Der Klimawandel bedeutet nicht nur steigende Temperaturen, sondern wirkt sich auch stark auf den Wasserhaushalt aus. Mit welchen Änderungen ist für das Wasserschloss Schweiz zu rechnen?
Die Klimakrise ist eine Wasserkrise. Mittlerweile gibt es gute Modelle, welche die Veränderungen des Wasserkreislaufs in der Schweiz vorhersagen. Schwieriger einzuschätzen ist hingegen der Anstieg der Nachfrage nach Wasser. Trotz guter Modelle bleibt es eine besondere Herausforderung, die Veränderungen auf die kommunale Ebene respektive auf die Ebene der Wasserversorgung herunterzubrechen. Häufig gibt es schlicht zu wenig Daten, weshalb die Erfahrungen von den lokalen Know-how-Trägern umso wichtiger sind. Ebenfalls noch sehr unberechenbar ist die Situation, wenn mehrere trockene Jahre aufeinanderfolgen. Dann leiden nämlich nicht nur die Quellen, sondern auch die Grundwasservorkommen von geringer Mächtigkeit.
Gibt es schon klimabedingte Änderungen, die Sie während Ihrer Amtszeit in Ihrem Kanton und in der Schweiz spüren konnten?
Die Veränderungen sind zahlreich – wenn man sie sehen will. In trockenen Sommern, wie beispielsweise 2018, gab es heftige Diskussionen zur Priorisierung der Nutzungen. Wasserversorgungen mussten zum Wassersparen aufrufen oder Laufbrunnen abstellen. Immer öfter musste zudem der Kanton die landwirtschaftliche Bewässerung aufgrund niedriger Pegel im Bach einstellen. Darauf folgten jeweils umgehend Ausnahmegesuche zur Notwasserentnahme für die Bewässerung. Aber nicht nur zu wenig, sondern auch zu viel Wasser bereitet Probleme: So haben im letzten Sommer lokale Starkniederschläge im Klettgau zu grossen und unerwarteten Schäden geführt. Das alles ist eine Vorankündigung auf das, was vermehrt kommen wird.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Veränderungen im Bereich Flora und Fauna, wie beispielsweise das vermehrte Auftreten von Neobiota. Ich denke da an die Tigermücke, die Asiatische Hornisse, die Ameise Tapinoma, die auch in Schaffhausen aufgetreten ist, etc. Der Klimawandel läuft so schnell ab, dass die Natur aus dem Gleichgewicht gerät. Überraschend war für uns im letzten Jahr das auffällige Auftreten von Blaualgen auf dem Rhein, was wahrscheinlich auf Algenblüten im Untersee zurückzuführen ist. Bereits gewöhnt hat sich die Bevölkerung wohl an das sommerliche Bild von Bächen mit bescheidenem oder ausbleibendem Abfluss wie auch an das vermehrt erforderliche Bewässern des eigenen Gartens. Die Schaffhauserinnen und Schaffhauser schätzen den Rhein zum Abkühlen. Wenn dann aber der Rhein zu warm ist und gar tote Äschen aufschwimmen, vergeht wohl manchem Badenden die Freude daran.
«Es ist eine besondere Herausforderung, die Veränderungen des Wasserkreislaufs auf die kommunale Ebene respektive auf die Ebene der Wasserversorgung herunterzubrechen.»
Mit welchen Anpassungen reagiert die Wasserwirtschaft im Kanton Schaffhausen darauf?
Bereits vor rund 15 Jahren haben wir in der kantonalen Wasserwirtschaftsplanung dem Thema «Klimaveränderung» grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Im Vordergrund standen die Vernetzung der Wasserversorgungen und zwei unabhängige Standbeine, um die Versorgungssicherheit zu verbessern. Dank Subventionen der Gebäudeversicherung wurde dieser Wasserwirtschaftsplan weitestgehend umgesetzt. Das führte dazu, dass die Wasserversorgungen des Kantons Schaffhausen heute gut vernetzt und resilienter gegenüber Trockenheit geworden sind. Ausserdem gibt es keine Doppelspurigkeiten mehr – wie beispielsweise zwei Reservoire von benachbarten Gemeinden nebeneinander. Die Planung und die finanziellen Anreize haben also funktioniert. Im Wasserwirtschaftsplan hatten wir den Gemeinden zudem empfohlen, sich im Bereich der Wasserversorgungen auch organisatorisch zusammenzuschliessen. Das ist nicht passiert. Hierzu ist der Leidensdruck noch nicht gross genug.
