Die St. Galler Stadtwerke (sgsw) sind ein wichtiger Partner bei der Umsetzung des Energiekonzepts 2050 der Stadt St. Gallen. Eine der sechs Stossrichtungen des Konzepts lautet: «Einsatz erneuerbarer statt fossiler Energien.» Was bedeutet das für die Gasversorgung durch sgsw?
In den Stadtteilen, die in der Talsohle der Stadt liegen – mit Ausnahme der Gebiete westlich des Sittergrabens –, wird die Fernwärme die Gasversorgung für Komfortwärme, also zur Beheizung von Gebäuden, vollständig ablösen. Als Wärmequelle wird hauptsächlich die Abwärme des Kehrichtheizkraftwerks genutzt. Diese Abwärme ist zwar per se nicht fossilfrei, wird aber im Moment so deklariert. Die restliche Wärme stammt aus Blockheizkraftwerken, aus der Holzverfeuerung und aus gasbetriebenen Heizkesseln. Damit wird sich der Gasverbrauch in St. Gallen bis 2050 halbieren – wir rechnen in unserem Versorgungsgebiet mit einem jährlichen Gasabsatz von rund 350 GWh anstelle der heutigen 750 bis 800 GWh. Ab 2050 wird kein fossiles Gas mehr verteilt werden, sondern ausschliesslich erneuerbares Gas, bestehend zum Teil aus synthetischen Gasen wie Wasserstoff oder Methan, und zu einem anderen Teil aus Biogas. Auch das Gasnetz in der jetzigen Form wird dann obsolet werden.
Wie wird sich das Gasnetz entwickeln?
Das Gasverteilnetz der Zukunft wird mit der Wärmeversorgung abgestimmt und redimensioniert werden. Darüber sollen dann WKK-Anlagen der Fernwärme und von Wärmeverbunden in den Hügellagen sowie lokale Industriebetriebe versorgt werden. Ausserdem wird Gas weiterhin zur Spitzendeckung der Fernwärme eingesetzt werden. Für diesen Netzumbau werden wir einen grossen Teil der Gasleitungen stilllegen, wobei wir uns an die Vorgaben der kürzlich erschienenen SVGW-Empfehlung G1002 für die Planung und Ausführung der Stilllegung von Gasanschluss- und -verteilleitungen halten. Ein Rückbau von Leitungen und Infrastruktur ist hingegen nicht vorgesehen. Derzeit sind wir daran, das Gas-Zielnetz 2050 für die Stadt St. Gallen zu definieren. Dabei greifen natürlich die Planung des Fernwärmeausbaus und die Gasstilllegungsplanung eng ineinander. Wir machen uns auch Gedanken darüber, welche Gasleitungen in der Talsohlenzone noch saniert werden sollen. Wenn wir Abschnitte sanieren müssen, nutzen wir die Gelegenheit, um sie H2-ready zu machen.
Aktuell befinden wir uns auch in der Planungsphase für eine erste Wasserstoffleitung, die von der Wasserstoffproduktionsanlage im St. Galler Kubel nach Gossau führen und dort eine Wasserstofftankstelle versorgen soll. Die Machbarkeitsstudie ist abgeschlossen und das Vorprojekt steht. Nun nehmen wir Bauprojekt und Baueingabe in Angriff. Dieses Projekt ermöglicht uns, erste Erfahrungen mit Wasserstoffleitungen zu sammeln.
Woher stammt das von sgsw angebotene Biogas aktuell und welche Pläne gibt es, um mehr erneuerbares Gas ins Netz zu bringen?
Im Moment stammen rund 10 Prozent des von uns verkauften Biogases aus der Schweiz. Der überwiegende Teil davon wird aus landwirtschaftlichen und gastronomischen Abfällen gewonnen, ein kleiner Anteil stammt aus der Power-to-Gas-Anlage von Limeco, wo die St. Galler Stadtwerke Kooperationspartner sind. Insgesamt ist das Angebot an inländischem Biogas zurzeit stark begrenzt. Wir streben jedoch an, dass mittelfristig ein Drittel des abgesetzten Gases in der Schweiz produziert wird.
