Die Instandhaltung und Überwachung von Trinkwassernetzen stellt Wasserversorger vor erhebliche Herausforderungen. Laut SVGW kommt es in der Schweiz täglich zu durchschnittlich 27 Rohrbrüchen, was zu einem jährlichen Wasserverlust von etwa 109 Mio. Kubikmetern führt. Dies entspricht rund 12% der gesamten Trinkwasserabgabe in der Schweiz [1].
Ein wesentlicher Faktor für diese Verluste ist die unzureichende Datengrundlage zur Zustandsbewertung des Rohrnetzes. Ohne regelmässige Inspektionen bleiben Schäden oft unentdeckt, bis es zu einem akuten Ausfall kommt. Dies führt zu hohen Instandhaltungskosten, Notfalleinsätzen und Versorgungsunterbrechungen. Gleichzeitig steigt bei den Wasserversorgern der wirtschaftliche Druck, Betriebskosten zu optimieren und Investitionen gezielt zu steuern.
Moderne Inspektionstechnologien ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von Leckagen. Dadurch werden undichte Stellen schnell erkannt und die Ausfallzeiten können kurz gehalten werden. Hingegen ist eine so genannte predictive Maintenance (vorausschauende Wartung) mit dieser Technologie nicht möglich, da Korrosion und strukturellen Schwächen nicht erkannt werden. Erst durch die Erfassung genauerer Daten könnten ungeplante Kosten reduziert und die Versorgungssicherheit erhöht werden. Eine datenbasierte Entscheidungsgrundlage verbessert zudem die Planung und Budgetierung und trägt zur nachhaltigen Nutzung der bestehenden Infrastruktur bei.
Der aktuelle Stand der Technik in der Überwachung von Trinkwasserleitungen umfasst verschiedene Methoden und Technologien, wie z. B. Hydrophone zur Netzüberwachung, akustische Triangulation von bestehenden Lecks, Wasserverbrauchsmessungen und Drucktests. In die Leitungen eingebrachte Lösungen wie Molche oder schwimmende Sonden werden ebenfalls eingesetzt. Bestehende Technologien bieten jedoch keine autonome Fortbewegung, was die präzise Datenerfassung im laufenden Betrieb verunmöglicht. All diese Begebenheiten führen dazu, dass nur reaktive Kontrollen durchgeführt werden können und somit nur bestehende Lecks entdeckt werden.
Genau hier setzt fluidbot an. Ausgestattet mit verschiedensten Sensoren, präziser Steuerung und autonomer Navigation, ermöglicht der Roboter eine hochauflösende Datenerfassung – auch bei sich in Betrieb befindenden Leitungen. Dadurch wird erstmalig eine proaktive Kontrolle ermöglicht, wodurch Schwachstellen der Infrastruktur bereits vor der Entstehung eines Lecks aufgedeckt werden können.
Das Schweizer Technologieunternehmen fluidbot AG mit Sitz in Gossau (SG) hat sich zum Ziel gesetzt, einen autonomen Inspektionsroboter für Trinkwassernetze zu entwickeln (Fig. 1). Im Fokus steht ein kompakter, robuster Roboter, der dank modularer Sensorik und intelligenter Software präzise Inspektionen im laufenden Betrieb ermöglicht – auch in schwer zugänglichen Leitungsabschnitten. Algorithmen verarbeiten die erhobenen Daten und stellen sie in einer benutzerfreundlichen Oberfläche dar. Dadurch wird den Versorgungsunternehmen eine fundierte Entscheidungsgrundlage für Unterhalt und Erneuerung ihrer Netze geboten.
«fluidbot minimiert den Trinkwasserverlust durch undichte oder berstende Leitungssysteme.»
Der Roboter erfasst visuelle Daten, um einen ersten Überblick über den Zustand der Leitung zu erhalten. In Zukunft sollen zusätzliche Sensoreinheiten integriert werden, um ein noch umfassenderes Bild der Infrastruktur zu ermöglichen. Eine präzise Positionsbestimmung ermöglicht die exakte Lokalisierung auffälliger Stellen. Technisch ausgelegt für den Einsatz in Leitungen mit Durchmessern zwischen DN 100 und DN 250, kann das System sowohl Kunststoff- als auch Stahlrohre untersuchen. Zudem ist es in der Lage, Hindernisse autonom zu umfahren, Steigleitungen zu durchfahren und sich dynamisch an wechselnde Durchmesser anzupassen (Fig. 2).
