408 mâ€‰ĂŒ. M., bei Niedrigwasser knapp ĂŒber der Sohle der Limmat bei etwa 403 m ĂŒ.M. gelegen haben (Fig. 1). HochwasserstĂ€nde sollen in den Jahren 1511, 1566 und 1762 aufgetreten sein. Der heutige Seespiegel wird durch ein Wehr reguliert und liegt zwischen 405,5 und 406,1 mâ€‰ĂŒ. M. [8].
Wo FliessgewĂ€sser ĂŒber wasserdurchlĂ€ssigen Lockergesteinen fliessen, zirkuliert im Untergrund Grundwasser. Falls der Grundwasserspiegel in diesen Sedimenten tiefer liegt als der Wasserspiegel des FliessgewĂ€ssers, kann das FliessgewĂ€sser Wasser in den Untergrund verlieren (infiltrieren) und so das Grundwasser anreichern [z. B. 9]. Voraussetzung dafĂŒr ist, dass sich im Flussbett keine wasserundurchlĂ€ssige feinkörnige Schicht mit anorganischen und organischen Sedimenten (Kolmationsschicht) ausgebildet hat. In vielen FlĂŒssen bilden sich Kolmationsschichten, vor allem bei Niedrigwasser und bei geringer Strömung. Bei Hochwasserwellen kann diese Schicht weggespĂŒlt und zerstört werden (FilterwĂ€sche). Deshalb ist die Infiltrationsleistung von FlĂŒssen nach Hochwasserspitzen am höchsten. Nur in speziellen FĂ€llen kann Wasser auch aus Seen infiltrieren, nĂ€mlich wenn der Seeboden teilweise durchlĂ€ssig ist [z. B. 10], oder wenn infolge von Baumassnahmen durch die Kolmationsschicht hindurch ein hydraulischer Kontakt zu einer grundwasserleitenden Schicht hergestellt wurde [z. B. 11].
Vor diesem Hintergrund kann das Auftreten eines Wasseraustritts unter der Wasserkirche hydrogeologisch erklÀrt werden. Der Wasserspiegel der Limmat lag oft höher als die Sohle der Baugrube bzw. der Boden der Unterkirche. Wenn die allfÀllig vorhandene Kolmationsschicht zerstört wurde, sei es durch Grabungen in der Baugrube oder durch Hochwasser in der Limmat, konnte Infiltratwasser eindringen [12].

aus den Schriften eines Chronisten des 15. JH.