Neben der Trinkwasserversorgung gibt es weitere Interessen am Wasser. So hat die im Kanton Schaffhausen ansässige Industrie mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig eine gesicherte Brauchwasserversorgung für sie ist. In der Landwirtschaft hingegen divergieren die Meinungen: Einerseits werden grosse Chancen im Bau einer Bewässerungsinfrastruktur gesehen, andererseits werden die Veränderungen in der landwirtschaftlichen Nutzung und damit in der gesamten Landschaft, die mit einer Bewässerungsinfrastruktur einhergehen, als problematisch betrachtet. Vor diesem Hintergrund ist ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs notwendig, bevor mit einem allfälligen Bau von Bewässerungsinfrastruktur begonnen wird.
Sind Anpassungen im Bereich Siedlungswasserwirtschaft geplant oder bereits umgesetzt?
Der Regierungsrat Schaffhausen hat vor vier Jahren eine Klimastrategie verabschiedet und für die Finanzierung der Massnahmen einen Energie- und Klimafonds eingerichtet. Unser Amt ist für den Teil «Klimaanpassung» zuständig, der sehr dynamisch ist. Unter den über 70 Massnahmen gibt es zahlreiche, die das Wasser betreffen. Dazu gehören auch die Siedlungsentwässerung sowie Schwammstadtmassnahmen. Letztere werden mittlerweile auch als Teil des GEP betrachtet.
Über eine Aktualisierung des Wasserwirtschaftsplanes wollen wir zudem die wichtigsten Wasserthemen integral angehen. Eine steigende Nachfrage nach Wasser und qualitative Probleme beim Trinkwasser waren die Auslöser der Überarbeitung. Wir haben für alle Wasserversorgungen im Kanton die Versorgung für folgende Situationen simuliert: Normalbetrieb, Spitzenbedarf und Störfall. Zudem werden regionale Wasserbilanzen gerechnet und dabei wird ein Szenario einer längeren Sommertrockenheit betrachtet. Ziel ist es letztendlich, die Versorgungssicherheit mit Trinkwasser trotz Klimawandel möglichst zu erhalten. Hierbei spielen Annahmen und Szenarien zur Entwicklung der Wasserressourcen als auch zum Wasserbedarf hinein. Ausserdem gilt es zu definieren, was Versorgungssicherheit bedeutet. Beispielsweise muss die Wasserversorgung in der Lage sein, ausreichend Wasser in den üblichen vorhersehbaren Szenarien bereitzustellen. Aufgrund der hohen Kosten ist es hingegen wenig sinnvoll, die Anlagen für extreme Ausnahmeszenarien auszulegen, wie beispielsweise mehrere trockene Sommer hintereinander. In solchen Fällen wird es nötig sein, Einschränkungen bei der Nutzung in Kauf zu nehmen.
Eine verstärkte Speicherung von Wasser – ob in technischen Speichern oder in Grundwasserkörpern – wird künftig bei der Bewältigung von Trockenperioden, die aufgrund der Klimaänderungen häufiger werden, wohl eine zentrale Rolle spielen. Wie sollte diese Thematik angegangen werden?
Der Wasserbedarf der Landwirtschaft wird in Zukunft weiter steigen. Darauf sind wir schlecht vorbereitet. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass schleichend mehr und mehr Trinkwasser für die Bewässerung verwendet wird. Doch qualitativ hochstehendes Trinkwasser für die Bewässerung zu verwenden, macht keinen Sinn. Wird das Wasser zu Vollkosten verrechnet, ist es schlichtweg zu teuer. Eine Berechnung nach Grenzkosten ist gegenüber dem Gebührenzahler nicht fair. Für die Landwirtschaft braucht es in der Regel eine separate Infrastruktur.