Heute stammen die verbleibenden 90 Prozent des beschafften Biogases aus dem europäischen Ausland, nämlich – in absteigender Reihenfolge – aus Dänemark, den Niederlanden, Deutschland und dem Vereinigten Königreich. Das Biogas wird ausschliesslich aus Abfällen und Reststoffen hergestellt. Die St. Galler Stadtwerke setzen auf langfristige Abnahmeverträge zu Gestehungskosten, kombiniert mit einer verbindlichen Abnahmegarantie gegenüber den Produzenten. Ziel ist es, sowohl den Ausbau bestehender Anlagen als auch die Errichtung neuer Produktionskapazitäten zu fördern. Wir sind überzeugt, dass die ausschliessliche Beschaffung zu Marktpreisen keine nachhaltige Wirkung auf den Anlagenbau und die Angebotsentwicklung entfalten kann.
«Das St. Galler Gasverteilnetz der Zukunft wird mit der Wärmeversorgung abgestimmt und redimensioniert werden.»
Und wie sieht es im Bereich Fernwärme aus? Wie hoch ist der Anteil fossiler Energie an der Wärmeerzeugung für die Fernwärme aktuell und wie will man hier dem Netto-Null-Ziel näherkommen?
Von politischer Seite ist uns vorgegeben, dass der fossile Anteil maximal bei 25 Prozent liegen darf. Im letzten Jahr lagen wir mit 23,3 Prozent leicht darunter. Dabei wird sowohl die Wärme aus der KVA als auch die Wärme aus WKK-Anlagen zu 100 Prozent als erneuerbar angesehen. Die fossilen Energieträger werden grossenteils zur Spitzenlastabdeckung eingesetzt. Auch bei der Fernwärme wollen wir bis 2050 Netto-Null durch die Verwendung synthetischer und erneuerbarer Gase erreichen.
Eine weitere Stossrichtung des Energiekonzepts 2050 lautet: «Energie speichern statt vernichten.» Welche Möglichkeiten der Wärmespeicherung wären Ihres Erachtens für St. Gallen sinnvoll? Wo sind zurzeit Hindernisse für eine thermische Energiespeicherung auszumachen?
Die Wärmespeicherung und damit die Optimierung des BeÂtriebs beschäftigt uns sehr. Derzeit bauen wir auf dem Gelände des Kehrichtheizkraftwerks einen grossen Heisswasserspeicher mit mehr als 800 Kubikmetern Inhalt, der ins Fernwärmenetz eingebunden werden soll, um die Spitzenlasten und somit den fossilen Anteil an der verteilten Wärme zu reduzieren. Das Fundament wurde kĂĽrzlich fertiggestellt. Nun wird in den nächsten Monaten der Speicher auf Platz zusammengeschweisst. In circa einem Jahr soll der Speicher dann in Betrieb genommen werden. Eigentlich hätten wir uns einen grösseren Speicher gewĂĽnscht, um auch ĂĽberschĂĽssige Energie aus Photovoltaikanlagen in den Speicher einzubringen. Doch die Netznutzungsentgelte, die stromseitig anfallen, standen dem entgegen, denn sie schmälerten die wirtschaftliche Attraktivität dieser ökologischen Lösung massiv. In der Schweiz ist der gesetzliche Rahmen aktuell nicht förderlich fĂĽr Power-to-Heat und Wärmespeicherung. Schwierig ist es zudem, in Städten Platz fĂĽr Wärmespeicher zu finden. Wer will sich schon 20 Meter hohe TĂĽrme ansehen? Innerhalb einer Stadt solche Infrastrukturbauwerke zu errichten ist nicht ganz einfach.
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Bräuchte es nicht auch sehr grosse Wärmespeicher, um die im Sommer im Kehrichtheizkraftwerk anfallende Wärme für den Winter vorzuhalten, wo sie dann wirklich gebraucht wird?