Der aus Franken stammende Augustiner-Chorherr Martin von Bartensteyn wirkte in ZĂŒrich im ausgehenden 15. Jahrhundert als Chronist [4]. Er beschrieb um 1480 als Zeitzeuge die damaligen Tiefbauarbeiten an der Wasserkirche und am Helmhaus wie folgt (Übersetzung des Originaltextes aus [4], leicht verĂ€ndert): «Als die Kirche und alles GemĂ€uer bis auf den Grund abgebrochen war, wurden doppelte Versenkungskasten (Wasserstuben) gegen das Wasser hin erstellt und schwere HolzpfĂ€hle in den Baugrund versetzt, einer nach dem andern. Die HolzpfĂ€hle wurden mit einem eichenen Rost versehen, der einen ebenen Lehmboden erhielt. Darauf wurden die Ecksteine/Grundsteine und die Mauern errichtet. Obwohl damals der Wasserstand der Limmat im Winter immer tief lag, so war er in den Wintern der Bauzeit tiefer denn je, sodass die Kirche ganz im Trockenen stand. Doch drang eine kleine Wasserader unter dem Helmhaus hervor, da, wo jetzt mit Ketteneimern Wasser fĂŒr die Stadt gefördert wird.»
GemĂ€ss dem Chronisten Bartensteyn fanden die Bauarbeiten also vorab im Winter im Trockenen statt. Die Bauperiode 1479 bis 1484 zeichnete sich durch kalt-trockene Winter und FrĂŒhjahre mit Bisenlagen aus (Historisches Lexikon der Schweiz). Damals dĂŒrften in der Limmat jeweils eher tiefe WasserstĂ€nde vorgeherrscht haben. In den ĂŒbrigen Jahreszeiten wird wohl an gewissen Stellen bei höherem Wasserstand zeitweise etwas Infiltrat der Limmat von der Seite her in die Baugrube gesickert oder von unten her aufgestossen sein. Nach Aussagen von Salomon Vögelin [13] wurden beim Umbau fĂŒr das neue Helmhaus 1791/1792 wiederum Wasseraustritte bemerkt, und zwar nicht nur an der alten Stelle von 1479 bis 1484, sondern auch an mehreren weiteren Stellen unter der Wasserkirche. Bei diesem jĂŒngeren Umbau wurde die Baugrube mit Pumpen trocken gehalten, und ein Aufstoss wurde als Sodbrunnen gefasst [13]. Damals wurde das gefasste Wasser durch die Bevölkerung als «Heilquelle» bezeichnet. In einem Plan (Abb. 23 in [4]) sind Wasseradern eingezeichnet, die – offenbar durch einen RutengĂ€nger bestimmt – quer durch das ganze Schiff verlaufen sollen. Ob solche Adern in dieser Form bestehen, darf bezweifelt werden.
Zeitweise auftretende Wasseraustritte in der Unterkirche bzw. der Krypta der Wasserkirche waren möglich dank des Wechselspiels von Kolmation des Flussbetts der Limmat bei Niedrig- und bei Mittelwasser und Dekolmation bei Hochwasser oder bei Tiefbauten im Bereich der Insel. Eine Re-Kolmation erfolgte vermutlich erst nach Monaten bis Jahren (s. hierzu z. B. [14]). So gerieten die Wasserzutritte nach Beendigung der frĂŒhen Baumassnahmen in Vergessenheit. Ribi [4] glaubte, dass diese wohl unter der Last der neu erstellten Bauwerke versiegt seien. VollstĂ€ndig versiegt sind sie aber bis heute nicht. So war z. B. 1999 die Krypta nach einem Hochwasser mit Pegelstand von max. 407 m ĂŒ. M. nass. 2004/2005 wurde das Untergeschoss der Wasserkirche umfassend erneuert und als «ArchĂ€ologischer Keller» fĂŒr die Bevölkerung geöffnet [2]. Dabei wurden auf das gewachsene Terrain planierter Kies und Sand eingebracht, was Wasserzutritte kaum unterbinden kann.
Interessanterweise Ă€usserte sich der Chronist auch ĂŒber die Beschaffenheit der Wasseraustritte (Übersetzung des Originaltextes aus [4], leicht verĂ€ndert): «Beim Rinnsal wurde eine Grube gegraben, aus welcher man das Wasser mit hölzernen SchĂŒsseln schöpfte. Dieses Wasser war dem anderen Seewasser nicht gleich an Aussehen und Geschmack, nĂ€mlich etwas weisser und nicht in gleichem Mass durchsichtig wie jenes. Es roch von Beginn an etwas schweflig. Als die Kirche ganz abgebrochen war, floss die Quelle direkt aus dem Kirchengrund, und der schweflige Geruch machte sich stĂ€rker bemerkbar.»
Der Chronist deutete das 1479 bis 1484 entdeckte Quellwasser als «Blut der heiligen MĂ€rtyrer» (mehrheitlich eigene sinngemĂ€sse Übersetzung von Teilen des Originaltextes [3]): «An der Richtstatt machten die Christenmenschen eine Kapelle ĂŒber dem Stein, auf welchem die MĂ€rtyrer ihr Blut vergossen hatten. Danach geschahen Wunder und Zeichen. Auch nach 900 Jahren, als man die Kapelle erneuert und eine Krypta errichtet hatte, verloren diese Zeichen und Wunder ihren Glanz nicht. Als man bis zum Stein vordrang, wurde, von allen Leuten bewundert, das Blut so frisch aufgefunden, wie es vor 900 Jahren war.» Dies dĂŒrfte ein wichtiger Grund gewesen sein, dass das Wasser von der Bevölkerung als «Heilquelle» bezeichnet worden war.

