Plattform für Wasser, Gas und Wärme
30. März 2020

Interview mit Lothar Aicher

«Ein Gesundheitsrisiko ist sehr unwahrscheinlich!»

Der Einsatz des Fungizids Chlorothalonil ist in der Schweizer Landwirtschaft seit Januar 2020 verboten. Das hat viel Besorgnis ausgelöst, denn Chlorothalonil galt bisher als sicher. Wir haben uns mit dem Humantoxikologen Dr. Lothar Aicher über die möglichen Risiken des Fungizids unterhalten.
  

Lothar Aicher, wie sicher sind unsere Pflanzenschutzmittel überhaupt?

Pflanzenschutzmittel dürfen nur verkauft werden, wenn sie von den zuständigen Behörden eine Marktzulassung bekommen. Diese Zulassung wird nur erteilt, wenn der Hersteller in einer Vielzahl von gesetzlich vorgeschriebenen Studien nachweisen kann, dass das Pestizid bei sachgemässer Anwendung sowohl gegen Unkräuter-, Insekten- oder Pilzbefall wirksam ist, aber auch keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. Bei der Erstzulassung von Chlorothalonil in den 1970-er Jahren wurde es gemäss dem damaligen Stand der Wissenschaft als sicher eingestuft.

Wie kann etwas, das lange Zeit sicher war, plötzlich nicht mehr sicher sein?

Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist zeitlich begrenzt. Die Zulassung für Chlorothalonil in der europäischen Union ist am 31. Oktober 2019 ausgelaufen. Im Vorfeld haben die Hersteller von Chlorothalonil eine Verlängerung der Marktzulassung beantragt. Daraufhin wurde das Fungizid neu bewertet und zwar nach den mittlerweile geltenden strengeren Richtlinien. Die Beurteilung der alten Studien nach den neuen Sicherheitskriterien hat dazu geführt, dass die Substanz in eine höhere Gefahrenklasse eingestuft wurde als bisher.

Was bedeutet das genau?

Bisher hatte man nur vermutet, dass Chlorothalonil Krebs erzeugen kann. Nach der Neubewertung der alten Tierstudien kam man aber zum Schluss, dass das Fungizid Krebs erzeugen kann.

Bei den Analysemethoden hat sich also vieles verändert?

Die Toxikologie entwickelt sich ständig weiter und das schlägt sich auch in strengeren Kriterien bei der Regulierung nieder. Beim Antrag auf Wiederzulassung haben Daten gefehlt, die nach heutigen Vorschriften notwendig sind, aber bei der Erstzulassung noch nicht gefordert waren.

Die Trinkwasserversorger sind vor allem wegen der Abbauprodukte im Trinkwasser besorgt?

Ja, die Einstufung der Muttersubstanz in eine höhere Krebs-Gefahrenklasse hat dazu geführt, dass die Metaboliten des Chlorothalonils, automatisch in eine höhere Gefahrenklasse fielen. Das ist ein automatischer Vorgang, der standardmässig ausgelöst wird, wenn keine Studien vorliegen, die beweisen, dass die Abbauprodukte einer krebserregenden Muttersubstanz nicht krebserregend sind.  Dies bedeutet aber nicht, dass die Abbauprodukte wirklich krebserregend sind, das müsste man erst in Studien untersuchen. Die Neueinstufung der Abbauprodukte in eine höhere Gefahrenklasse hatte auch zur Folge, dass die Abbauprodukte jetzt als relevant für die menschliche Gesundheit eingestuft werden und damit automatisch sehr strenge Höchstwerte für die Abbauprodukte im Trinkwasser gelten. 

Wie streng sind diese Höchstwerte und wie wurden sie bestimmt?

Die Konzentration eines einzelnen Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser darf den Wert von 0.1 Mikrogramm pro Liter nicht überschreiten. Die Gesamtenge aller relevanten Metabolite darf nicht höher sein als 0.5 Mikrogramm pro Liter. Zur Veranschaulichung, 0.1 Mikrogramm pro Liter entspricht 1 mm auf einer Strecke von 10'000 km. Die Höchstwerte für die Metaboliten sind aber nicht aus Tierstudien abgeleitet worden, sondern reflektieren den Wunsch nach möglichst sauberem Trinkwasser.

Was bedeutet es, wenn dieser Höchstwert überschritten wird? 

Der Höchstwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter ist extrem niedrig und erlaubt per se keine Aussage darüber, ob eine Überschreitung dieser Grenzwerte zu Gesundheitsschäden führt, weil der Grenzwert nicht aus Gesundheitsdaten abgeleitet wurde. Sie stammen aus einer Zeit als die Nachweisegrenze von Verunreinigungen im Wasser bei 0.1 Mikrogramm pro Liter lag. Bei Konzentrationen kleiner als 0.1 Mikrogramm pro Liter galt das Wasser somit als frei von Verunreinigungen.

Würden Sie als Toxikologe heutzutage noch Schweizer Leitungswasser trinken?

Ja, ich trinke täglich Leitungswasser. In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Qualität des Wassers immer schlechter wird, weil immer mehr Stoffe im Trinkwasser nachgewiesen werden. Das hat aber auch damit zu tun, dass die moderne Analytik auch Mikroverunreinigungen nachweisen kann. Als Toxikologe, halte ich es aber für höchst unwahrscheinlich, dass davon ein Gesundheitsrisiko ausgeht. 

Lothar Aicher...

... ist promovierter Chemiker und ausgebildeter Fachtoxikologe. Seit 2010 arbeitet er beim Schweizerischen Zentrum für Angewandte Humantoxikologie (SCAHT) und ist Lehrbeauftragter am Departement für pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel. Zuvor war er in unterschiedlichen Positionen in der Forschung und Entwicklung, dem Marketing und der Geschäftsentwicklung für verschiedene Unternehmen in der pharmazeutisch-chemischen Industrie tätig.

Kommentar erfassen

Kommentare (1)

Hanspeter Reber am 17.04 2020 um 10:51

Chlorothalonil und andere Fremdstoffe im Trinkwasser.

Nur weiter Gift streuen und spritzen. Irgend einmal werden wir es mehr oder weniger verdünnt sauffen. Irgend einmal schlägt die Natur zurück. Corona lässt grüssen.

e-Paper

«AQUA & GAS» gibt es auch als E-Paper. Abonnenten, SVGW- und/oder VSA-Mitglieder haben Zugang zu allen Ausgaben von A&G.

Den «Wasserspiegel» gibt es auch als E-Paper. Im SVGW-Shop sind sämtliche bisher erschienenen Ausgaben frei zugänglich.

Die «gazette» gibt es auch als E-Paper. Sämtliche bisher erschienen Ausgaben sind frei zugänglich.