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26. September 2025

Materialforschung

Wie Stahl und Wasserstoff reagieren

Hochfester Stahl, wie er für den Bau von Brücken, Hochhäusern sowie Öl- und Gas-Infrastruktur eingesetzt wird, ist anfällig auf Versprödung durch atomaren Wasserstoff aus der Umwelt. Die komplexen Mechanismen dahinter sind noch nicht vollumfänglich verstanden. Empa-Forscherinnen wollen untersuchen, wie Wasserstoff mit Stahl interagiert.

Wenn Stahl mit Wasserstoff in Berührung kommt, findet Wasserstoffversprödung statt. Dank seiner geringen Grösse diffundiert der Wasserstoff in den Stahl, wo er durch verschiedene Mechanismen Rissbildung begünstigt. Diese Reaktion ist schon länger bekannt, aber die zahlreichen komplexen Mechanismen sind noch nicht vollständig aufgeklärt. Forscherinnen der Empa möchten nun eine Seite der Wasserstoffversprödung untersuchen, der laut Empa bisher sehr wenig Aufmerksamkeit zuteil kam: die Interaktion des Wasserstoffs mit der sogenannten nativen Oxidschicht auf Stahl. Untersucht werden soll, wieso einige Oxidschichten besser vor Versprödung schützen als andere. Die Untersuchung findet mit einer selbst entwickelten elektrochemischen Zelle statt, in der die Interaktion zwischen Wasserstoff und Oxid von anderen Umwelteinflüssen isoliert werden kann. Anschliessend werden die Proben harter Röntgenphotoelektronenspektroskopie untersucht. Ihre Erkenntnisse sollen zum Bau von langlebigeren Brücken führen und zu besserer Infrastruktur für die Lagerung und den Transport von grünem Wasserstoff.

Native Oxidschicht

Die native Oxidschicht, auch Passivierungsschicht genannt, ist eine dünne Schicht, die sich auf natürliche Weise an der Oberfläche der meisten Metalle und Legierungen bildet. Sie verleiht rostfreien Stählen ihre Korrosionsbeständigkeit. Die Art und die Zusammensetzung der nur wenige Nanometer dicken Schicht unterscheiden sich von Stahl zu Stahl. Gewisse Oxide sind deutlich stabiler und resistenter gegenüber Wasserstoff als andere. Sie schützen den Stahl besser vor Versprödung. Dies wollen die Empa-Forscherinnen Chiara Menegus und Claudia Cancellieri untersuchen. Ein besonderes Augenmerk legen sie dabei auf die Grenzfläche zwischen dem Metall und seiner Oxidschicht. Wasserstoff sammelt sich laut Menegus im Material jeweils dort an, wo Unordnung herrsche, und die Grenzfläche zwischen dem Metall und dem Oxid sei eine solche Stelle.

Ausschluss von Umweltfaktoren

Die Forschung an Wasserstoff im Stahl ist gemäss Empa anspruchsvoll. Experimente müssten unter Ausschluss aller weiteren Umweltfaktoren wie Sauerstoff und Feuchtigkeit stattfinden, weil sonst komplexe Interaktionen und Korrosionsprozesse entstünden, die den Wasserstoffeinfluss maskieren würden. Gemäss den Forscherinnen ist die Grenzfläche selbst ebenfalls herausfordernd: «Es ist schwierig, eine verborgene Grenzfläche im Inneren des Materials zu untersuchen, ohne die Probe zu zerstören», so Claudia Cancellieri.

Selbstentwickelter Versuchsaufbau

Diesen Herausforderungen möchten die Forscherinnen mit einem innovativen Versuchsaufbau begegnen. Im ersten Jahr ihres Doktorats hat Chiara Menegus eine elektrochemische Zelle entwickelt, in der die Stahlprobe befestigt wird. Auf einer Seite der Probe befindet sich Wasser, auf der anderen das inerte Edelgas Argon. Durch Anlegen von elektrischer Spannung wird aus dem Wasser atomarer Wasserstoff generiert. Er diffundiert durch die dünne Probe, bis er die Oxidschicht auf der gegenüberliegenden Seite erreicht und hier mit dem nativen Oxid interagiert. «So können wir die Interaktion von atomarem Wasserstoff mit dem nativen Oxid von anderen Umwelteinflüssen isolieren», erklärt Menegus. Nicht zuletzt finden sämtliche Schritte – vom Zusammenbau der Zelle bis zur Analyse der Probe – unter Schutzatmosphäre statt.

Hochenergetische Röntgenstrahlung zur Analyse der Proben

Für die Charakterisierung der Proben möchten die Forscherinnen die harte Röntgenphotoelektronenspektroskopie (engl. «Hard X-ray Photoelectron Spectroscopy», kurz HAXPES) verwenden. Diese Spektroskopiemethode nutzt hochenergetische Röntgenstrahlung, um die Art und den chemischen Zustand von Atomen in einem Material (bis in eine Tiefe von 20 Nanometern) zu bestimmen. Dies sei genug, um die rund fünf Nanometer dicke Oxidschicht sowie die darunterliegende Grenzfläche zum Stahl zu erfassen.

Erste Ergebnisse stimmen Forscherinnen zuversichtlich

Zwar lasse sich der Wasserstoff selbst damit nicht direkt erfassen – seine Auswirkungen auf die gesamte Oxidschicht konnten die Forscherinnen jedoch bereits deutlich demonstrieren. «Die ersten Versuche zeigen, dass der Wasserstoff die schützende Oxidschicht abbaut», sagt Menegus. Nun will sie die Oxide auf unterschiedlichen Eisen-Chrom-Legierungen sowie auf einigen gängigen Stählen untersuchen. Danach werden die Forscherinnen zusammen mit dem «Ion Beam Physics Lab» der ETH Zürich den Wasserstoffgehalt in den Proben direkt bestimmen – in Echtzeit, mit einer Teilchenbeschleuniger-Methode. «Wir hoffen, dadurch den Effekt von Wasserstoff auf die nativen Oxidschichten besser zu verstehen und besonders resistente Oxidformen zu finden», resümieren Menegus und Cancellieri.

Quelle und weitere Informationen

Medienmitteilung der Empa

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