Im Kanton Schaffhausen gibt es Untersuchungen zum Wasserbedarf der Landwirtschaft. Doch bei all diesen Modellen wird stets von der heutigen Landwirtschaft ausgegangen. Warum nicht von einer zukunftsfähigen, standort- und klimaangepassten Landwirtschaft ausgehen? In einem Zeitraum von 2 Jahrzehnten wurden in der Schweiz 11 Millionen Hochstammbäume eliminiert. Warum nicht beispielsweise Bäume vermehrt als Teil einer landwirtschaftlichen Produktion einsetzen und verstärkt in Agroforstsysteme investieren? Aber auch das Thema «Schwammlandmassnahmen», das derzeit in aller Munde ist, geht in die richtige Richtung. Für beide Ansätze gibt es bereits zahlreiche Vorzeigebeispiele.
«Bei der Finanzierung einer Bewässerungsanlage braucht es klare und strenge Regeln, damit nicht Schäden entstehen, die im Nachhinein wieder mit viel Geld behoben werden müssen.»
Was sind die Nachteile bei Investitionen in BewässerungsÂanlagen?
Eine Bewässerungsanlage kostet viel Geld und wird oft von der öffentlichen Hand zusammen mit den Landwirten, die sie nutzen wollen, finanziert. Selbstredend investiert ein Landwirt nur dann, wenn sich das auch lohnt. Besonders hoch ist der Return on Investment beim Anbau von Gemüse. Doch damit ist eine hohe Nitratauswaschung ins Grundwasser verbunden. Wird es als Trinkwasser genutzt, kann dies eine Sanierung auslösen, beispielsweise nach Artikel 62a des Gewässerschutzgesetzes. Dieselbe öffentliche Hand, die bereits die Bewässerungsanlage (mit-)finanziert hat, muss nun auch das Geld für die Sanierung des Grund- respektive Trinkwassers berappen. Bei der Finanzierung einer Bewässerungsanlage braucht es folglich klare und strenge Regeln, möglichst ohne viel Kontrollaufwand, damit nicht Schäden entstehen, die im Nachhinein wieder mit viel Geld behoben werden müssen.
Mit der Nitratproblematik haben Sie es gerade angesprochen: Quantitätsprobleme sind das eine, was Wasserversorgungen umtreibt, Qualitätsprobleme das andere. Welche Qualitätsthemen haben Sie in Ihrer Zeit als IKL-Leiter erlebt?
Klar ist, dass wir lange Zeit persistente Stoffe vernachlässigt haben, was zu irreversiblen Schäden führte. Aktuelles Beispiel dafür sind die PFAS. Zudem gibt es seit Mitte der 1990er-Jahre keine Fortschritte mehr beim Stickstoff. Der Überschuss beträgt jedes Jahr 100 000 Tonnen. Der Nitratdruck ist ungebrochen hoch. Auch bei den Pflanzenschutzmitteln und ihren Rückständen sehen die Entwicklungen nicht gut aus. Zur Trinkwasserinitiative erarbeitete das Parlament einen informellen Gegenvorschlag. Momentan müssen wir leider beobachten, dass die Fortschritte von damals sukzessive und systematisch «rückgebaut» werden. Das widerspricht Treu und Glauben.
Ein Beispiel für ein Qualitätsproblem möchte ich noch anführen: Vor 15 Jahren rechnete niemand damit, dass die weitverbreiteten Abbauprodukte von Chlorothalonil plötzlich als relevant erklärt werden. Eine solche qualitative Beeinträchtigung hat einen direkten Einfluss auf die mengenmässige Verfügbarkeit als Trinkwasser. Es ist nicht sinnvoll, dass nun jede betroffene Wasserversorgung für sich eine Trinkwasseraufbereitung mit Aktivkohle baut. Wir klären daher für den ganzen Kanton ab, wie die Belastung der Bevölkerung mit diesen Abbauprodukten möglichst tief gehalten werden kann. Dabei ist auch der Bau von Aufbereitungsanlagen, allenfalls einer zentralen Anlage für den ganzen Kanton, nicht mehr ausgeschlossen. Zu den Abklärungen gehört auch eine Abschätzung, ab wann sich das Verbot des Einsatzes von Chlorothalonil im Jahre 2020 im Einzelfall auf die Konzentrationen der Abbauprodukte im Grundwasser auswirken wird.
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Wie lässt sich die Entwicklung der Metabolitenkonzentrationen abschätzen?