Die erhobenen Daten werden durch Algorithmen analysiert. Es wird eine detaillierte Visualisierung der Inspektionsdaten ermöglicht, wo jeder Abschnitt entsprechend seinem Zustand markiert wird Zudem werden auch Analysefunktionen geboten, die den Nutzern helfen, mögliche Probleme wie Leckagen, Korrosion und Deformationen frühzeitig zu erkennen. Dies ermöglicht nicht nur die digitale Darstellung des Leitungszustands, sondern auch die frühzeitige Erkennung von Veränderungen im System. Dies hilft den Entscheidungsträgern hinsichtlich Sanierungsprioritäten oder Investitionsplanung.
Eine nahtlose Integration in bestehende Netzbewirtschaftungs- oder GIS-Systeme ist vorgesehen. Das System unterstützt somit den Übergang von reaktiver zu vorausschauender Instandhaltung – ein wichtiger Schritt angesichts der aktuellen Herausforderungen im Bereich der Trinkwasserversorgung.
Dank der FOWA-Förderung (s. Box) konnte fluidbot einen entscheidenden Entwicklungsschritt realisieren: den Bau eines ersten Funktionsmusters zur Fortbewegung. Dieses sogenannte MVP (Minimum Viable Product) wurde im November 2024 gefertigt, getestet und erstmals öffentlich präsentiert. Es beinhaltet eine Kamera zur Sichtprüfung, einen Neigungssensor zur Lageerkennung sowie einzeln ansteuerbare Motoren, mit denen sich das System an den Innenwänden der Leitungen festhalten und durch Leitungen unterschiedlicher Durchmesser bewegen kann (Fig. 3). Aktuell wird das System weiterentwickelt und für erste Tests unter realen Bedingungen in Trinkwasserleitungen vorbereitet.
Die Entwicklung des Inspektionsroboters erfolgt in mehreren Etappen, die sowohl die technische Machbarkeit als auch die Anforderungen aus der Praxis berĂĽcksichtigen.
Im September 2025 ist die Fertigstellung der Version 2 geplant (Fig. 4). Diese Weiterentwicklung wird erstmals über ein vollständig wasserdichtes Gehäuse verfügen. Damit wird es möglich sein, den Roboter in Wasserleitungen einzusetzen und erste Inspektionsfahrten durchzuführen. Ziel ist es, die Fortbewegung in nassen, realen Umgebungen zu testen und die Systemstabilität zu validieren. Die dabei gesammelten Daten dienen als wichtige Grundlage für die Optimierung von Antrieb, Dichtung, Steuerung, Algorithmen und Energieversorgung.
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Bis Mitte 2026 soll die Version 3 bereitstehen. Diese wird nicht nur wasserdicht, sondern zusätzlich druckbeständig und lebensmittelecht sein, sodass der Einsatz auch in Versorgungsleitungen mit Umgebungsdruck möglich wird. Parallel dazu werden erste Sensormodule integriert. Diese zusätzlichen Module sollen die Aussagekraft der Inspektion durch die Erkennung von Korrosion und Deformation erheblich verbessern und eine Grundlage für eine umfassende Zustandsbewertung der Leitungssysteme schaffen. Zudem wird weitere Prozess-Sensorik verbaut, um eine Qualitätssicherung des Trinkwassers durchzuführen.
Diese Entwicklungsschritte werden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern und Pilotkunden realisiert und ebnen den Weg zu einem marktreifen System, das langfristig zur Effizienzsteigerung und Risikominimierung in der Wasserversorgung beiträgt.
Viele Leitungen sind Jahrzehnte alt und nur eingeschränkt überwachbar. Schäden treten oft unerwartet auf – mit beträchtlichen Folgen: Unterbrüche in der Versorgung, hohe Reparaturkosten, Verkehrsbehinderungen und erhebliche Wasserverluste. Studien zeigen, dass bis zu 85% dieser Schäden durch eine frühzeitige Zustandsüberwachung vermeidbar wären, da es sich um schleichende Prozesse wie Korrosion oder Setzungen handelt.
Ein aktuelles Beispiel dafür liefert der Fall in der Alten Jonastrasse in Rapperswil-Jona: Innerhalb weniger Stunden kam es dort zu mehreren Leckagen an der gleichen Leitung. Die erste wurde frühmorgens entdeckt und rasch repariert. Wenig später brach die korrodierte rund 80 Jahre alte Leitung an zwei weiteren Stellen [3].
Ein System wie das von fluidbot hätte hier einen entscheidenden Beitrag leisten können. Durch eine Inspektion während geplanter Bau- oder Unterhaltsarbeiten können gefährdete Rohrabschnitte wie Korrosionszonen, Deformationen oder Materialschwächen lokalisiert und dokumentiert und entsprechend repariert werden – bevor es zu einem weiteren Schaden kommt.
