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Fachartikel
03. Juli 2018

FORSCHUNGSTAG

Von der steigenden Bedeutung des Gases in der Energieversorgung

Rund siebzig interessierte Personen aus Politik, Wirtschaft und von Verbänden nahmen Ende Juni am zweiten Forschungstag der Schweizer Gaswirtschaft teil: Im Fokus des Interesses stand die Rolle von Gas in der Energieversorgung der Zukunft. Organisiert worden war der Anlass im Hybridwerk Aarmatt in Solothurn vom Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG).
  

Eigentlich hätte es am Forschungstag der Schweizer Gaswirtschaft von Ende Juni in Solothurn um Wind und nicht um Gas gegen können: Denn immer wieder pfiff «das himmlische Kind» mit Böenspitzen von bis zu 40 Stundenkilometern um die Zelte, die der VSG zum Empfang und zur Verköstigung seiner rund siebzig Gäste hatte aufstellen lassen.

Die Zukunft zeigen

Doch ganz konzentriert, ohne jegliche Störung von Wind und Wetter, konnte man drinnen in einem Informationscontainer des Hybridwerks den verschiedenen Referaten lauschen. Daniela Decurtins, die Direktorin des VSG, erinnerte noch einmal an den «Leuchtturmcharakter» des Veranstaltungsortes Aarmatt und erklärte die Ziele des Forschungstages: «Das Hybridwerk wurde von der Regio Energie Solothurn realisiert und zeigt sowohl Fachleuten als auch dem breiten Publikum auf, wie der Weg in die Energiezukunft der Schweiz aussehen könnte.» Denn in Zuchwil, so Daniela Decurtins, kreuzten sich die Netze für Strom, Gas und Fernwärme: «Wir haben diesen Veranstaltungsort deshalb ganz bewusst gewählt, um mittels Werkstattberichten und einer praxisnahen Präsentation des Hybridswerks zu erörtern und aufzuzeigen, welche Möglichkeiten die Energieversorgung der Schweiz, vor allem mittels Gas, künftig haben könnte.»

Power-to-Gas

Ebenfalls weitere Details von «Solothurn als Labor für die Energieversorgung der Zukunft», erläuterte Felix Strässle, CEO der Regio Energie Solothurn, in seinem Einführungsreferat: «Herzstück der Anlage Aarmatt ist ein Elektrolyseur, der überschüssigen Strom aus erneuerbarer Energie in Wasserstoff umwandelt und ins Erdgasnetz einspeist. Und wenn man dann den Wasserstoff mit Kohlendioxid angereichert hat, entsteht Methan, das ebenfalls ins Netz geleitet werden kann.» So habe man in Zuchwil, zwischen Hauptstrasse und Aare, also auch in nächster Nähe zum Wasser, ein für die Energieversorgung «zukunftsweisendes Projekt» geschaffen.

Eine zentrale Rolle, so war in Zuchwil auch auf den anschliessenden Führungen durch die Aarmatt zu erfahren, spiele bei dieser «einzigartigen Anlage» dabei das Gasnetz: Dieses verfüge über ein enormes Potenzial für den Transport und die Speicherung grosser Energiemengen. Statt Solar-, Wind- oder Wasserkraftwerke bei einem Überangebot an Strom einfach vom Netz zu nehmen, könne der Strom, so Felix Strässle, dank des Power-to-Gas-Verfahrens in synthetisches Erdgas umgewandelt und im Gasnetz gespeichert werden.

Neu sei zudem bei der Aarmatt, so erklärte Thomas Schellenberg von der Region Energie Solothurn bei einem der Rundgänge, die Kombination zu einer innovativen Gesamtlösung, welche die verschiedenen Energieträger und die dazugehörenden Netze zusammenführe, also eine sogenannte Netzkonvergenz entstehen lasse.

Eine Herkulesaufgabe

Die «Ziele der Forschungsanstrengungen der Schweizer Gasindustrie» machte daraufhin der Präsident der Fachkommission technische Koordination (FTK) in seinem Referat zum Thema; «Dezentralisierung, Dekarbonisierung und Digitalisierung,» so Philippe Dubois, «prägen den momentanen Umbau der Energieversorgung, so wie er durch die Politik und das Schweizer Stimmvolk eingeleitet worden ist. Und dieser Umbau stellt die Energieversorger vor grosse Herausforderungen!» Ziele des Umbaus seien zum Beispiel der mittelfristige Ausstieg aus der Kernenergie, der Zubau erneuerbarer Energien und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, aber auch die Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen: «Dies alles», so Philippe Dubois, «erinnert bisweilen an eine Herkulesaufgabe.»

Es seien ambitionierte Ziele, so der FTK-Präsident, die noch vor zehn Jahren komplett unrealistisch schienen. Damals sei das Gas in der Schweiz noch fast ausschliesslich Erdgas gewesen und der Anteil an Biogas habe lediglich 27 Gigawattstunden, also ein Bruchteil der Gasversorgung in der Schweiz, betragen. Heute habe sich die inländische Produktion mehr als verzehnfacht, und die Werke würden zusätzlich auch noch Biogas importieren. «Gewisse Werke in der Schweiz, so erklärte Philippe Dubois, «weisen bereits heute in ihren Standardprodukten zehn Prozent Biogas aus, eines hat sich sogar für zwanzig Prozent entschieden.» Doch dies sei nicht genug: «Für 2030 haben wir uns als Branche einen Anteil von 30 Prozent an erneuerbarem Gas gesetzt,» erklärte der FTK-Präsident abschliessend.» 