Anhand von Grundwassermodellen haben wir den Rückgang der Chlorothalonilmetaboliten für die wichtigsten Grundwasserkörper im Kanton simulieren lassen. Da dieser Ansatz mit vielen Annahmen und Unsicherheiten verbunden ist, wollten wir die Ergebnisse überprüfen und plausibilisieren. Ein Mitarbeiter hatte die geniale Idee, die historische Nitratentwicklung als Indikator heranzuziehen. Wir verglichen die Entwicklung der Stickstoffüberschüsse in der Schweiz mit der Entwicklung der Nitratkonzentrationen, die wir seit mehreren Jahrzehnten im Grundwasser messen. Anfang der 1990er-Jahre ging der Stickstoffüberschuss in der Schweiz von etwa 130 000 auf 100 000 Tonnen zurück. Diese Verringerung wirkte sich auf die Nitratkonzentrationen im Grundwasser aus, je nach Grundwasserleiter mehr oder weniger schnell. Unter der Annahme, dass der Rückgang der Abbauprodukte von Chlorothalonil ähnlich schnell oder langsam ist, können wir nun abschätzen, wie lange es ab dem Verbot von Chlorothalonil (im Jahre 2020) dauern wird, bis der in der TBDV festgelegte Höchstwert von 0,1 µg/l für Pestizide und ihre relevanten Metaboliten eingehalten wird. Die Geschwindigkeit dieses Rückgangs ist enorm wichtig: Es könnte nämlich sein, dass der Rückgang schneller erfolgt als der Bau einer Aufbereitungsanlage, was eine Fehlinvestition bedeuten würde. Erste Messergebnisse zeigen, dass die geschätzte Entwicklung der Metabolitenkonzentrationen richtig ist. All dies unterstreicht überdies einen weiteren Punkt, nämlich die Bedeutung historischer Daten. Daten über Grund- und Trinkwasser sollten niemals verloren gehen.
Wie beeinflussen solche persistenten Substanzen wie die Metaboliten des Chlorothalonils die Planung der Wasserversorgung?
Die Qualität des Grundwassers hat einen direkten Einfluss auf die Planung. Angenommen, eine Gemeinde mit hoher Schadstoffbelastung erhöht ihren Wasserbezug von der Nachbargemeinde. Dadurch ändert sich die Fördermenge des Grundwasserpumpwerks der Nachbargemeinde und das Pumpwerk erhält nun regionale Bedeutung. Die Ausscheidung eines Zuströmbereiches ist angezeigt. Dessen Ausdehnung ist aber wiederum abhängig von der Fördermenge. Dies zeigt, wie wichtig eine übergeordnete Planung ist, die die zukünftige Entwicklung so weit wie möglich berücksichtigt.
«Die Unterscheidung von relevanten und nicht relevanten Metaboliten ist ohnehin ein Unsinn. Insbesondere für die Zulassung von Pestiziden sollten wir diese endlich aufgeben.»
Was wird passieren, wenn noch weitere Metaboliten bzw. Abbauprodukte als relevant eingestuft werden?
Wir gehen davon aus, dass die meisten Abbauprodukte der verschiedenen Pflanzenschutzmittel mittlerweile bekannt sind. Dennoch sind wir vor Überraschungen nicht gefeit. Die Unterscheidung von relevanten und nicht relevanten Metaboliten ist ohnehin ein Unsinn. Insbesondere für die Zulassung von Pestiziden sollten wir diese endlich aufgeben. Das Ausbringen von persistenten Stoffen in die Umwelt ist weitestgehend irreversibel und sollte verboten werden. Ich denke da beispielsweise an Pestizide, die zu TFA abbauen, oder an PFAS-haltigen Skiwachs. Zudem ist auch der Begriff «Abbauprodukt» irreführend: Schauen wir doch mal die Struktur der Abbauprodukte von Chlorothalonil an. Die wichtigsten Strukturelemente der Muttersubstanz sind noch vorhanden. Das ist doch kein Abbau. Dasselbe gilt für die PFAS: Diese Stoffe sind erst aus dem Stoffkreislauf draussen, wenn das Fluor in mineralisierter Form vorliegt.