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Zusammensetzung von Infiltratwasser

Frisch infiltriertes Wasser aus FliessgewĂ€ssern Ă€ndert sich in seiner Beschaffenheit. Die VerĂ€nderungen sind umso stĂ€rker, je mehr das FliessgewĂ€sser mit organischen Stoffen belastet ist (z. B. [15–17]). Als Folge der Infiltration von organischem Material aus dem FliessgewĂ€sser veratmen Mikroorganismen im Infiltrat den Sauerstoff, vor allem in der Kolmationsschicht des Flussbetts und bei sommerlich hohen Wassertemperaturen (aerobe Respiration). Das organische Material wirkt dabei als Reduktionsmittel. Durch Oxidation der organischen Substanz wird der CO2-Partialdruck im Wasser um 1 bis 2 Grössenordnungen erhöht. Dadurch werden im Untergrund Lösungsreaktionen ausgelöst bzw. intensiviert [18]. Das Infiltratwasser wird besonders gegenĂŒber Seewasser, aber auch gegenĂŒber Flusswasser, hĂ€rter infolge der Auflösung von Karbonatgesteinen (Kalk und Dolomit).
Falls der Sauerstoff vollstĂ€ndig verbraucht wird, beginnt eine Abfolge von weiteren Redoxreaktionen, die durch Mikroorganismen ausgelöst werden (mikrobiell mediierte Redoxsequenz). Diese Sequenz ist eine Folge der progressiven Reduktion der RedoxintensitĂ€t im Wasser (Box 1, [z. B. 18]). In den oben erwĂ€hnten modernen Beispielen von Untersuchungen ĂŒber Infiltration wird gemĂ€ss dieser Redoxsequenz zuerst das heute vielerorts im Übermass vorhandene Nitrat zu Nitrit und Ammonium reduziert. Die höherwertigen Metalle Mangan und Eisen können zu wasserlöslichem Mangan und Eisen reduziert werden [z. B. 16]. In einem weiteren Schritt wird, allerdings eher selten, Sulfat zu (nach «Schwefel» riechenden) Sulfiden bzw. Schwefelwasserstoff reduziert. Diese Redoxsequenz kann auch in Sedimenten eutropher Seen beobachtet werden [18].
Wenn reduziertes Infiltratwasser wieder an die AtmosphĂ€re austritt, z. B. in flussnahen Baugruben, oder aus Bohrlöchern durch Pumpen gefördert, kehrt diese Redox-Sequenz rasch um. An der AtmosphĂ€re kann zunĂ€chst allenfalls reduzierter Schwefel noch als ĂŒbel riechendes Sulfid wahrgenommen werden. Eisen fĂ€llt kolloidal als rotbrauner Ocker (Oxid/Hydroxid-Schlamm) aus, Mangan kolloidal als schwĂ€rzlicher Braunstein. Gelegentlich wird das austretende Infiltratwasser an der AtmosphĂ€re milchig, weil infolge der geringeren CO2-Konzentration in der AtmosphĂ€re Kalk ausfĂ€llt. Bei natĂŒrlichen Quellen können sich aus diesem Grund WĂ€nde aus Sinterkalk (Quelltuff) bilden.

«Blut der heiligen MĂ€rtyrer» – Hydrogeologische Interpretation

Der Bericht des Chronisten Martin von Bartensteyn ĂŒber bauliche und hydrochemische Befunde beim Neubau der Wasserkirche kann heute schlĂŒssig hydrogeologisch interpretiert werden. Die Beobachtung der von OberflĂ€chenwasser abweichenden Zusammensetzung des Infiltratwassers ist nachvollziehbar und glaubwĂŒrdig. Bei der Infiltration aus der Limmat in den Untergrund hĂ€rtete sich das weiche Wasser des ZĂŒrichsees auf. Beim Wiederaustreten des Infiltrats in die Baugrube bzw. Krypta der Wasserkirche konnte dieses sich durch ausgefĂ€llten Kalk trĂŒben. Über die EhgrĂ€ben am Seerand im Quartier «Oberdorf» der Stadt ZĂŒrich dĂŒrfte das Wasser der Limmat genĂŒgend reich an organischem Material gewesen sein, sodass ein rascher Verlust des gelösten Sauerstoffs im Infiltrat erklĂ€rt werden kann. Mit Stickstoff hingegen war es vor der Industrialisierung vermutlich weniger belastet als heute. Deshalb blieb wohl damals die Abfolge der Redoxreaktionen, wie sie in Box 1 aufgezeichnet ist, nicht bei der Reduktion von ĂŒberschĂŒssigem Nitrat stehen, wie das heute vielerorts der Fall ist. Vielmehr könnten Eisen und wahrscheinlich auch Mangan rasch nach dem Versickern des Flusswassers im Untergrund in Lösung gegangen sein.