Bei Hausanschlüssen ist insbesondere die Übergangsstelle zur Hauptleitung eine potenzielle Risikostelle. Diese sind oft schwer zugänglich für Inspektionen von Aussen und fallen aufgrund kleiner Dimensionen aus dem Raster konventioneller Inspektionssysteme. Während der Roboter von fluidbot in der Hauptleitung vorbeifährt, nutzt er akustische Sensorik, um in den Hausanschluss «hineinzuhören». Dies ermöglicht frühzeitige Erkennung von Wasseraustritten und kann dadurch mittelfristig Betriebskosten und Wasserverluste reduziert.
Die Mehrheit der Schäden – insbesondere durch Korrosion, an Schweissnähten oder Deformationen – kündigen sich frühzeitig an, bleiben aber bislang häufig unentdeckt. Mit autonomen Inspektionssystemen wie jenem von fluidbot können diese Veränderungen frühzeitig detektiert und in strukturierte Entscheidungsgrundlagen überführt werden. So wird aus einem risikobehafteten Blindflug eine datengestützte Planung – effizient, nachvollziehbar und wirtschaftlich.
Die Herausforderungen in der Trinkwasserversorgung nehmen zu – sei es durch alternde Infrastrukturen, steigende Anforderungen an Versorgungssicherheit oder wachsenden wirtschaftlichen und ökologischen Druck. Gleichzeitig fehlen insbesondere kleineren und mittelgrossen Versorgungsbetrieben oft die personellen und technischen Ressourcen, um diesen Anforderungen langfristig gerecht zu werden.
Inspektionen mit einem Roboter bieten nicht nur wirtschaftliche Vorteile – sie leisten auch einen entscheidenden Beitrag zur Versorgungssicherheit, zur Qualitätssicherung und zur Entlastung des täglichen Betriebs. Durch die frühzeitige Erkennung von Schäden, wie etwa beginnende Korrosion oder Deformationen, lassen sich ungeplante Ausfälle und Notfalleinsätze deutlich reduzieren. Dies ermöglicht eine vorausschauende Ressourcen- und Budgetplanung.
Die dadurch gewonnene Datengrundlage ermöglicht nicht nur eine bessere Planung von Unterhaltsmassnahmen, sondern auch eine fundierte und langfristige Infrastrukturstrategie. Gleichzeitig werden Wasserverluste reduziert, Ressourcen geschont und die Versorgungssicherheit gestärkt – zum Nutzen von Wasserversorgern, Behörden und der Bevölkerung.
Mit dem Einsatz autonomer Inspektionssysteme wird aus der Instandhaltung ein datenbasierter, planbarer Prozess – die Grundlage für eine sichere und ressourcenschonende Wasserversorgung der Zukunft.
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[1] SVGW (2024): Statistische Erhebungen der Wasserversorgungen in der Schweiz Betriebsjahr 2023 (W 15001 d/f Ausgabe 2024)
[2] SVGW: Mit dem FOWA gemeinsame Probleme lösen.
[3] Linth-Zeitung (14.03.2025): Ein Rohrbruch kommt selten allein: In der Alten Jonastrasse leckt eine alte Wasserleitung innert Stunden gleich zweimal.Â
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Die Entwicklung des Inspektionssystems der fluidbot AG wird durch den Forschungsfonds Wasser (FOWA) des SVGW unterstützt. FOWA ist ein gezielt eingesetztes Förderinstrument zur Stärkung praxisorientierter Forschung und technologischer Innovationen in der Wasserwirtschaft. Hintergrund ist die zunehmende Komplexität der Aufgaben in Planung, Betrieb und Instandhaltung von Trinkwasserversorgungen. Gerade kleinere und mittelgrosse Versorgungsbetriebe stossen dabei häufig an organisatorische und technische Grenzen [2]. Aus diesem Grund wurde der Förderfonds geschaffen. Ziel ist, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die sowohl für grosse als auch für kleinere Betriebe umsetzbar sind. Der FOWA-Fonds wird durch finanzielle Beiträge von rund 80 Wasserversorgungen, 40 Industriepartnern sowie weiteren Institutionen gespeist. 2022 standen rund 169 000 Franken zur Verfügung. Seit seiner Lancierung im Mai 2012 konnten insgesamt 33 Projekte mit über 1,7 Mio. Franken unterstützt werden. Stets mit dem Ziel vor Augen: Lösungen fördern, die der gesamten Branche zugutekommen [2]. |
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