Sie haben gerade TFA – Trifluoracetat – erwähnt. Was passiert, wenn TFA als relevant angesehen wird?
Das wäre der GAU: Für die Entfernung von TFA aus dem Wasser braucht es gemäss heutigem Kenntnisstand eine Umkehrosmose. Diese flächendeckend einzuführen, wäre ökonomischer und ökologischer Wahnsinn. Eigentlich sollten wir jetzt nicht auf die Bewertungen der Toxikologen warten, sondern schnell das Steuer herumreissen und auf Stoffe verzichten, die TFA freisetzen. Dazu gehören insbesondere die Kältemittel der neusten Generation, die Hydrofluorolefine, und die erwähnten Pflanzenschutzmittel. Da es nicht zu den Stärken des Menschen gehört, auf schleichende Veränderungen zu reagieren, werden die TFA-Konzentrationen weiter steigen bis zu dem Tag, an dem TFA toxische Eigenschaften nachgewiesen werden. Dann wird es so richtig teuer oder wir müssen mit der Situation leben.
Bräuchte es bei der Chemikalienthematik nicht ein Umdenken und neuartige Ideen?
Unbedingt. Es braucht eine Chemiewende. Die Kommissionen für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) des Ständerates hat Ende April 2025 ein Postulat zum Thema «Forschung zu Risiken und nachhaltigem Umgang mit Chemikalien (Chemikaliensicherheit)» überwiesen. Dieses beauftragt den Bundesrat darzulegen, wie die Entwicklung von neuen nachhaltigen Chemikalien gestärkt werden könnte. Das geht in die richtige Richtung.
Ein wichtiges Instrument des Gewässerschutzrechts ist aus der Sicht der Trinkwasserversorgung der planerische Gewässerschutz. Hier gab es im Nachgang der Trinkwasser- und der Pestizidverbotsinitiative einige Anpassungen. Vor allem das Instrument des Zuströmbereichs soll gestärkt werden. Wie beurteilen Sie das Instrument des Zu?
Zuströmbereiche betrachte ich als eine Investition in die Zukunft, und zwar für jedes genutzte Grundwasserpumpwerk. Wir wollen doch von allen Lebensmitteln wissen, woher sie kommen. Warum nicht auch vom wichtigsten Lebensmittel, dem Trinkwasser? Die Schutzzonen dienen primär dem mikrobiologischen Schutz des Trinkwassers. Wie die umfassenden Untersuchungen der Kantonschemikerinnen und -chemiker zeigen, haben wir dies sehr gut im Griff. Warum sollen wir das Wasser nicht auch vor chemischen Stoffen besser schützen? Zuströmbereiche sind ein Instrument für den direkten Schutz.
Wie sieht die Zu-Situation in Ihrem Kanton aus?
Im Kanton Schaffhausen hat die Bezeichnung der Zuströmbereiche eine hohe Priorität und sie ist auch Teil der Klimastrategie. Wir haben bereits drei Zuströmbereiche rechtsverbindlich ausgeschieden. Die Plattform Grundwasserschutz der Universität Neuenburg hat uns dabei tatkräftig und mit viel Expertenwissen unterstützt. Die Bestimmung weiterer Zuströmbereiche läuft. Setzt man die drei bezeichneten Zuströmbereiche ins Verhältnis zur Grösse des Kantons, sind wir schweizweit weit vorne.
Wie entfaltet dieses Instrument seine Wirkung?
Mit der Bestimmung von Zuströmbereichen sind unerwünschte Einträge von Stoffen selbstverständlich nicht vom Tisch. Es braucht Massnahmen in der Bewirtschaftung. Die Entwicklung von 62a-Projekten in der Landwirtschaft ist jedoch sehr komplex und extrem zeitaufwendig. Ich hoffe daher, dass das BAFU ein Set von Massnahmen zur gewässerschonenden Bewirtschaftung festlegen wird, das generell in Zuströmbereichen gilt. Damit könnte wohl in vielen Regionen das Nitratproblem gelöst oder zumindest minimiert werden. Bei den Pflanzenschutzmitteln braucht es Auflagen für die Anwendung in Zuströmbereichen bei der Zulassung, und zwar für neue wie auch für bereits bewilligte Wirkstoffe. Auf all diese Bewirtschaftungsmassnahmen kann selbstverständlich verzichtet werden, wenn wir in der Schweiz keine Stickstoffüberschüsse mehr produzieren und wir keine langlebigen Stoffe mehr in die Umwelt austragen. Zuströmbereiche und die dazugehörenden Massnahmen sind also eine Konzession an eine nicht überall ökologisch produzierende Landwirtschaft.