Wie ist das vom spĂ€tmittelalterlichen Chronisten beschriebene «Blut der heiligen MĂ€rtyrer» zu interpretieren? Beim Wiederaustritt im Innern der Kirche dĂŒrfte sich das aus der Limmat versickerte Wasser durch ausgefĂ€llten feinkörnigen Eisenocker rotbraun gefĂ€rbt haben. Dieses PhĂ€nomen, wie auch der «Schwefelgeruch», beeindruckten die Zeitgenossen und konnten damals nicht erklĂ€rt werden. Beides trug wohl mit zur Bezeichnung dieses Wassers als «Heilquelle» bei.
Das Auftreten des Geruchs nach Schwefelwasserstoff ist auch aus heutiger Sicht erstaunlich. FĂŒr eine Sulfatreduktion im Infiltratwasser mĂŒssen theoretisch alle anderen in der Abfolge der Redoxreaktionen in Box 1 auftretenden Oxidationsmittel (O2, NO3–, Mn- und Fe-Oxide) aufgebraucht worden sein. Eine ErklĂ€rung hierfĂŒr könnte sein, dass die Sedimente im Flussbett und in der MorĂ€ne, in denen das Infiltratwasser fliesst, heterogen aufgebaut sind (Fig. 1). In diesen Schichten sind Kleinkompartimente mit geringer Wasserströmung denkbar (z. B. toter Porenraum in ZwischenrĂ€umen von Gesteinskörnern), in welchen das Infiltratwasser örtlich stĂ€rker reduziert wurde als im fliessenden Infiltrat. Dort wo der Reduktionsprozess bis zur Sulfatreduktion fortschritt, entwickelte sich beim Wiederaustritt des Wassers im Innern der Baugrube bzw. der Krypta der charakteristische Geruch nach Schwefelwasserstoff.
Damit haben die Beobachtungen des Chronisten und sein Dokument einen naturwissenschaftlich-technischen Zeugniswert, der ĂŒber die kulturgeschichtliche Bedeutung hinausgeht.