 Multi-Energie-Systeme

Welche Rahmenbedingungen fördern eine Konvergenz der Netze? Und welche Rolle spielt hierbei die sogenannte Sektorkopplung? Diesen und anderen Fragen widmete sich daraufhin, Turhan Demiray vom «Research Center for Energy Networks» der ETH Zürich, der einerseits auf die Entwicklungen des heutigen und künftigen Stromnetzes einging, andererseits aber auch einige bereits initiierte Forschungsprojekte wie dasjenige des Wasserwerks Zug vorstellte.

Eine mögliche Zukunftsvision für die Energieversorgung in der Schweiz, so erklärte der Experte, sei ein «nationales Netz von Multi-Energie-Systemen», die zentral und dezentralisiert aufgestellt seien. «Das Potenzial für einen gemeinsam optimierten Betrieb solcher Systeme», so zeigte sich Turhan Demiray überzeugt, «ist nämlich längst noch nicht ausgeschöpft.»

Zur Modelloptimierung brauche es allerdings eine Zielfunktion und eine Sensitivitätsanalyse:  Die Netzbetreiber müssten ihr Verhalten bezüglich Ausbau und Betrieb der Systeme überdenken, indem sie die Kapital-, Betriebs-, Energie- und Netzkosten berücksichtigten und minimierten. Und die regulatorischen Massnahmen sollten variiert werden, um deren Einfluss auf die optimale Systemkonfiguration zu identifizieren. 

Umweltschonender Treibstoff

Dem Einsatz von verflüssigtem Erdgas, dem «Liquified Natural Gas» oder kurz LNG bei Passagierschiffen auf dem Luganer See und dem entsprechenden Abgasmonitoring widmete sich daraufhin Claudio Gianotti von der Worldenergy SA in Soazza: Auf dem europäischen Markt sei LNG als «umweltschonender Treibstoff» anerkannt, da er wesentlich dazu beitrage, im Verkehr anfallende Schadstoffe und Emissionen an Treibhausgasen zu reduzieren. So komme das verflüssigte Erdgas bereits bei schweren Nutzfahrzeugen zum Einsatz, und auch für Schiffe sei ein sogenannter «Dual-Fuel-Antrieb» durchaus eine Option.

Wie der Gasantrieb nun auch für die Schweizer Binnenschiffahrt genutzt werden könnte, untersuche deshalb ein derzeit von der Schweizer Gaswirtschaft unterstütztes Projekt. Dabei solle aufgezeigt werden, wie Motorschiffe auf den Gasbetrieb umgerüstet werden könnten. «Insbesondere», so erklärte Claudio Gianotti, «stehen Fragen im Vordergrund, welche die technische und wirtschaftliche Machbarkeit betreffen. Oder es gilt abzuklären, welche Reduktionen an Emissionen tatsächlich möglich sind.»

Zu diesem Zweck werde ein mit Diesel betriebenes Kursschiff mit einer Länge von 40 bis 50 Metern, einem Dieseltank von etwa 3000 Litern und einer Passagierkapazität von rund 300 Personen so umgerüstet, dass der Motor auch mit Erdgas funktioniere.

In der Praxis Energie und Kosten sparen

Das Thema “Mehr Effizienz und weniger Kosten in der Industrie» erläuterte zum Abschluss des Forschungstages Professor Beat Wellig von der Hochschule Luzern: In einem ersten Teil erklärte er dabei die sogenannte «Pinch-Analyse» und in einem zweiten Teil zeigte er anhand einiger Beispiele, wie in der Praxis Energie und Kosten tatsächlich gespart werden können: «Die Pinch-Analyse», so meinte der Professor, «hat als Nutzen vor allem eine ganzheitliche Optimierung von Anlagendesign, Effizienz, Energieversorgung und Kosten, aber auch eine Reduktion des Energiebedarfs um zehn bis 40 Prozent.»

Beispiele für eine erfolgreiche Anwendung der Pinch-Analyse im Rahmen von Tätigkeiten der Hochschule Luzern, so der Professor, seien bisher unter anderem verschiedene Anlagen in der Lebensmittelindustrie, in der Textilveredelung oder für die Beschichtungsindustrie gewesen.

Ein besonders gutes Beispiel für die Anwendung der Pinch-Analyse, so Beat Willig, sei zudem in jüngster Zeit die Dampfzentrale der Fenaco in Sursee: Sie wurde von Öl auf Gas umgestellt und besteht nun im Wesentlichen aus einer innovativen Mikrogasturbine, einem Dampfkessel und einem Spezialbrenner. Damit würden pro Jahr etwa 24 000 Tonnen Dampf erzeugt, die vor allem für die Produktion von Futtermitteln und Getränken, aber auch für den Betrieb eines Sprühturms und weiterer Anlagen eingesetzt würden. «In dieser Form, so erklärte Professor Wellig abschliessend, «ist diese Dampfzentrale der Fenaco ein weltweit einzigartiges System, das gleichzeitig Strom und Dampf produziert und mit seinem hohen Nutzungsgrad von über 90 Prozent neue Massstäbe setzt!»

 

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