Grosse Wärmespeicher wären auf jeden Fall vorteilhaft. Mit ihnen liessen sich die Heizkraftwerke flexibler betreiben, indem die Stromerzeugung von der Wärmeproduktion zeitlich entkoppelt wird. Auch die Einspeisemöglichkeiten für erneuerbare Energien würden erhöht. In Nürnberg wurde beispielsweise 2014 ein grosser Wärmespeicher in Betrieb genommen. Dieser ist rund 70 Meter hoch, hat einen Durchmesser von etwa 26 Metern und fasst rund 33 000 Kubikmeter Wasser. In Dänemark gibt es bereits einige Wärmespeicher in Form eines grossen Wasserbeckens, um Wärme aus dem Sommer in den Winter zu bringen. Aber hier bei uns fehlt einerseits der Platz, anderseits sind auch die Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben.
Welche Möglichkeiten der Optimierung der Wärmeproduktion und des Fernwärmenetzes werden durch sgsw verfolgt?
Im Fernwärmenetz in der Talsohle von St. Gallen fahren wir mit hohen Temperaturen: 130 °C im Winter und 85 °C im Sommer. Die hydraulischen Gegebenheiten im Fernwärmenetz lassen es nicht zu, das System durch Temperaturabsenkung zu optimieren. Deshalb fokussieren wir uns auf die Optimierung der Wärmeproduktion. Dafür haben einige Kollegen – Philipp Aeby, Silvan Müller und Peter Härtsch – ein virtuelles Kraftwerk in Form eines digitalen Zwillings des Prozessleitsystems entwickelt, in dem Produktion und Speicherung der verschiedenen erneuerbaren Energien miteinander verbunden sind. So werden unter Berücksichtigung der Wettervorhersagen die Energieflüsse simuliert, optimiert und, basierend darauf, die Anlagen der vier Fernwärmezentralen Au, Olma, Waldau und Lukasmühle gesteuert. Wir sind momentan daran, den Fahrplan der Wärmeproduktion noch weiter zu verbessern.
«In der Schweiz ist der gesetzliche Rahmen aktuell nicht förderlich für Power-to-Heat und Wärmespeicherung.»
Das Fernwärmenetz in St. Gallen wird zurzeit stark ausgebaut. Wie präsentiert es sich heute und was sind die nächsten Ausbauetappen?
Unser Ziel, das Fernwärmenetz und die Wärmeproduktion bis 2040 auf einen Absatz von 330 GWh pro Jahr auszubauen, soll in vier Phasen erreicht werden. Momentan befinden wir uns im Abschluss des Leitungsbaus der Phasen 1 und 2. Ausbauphase 3 ist in der Realisierung. Neben dem Kesselersatz im Kehrichtheizkraftwerk werden in dieser Phase eine zusätzliche grosse WKK-Anlage wie auch der bereits erwähnte Heisswasserspeicher gebaut. Ausbauetappe 4 befindet sich in der Vorprojektphase. In dieser soll unter anderem ein Altholz-Heizkraftwerk neu erstellt werden. In allen Phasen wird das Leitungsnetz ausgebaut.
Was sind die grössten Herausforderungen bei diesem Generationenprojekt des Umbaus der Wärmeversorgung in St. Gallen? Welche Lösungen wurden dafür gefunden?
Es gibt immer wieder Konflikte zwischen den städtebaulichen Interessen und unseren Interessen im Zusammenhang mit dem Fernwärmeausbau. In der Stadt fehlt es schlichtweg an Platz, vor allem auch wegen der Topografie St. Gallens. Zudem fügen sich Infrastrukturbauten wie Wärmezentralen oder grosse Speicher nicht unbedingt gut ins Stadtbild ein. Die grösste Herausforderung ist also, das Fernwärmesystem so zu bauen, dass es in die Stadt passt. Wir stehen im engen Dialog mit den verschiedenen städtischen Ämtern, um gute Lösungen zu finden.
DarĂĽber hinaus ist die Koordination der Bauvorhaben anÂspruchsvoll. Um Synergien besser zu nutzen, wurden im Jahr 2022 die Bereiche «Wärme und Contracting» sowie «Netz, Gas und Wasser» zum neuen sgsw-Bereich «Wasser, Gas und Wärme» zusammengelegt.