Bibliographie

[1] Barraud Wiener, Ch.; Jezler, R. (1999): Die Stadt ZĂŒrich I: Stadt vor der Mauer, mittelalterliche Stadtbefestigung und Limmatraum. Die KunstdenkmĂ€ler des Kantons ZĂŒrich N.A. Bd. I, Basel 1999, 204–251
[2] Wild, D.; Motschi, A.; Langenegger, E. (2005): ArchĂ€ologie in der ZĂŒrcher Wasserkirche, ArchĂ€ol. Schweiz 28/3, 2–15
[3] Vogt, E.; Herter, H. (1943): Wasserkirche und Helmhaus in ZĂŒrich, Baugeschichte, ZĂŒrich, Orell FĂŒssli, ZĂŒrich
[4] Ribi, A. (1942): Ein zeitgenössisches Zeugnis zum Umbau der ZĂŒrcher Wasserkirche von 1479–1484, Zschr. schweiz. ArchĂ€ol. Kunstgeschichte 4/2, 97–109
[5] Schindler, C. (1971): Geologie von ZĂŒrich und ihre Beziehung zu Seespiegelschwankungen, Viertelj.schr. natf. Ges. ZĂŒrich 116, 284–318
[6] Pavoni, N. et al. (2015): ErlĂ€uterungen, Geol. Atlas Schweiz 1:25 000 Bl. 1091 ZĂŒrich, swisstopo, 176 pp.
[7] Escher von der Linth, A.; BĂŒrkli, A. (1871): Die WasserverhĂ€ltnisse der Stadt ZĂŒrich und ihrer Umgebung, Neuj.bl. natf. Ges. ZĂŒrich 73, 51 pp.
[8] NĂ€f-Huber, D. et al. (2016): Hochwasserschutz ZĂŒrich – SeestĂ€nde und Abfluss, Wasser-Energie-Luft 108/2, 109–114
[9] JĂ€ckli, H. (1974): Grundwasser und OberflĂ€chengewĂ€sser in ihren gegenseitigen Beziehungen, J.ber. Mitt. oberrhein. geol. Ver. nF 56, 125–143
[10] Massmann, G. et al. (2008): Seasonal and spatial distribution of redox zones during lake bank filtration in Berlin, Germany. Environ. Geol. 54/1, 53–65
[11] Geol. BĂŒro Dr. H. JĂ€ckli AG (1987): Grundwasserverunreinigung 1985 im PW Delphin (Seezopf), Gemeinde Meisterschwanden, unveröff. Ber., 10.2.87, 29 pp.
[12] Hug, J. in JĂ€ckli, H. (1989): Geologie von Zürich. S. 158, Orell Füssli, ISBN
3 280 01964 8, 215 S.
[13] Vögelin, S. (1848): Geschichte der Wasserkirche und der Stadtbibliothek in ZĂŒrich, in Kommission bei Orell FĂŒssli ZĂŒrich, 136 pp.
[14] Doppler, T. et al. (2007): Field evidence of a dynamic leakage coefficient for modelling river-aquifer interactions, J. Hydrol. 347/1+2, 177–187
[15] JĂ€ckli, H.; Ryf, W. (1978): Die GrundwasserverhĂ€ltnisse im unteren aargauischen Aaretal, Wasser Energie Luft 70/3+4, 53–61
[16] Hoehn, E.; Zobrist, J.; Schwarzenbach, R.P. (1983): Infiltration von Flusswasser ins Grundwasser – hydrogeologische und hydrochemische Untersuchungen im Glatttal, Gas-Wasser-Abwasser 63/8, 401–410
[17] Bourg, A.C.M.; Bertin, C. (1994): Seasonal and spatial trends in manganese solubility in an alluvial aquifer, Environ. Sci. Technol. 28/5, 868–876
[18] Stumm, W. (1988): Chemische Prozesse bei der Bildung anoxischer Grundwasser, Schweiz. Ing. Arch. 106/6, 149–150

Abfolge der mikrobiell mediierten Redoxreaktionen bei der Infiltration von organisch belastetem Flusswasser ins Grundwasser (aus [18], vereinfacht); CH2O, Kurzformel fĂŒr organische Stoffe:

(1) Aerobe Respiration

1/4 CH2O + 1/4 O2 = 1/4 CO2 + 1/4 H2O

(2a) Denitrifikation

1/4 CH2O + 1/5 NO3– + 1/5 H+ = 1/4 CO2 + 1/10 N2 + 1/2 H2O

(2b) Nitrat-Reduktion

1/4 CH2O + 1/8 NO3- + 1/4 H+ = 1/4 CO2 + 1/8 NH4+ + 1/2 H2O

(3) Bildung von löslichem Mangan durch Reduktion von Manganoxiden

1/4 CH2O + 1/2 MnO2(kolloidal) + H+ = 1/4 CO2 + 1/2 Mn2+ + 1/8 H2O

(4) Bildung von löslichem Eisen durch Reduktion von Eisen(III)-Oxiden

1/4 CH2O + FeOOH(kolloidal) + 2H+ = 1/4 CO2 + 7/4 H2O + Fe2+

(5) Sulfat-Reduktion, Bildung von Sulfiden/Schwefelwasserstoff

1/4 CH2O + 1/8 SO42- + 1/8 H+ = 1/8 HS– + 1/4 CO2 + 1/4 H2O

 

Verdankung

Wir danken Dölf Wild (Amt fĂŒr ArchĂ€ologie der Stadt ZĂŒrich) und JĂŒrg Zobrist (vorm. Eawag/ETHZ, DĂŒbendorf) fĂŒr eine kritische Durchsicht des Manuskript-Entwurfs. 

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