«Es sind gesetzliche Grundlagen geschaffen worden, die es den kantonalen Umweltämtern ermöglichen, am Ende der Kette die Auswirkungen abzumildern, doch dieser Weg ist beschwerlich.»
Der Kanton Schaffhausen nutzt für die Trinkwasserversorgung nur Grundwasser und keinerlei Oberflächenwasser. Die Grundwasservorkommen sind teilweise grenzüberschreitend. Wie gelingen der grenzüberschreitende Schutz der Ressourcen und eine aufeinander abgestimmte Grundwasserbewirtschaftung?
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für den Grundwasserschutz ist tatsächlich eine grosse Herausforderung. In der Vergangenheit wurden im Rahmen von grenzüberschreitenden Interreg-Projekten wichtige Grundlagen über die Grundwasserträger erarbeitet. Für die Bezeichnung der Zuströmbereiche und insbesondere für allfällige Massnahmen müssen spezifische Projekte erarbeitet und die Zusammenarbeit gesucht werden. Hierzu haben wir noch keine Erfahrung.
In einem kürzlich im «Aqua & Gas» erschienenen Interview mit Stephan Müller, dem früheren Leiter Wasser beim BAFU, erklärte dieser, dass die Hebel für einen wirkungsvollen Gewässerschutz vorliegen und dass es nun gelte, diese anzuwenden. Wie schätzen Sie dieses Set an Hebeln ein und warum hapert es mit der Umsetzung?
Ja, viele gesetzliche Grundlagen sind vorhanden, aber sie sind oft nicht aufeinander abgestimmt. Weshalb werden Pflanzenschutzmittel zugelassen, die die ökotoxikologischen Anforderungen des Gewässerschutzrechts für Fliessgewässer nicht erfüllen? Weshalb werden bei der Zulassung weniger strenge ökotoxikologische Kriterien angewendet? Weshalb wurden Wirkstoffe zugelassen, die zu langlebigen Abbauprodukten im Grund- und im Trinkwasser führten? Weshalb wird zwischen den Begriffen «relevant» und «nicht relevant» unterschieden, wenn doch letztlich alle langlebigen Stoffe ein Problem fürs Trinkwasser darstellen? Weshalb lässt der Gesetzgeber Stickstoffüberschüsse von 100 000 Tonnen pro Jahr zu, obwohl als Folge davon die Nitratkonzentration im Grundwasser ansteigt? Ja, es sind gesetzliche Grundlagen geschaffen worden, die es den kantonalen Umweltämtern ermöglichen, am Ende der Kette die Auswirkungen abzumildern, doch dieser Weg ist beschwerlich und er bürdet den kantonalen Umweltschutzämtern sehr viel Arbeit auf. Zudem werden derzeit viele dieser neu geschaffenen Instrumente politisch bekämpft und wieder rückgängig gemacht.
Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach der Pensionierung?
Ich möchte aktiv bleiben. Als Einzelunternehmer werde ich offen gegenüber allen möglichen spannenden Projekten sein. Wenn mein Wissen gefragt ist, werde ich mich gerne weiter für das Wasser engagieren.
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Nach seinem Chemiestudium an der ETH Zürich, gefolgt von Nachdiplomstudien in Lebensmittelchemie und Unternehmensführung, forschte Kurt Seiler zunächst im Bereich der analytischen Chemie an der ETH Zürich und in Kanada. Danach begann er seine berufliche Laufbahn am Interkantonalen Labor (IKL). Seit rund 20 Jahren leitet er dieses. Ende Jahr wird er in Pension gehen. Das IKL hat sich auf chemische Wasseranalysen spezialisiert und vollzieht unter anderem das Lebensmittelrecht im Bereich Trinkwasser wie auch wichtige Teile des Gewässerschutzrechtes. |
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Kommentare (2)
Vielen Dank Kurt!
TFA Beitrag von Kurt Seiler