Gemäss einer weiteren Stossrichtung des Energiekonzepts 2050 soll lokales Abwärmepotenzial genutzt und Energie lokal produziert werden. Gibt es für die Fernwärme über die Nutzung der Abwärme des Kehrichtheizkraftwerks hinaus weitere Pläne, um lokale Abwärme als Wärmequelle für die Fernwärme zu nutzen?
Die Stadt St. Gallen bildet zusammen mit Gaiserwald und den St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK) die energienetz GSG AG. Deren Geschäftsführung wird durch die St. Galler Stadtwerke wahrgenommen. Das Unternehmen baut im industriell geprägten Gebiet St. Gallen West und Gaiserwald ein Anergienetz auf – das wärmenetz GSG. Über dieses wird überschüssige Energie (Abwärme) der Industrie- und Gewerbebetriebe in dem Gebiet verteilt und dann zur Beheizung und Kühlung von Gebäuden genutzt. Ausgehend von einem Initialcluster, schreitet der Ausbau des Anergienetzes stetig voran. Das Ziel ist, bis 2050 den ganzen Perimeter und die angrenzenden Wohn- und Gewerbegebiete mit Raumwärme und -kälte zu versorgen.
«In den grösseren Städten wird die Fernwärme nach und nach das Gas ablösen. Bei dieser Mammutaufgabe muss der SVGW die Versorgungsunternehmen unterstützen.»
An der SVGW-Jahresversammlung im Juni dieses Jahres wurden Sie in den SVGW-Vorstand gewählt. Wie möchten Sie sich hier einbringen? Bei welchen Themen sollte sich der SVGW Ihrer Meinung nach verstärkt engagieren, um die Branchen Wasser, Gas und Wärme noch besser zu unterstützen?
Im Bereich Wasser möchte ich mich fĂĽr das Thema Nutzungskonflikte engagieren. Statt sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben, sollte lieber die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Wasserversorgung gestärkt werden. Was das Gas betrifft, so steht in meinen Augen die Frage im Zentrum, wie wir die Transformation der Gasnetze wie auch vom Gas Âselbst erreichen können. Daran schliesst sich die Frage an, was das fĂĽr den Verband bedeutet und wie sich der Gasbereich des SVGW in Zukunft positionieren sollte. Und natĂĽrlich möchte ich mich auch stark fĂĽr den Bereich Wärme einsetzen. In den grösseren Städten wird die Fernwärme nach und nach das Gas ablösen. Bei dieser Mammutaufgabe muss der SVGW die Versorgungsunternehmen unterstĂĽtzen, vor allem mit einem breiten Angebot an Aus- und Weiterbildungen und durch die WeiterÂentwicklung des Wärmeregelwerks. Besonders freut mich, dass derzeit eine Richtlinie zum Thema Betrieb und Instandhaltung in der Fernwärme erarbeitet wird. Auch den Austausch in den verschiedenen technischen Fachgruppen erachte ich als ĂĽberÂaus wertvoll. Sehr am Herzen liegt mir weiter die gute Zusammenarbeit von SVGW und dem Verband Thermische Netze Schweiz (TNS). Dabei sehe ich den SVGW als den technischen Verband, während der TNS eher im politischen Bereich angesiedelt ist. Schliesslich möchte ich dazu beitragen, den SVGW etwas moderner respektive zukunftsorientiert zu gestalten, damit gerade die jĂĽngere Generation dazu motiviert wird, im Verband mitzuwirken. Gerne möchte ich auch dabei unterstĂĽtzen, das SVGW-Netzwerk auszubauen und zu pflegen.
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Patrick Flammer ist ausgebildeter Spengler-Sanitärinstallateur und hat später den Executive MBA an der FHS St. Gallen erworben. Nach Tätigkeiten bei verschiedenen Industrieunternehmen und einigen Jahren als Leiter Verkauf Energiecontracting bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ) leitet Patrick Flammer seit Frühjahr 2019 den Bereich Wasser, Gas und Wärme bei den St. Galler Stadtwerken (sgsw). Seit Herbst 2020 ist er zudem Geschäftsleiter der Regionalen Wasserversorgung St. Gallen AG (RWSG). |
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