Strassenbäume sind ein zentraler Bestandteil der grünen Infrastruktur. Sie werden gerne als lebende Klimaanlagen bezeichnet. Welche Ökosystemleistungen erbringen Bäume und wovon hängt die effektive Leistung ab?
Andrea Saluz (A.S.): Bäume erbringen eine ganze Reihe von Ökosystemleistungen, angefangen bei den unterstützenden – zum Beispiel Unterstützung bei der Bodenbildung – über regulierende Funktionen, wozu unter anderem die Klimaregulation zählt, und die Versorgungsleistungen (Nutzung des Holzes, besseres Stadtklima, Biodiversität etc.) bis hin zu kulturellen Leistungen. Letztere werden bei blau-grünen Infrastrukturen (BGI) in der Regel aber nicht berücksichtigt. Im Zentrum stehen dabei hingegen die klimatischen Leistungen von Bäumen, also die Verdunstung und der Schatten.
Gion Willi (G.W.): Zudem binden Bäume während des Wachstums auch Kohlenstoff. Damit erbringen sie eine Ökosystemleistung für die Zukunft. Ausserdem ist jeder Baum ein kleines Ökosystem. Er ist Lebensraum für viele andere Arten: Insekten, Vögel, Spinnen etc. Überdies sind Bäume Erholungsinseln.
Wie sieht das bei Strassenbäumen aus, erbringen sie wirklich all diese ihnen zugeschriebenen Leistungen?
A.S.: Ein Stadtbaum kann die von ihm erwarteten Leistungen, also vor allem die Klimaanpassungsleistungen, erbringen, wenn ihm der Raum zugestanden wird, den er benötigt. Die Leistungen kann er nur erbringen, wenn er vital ist. Für die Vitalität braucht es ein gutes Umfeld, insbesondere einen ausreichend grossen Wurzelraum. Darüber hinaus braucht es eine fachgerechte Baumpflege.
Michael Burkhardt (M.B.): Wir sprechen bisher immer nur von den Ökosystemleistungen eines Baumes. Wichtig ist aber auch eine adäquate Unterpflanzung des Baums, sprich die Kraut- und Staudenschicht, damit der Baum die erwarteten Leistungen erbringen kann.
G.W.: Es ist dabei auch eine zeitliche Entwicklung zu beobachten. Die KĂĽhlleistung eines frisch gepflanzten Stadtbaums ist gering. Am Anfang ist daher die Kraut- und Staudenflora diesbezĂĽglich bedeutsamer. Später, wenn der Baum gewachsen ist und der Schattenwurf grösser ist, geht die Bodenvegetation zurĂĽck und die klimaregulierende Leistung des Baumes wird wichtiger. Damit sich ein Stadtbaum gut entwickeln kann, braucht es baumgerechte Lebensbedingungen mit genĂĽgend Raum fĂĽr sowohl die Wurzeln als auch die Krone. Zudem braucht der Baum Wasser und Nährstoffe.Â
«Ein Stadtbaum kann die von ihm erwarteten Leistungen, also vor allem die Klimaanpassungsleistungen, erbringen, wenn ihm der Raum zugestanden wird, den er benötigt.»
Ab welchem Alter kann ein Stadtbaum Klimaanpassungsleistungen erbringen?
A.S.: Ein junger, neu verpflanzter Baum passt sich schneller und besser an neue Standortbedingungen an als ein älterer Baum. Weil der Pflanzschock beim Verpflanzen bereits grosser, älterer Bäume enorm hoch ist, werden in der Regel Bäume im Alter von rund zehn Jahren verpflanzt. Aber erst nach einer Standzeit von rund vierzig Jahren entfaltet ein Strassenbaum seine vollen Ökosystemleistungen. Problematisch ist, dass bei der herkömmlichen Strassenbauweise Strassenbäume meist gar nicht dieses Alter erreichen. Daher erbringen viele Strassenbäume häufig nicht die maximalen von ihnen erwarteten Leistungen. Doch obwohl ein junger Baum noch wenig Schatten gibt und wenig verdunstet, erbringt er schon eine wertvolle Leistung: Er macht einen grauen Raum grün.
M.B.: Schwammstadt heisst nicht, dass zu jedem Zeitpunkt das Maximum an Ă–kosystemleistung erreicht werden kann und muss. Verglichen mit einer asphaltierten Fläche, ist auch ein junger Baum bereits eine klare Verbesserung. Gleichzeitig bedeuten die vergleichsweise niedrigen klimaregulierenden Leistungen von jungen Bäumen, dass erste Priorität bei Schwammstadt- respektive Klimaanpassungsmassnahmen sein sollte, alte Bäume zu schĂĽtzen, also – wenn immer möglich –Bauen im Bestand.Â
Welche Baumarten können in der Stadt gepflanzt werden?
A.S.: Das lässt sich kurz beantworten: grundsätzlich alle. Das heisst aber nicht, dass jeder Baum an jedem Standort gepflanzt werden kann. Es muss also spezifisch abgeklärt werden, welcher Baum wo gepflanzt werden kann. Für blau-grüne Infrastrukturen eignen sich besonders Baumarten, die natürlicherweise in Auen- und Uferzonen wachsen, denn diese sind an wechselfeuchte Verhältnisse angepasst. Sie kommen mit anstehendem Wasser zurecht, was trockenheitsliebende Baumarten nicht können.
G.W.: Wichtig ist, zu diversifizieren, damit kein Klumpenrisiko entsteht. Zudem gilt es, bevorzugt einheimische und vor allem standortgerechte Baumarten auszuwählen. Heute sollten zunehmend Bäume gepflanzt werden, die in südlichen, wärmeren Gebieten aufgezogen wurden. Der Klimawandel manifestiert sich, daher sollten wir Bäume verwenden, die höhere Temperaturen vertragen.
Ein Baum ist kein Wald. Wie lässt sich trotzdem die Ökosystemleistung eines Waldes in die Stadt bringen?
G.W.: Es darf nicht auf den Baum allein fokussiert werden, sondern es sollten vielschichtige Ökosysteme mit Bäumen geschaffen werden. Also Schichten von klein bis gross mit Krautschicht, Strauchschicht, Mittelschicht und Oberschicht. Es gilt also, mehr Naturprinzipien zu übernehmen und in die Stadt zu bringen. Ausserdem sollten die natürlichen Prozesse am Standort gefördert werden, anstatt rein künstliche Systeme zu schaffen. Dazu gehört zum Beispiel, das gefallene Laub im Kreislauf zu behalten, woraus sich dann ein natürlicher Boden entwickeln kann.
A.S.: Hier kommen aber die Interessenkonflikte in der Stadt ins Spiel. Die sehr wertvolle Strauchschicht gibt es in Städten nur vereinzelt, vor allem aus Gründen der Überblickbarkeit und der Sicherheit. Im Strassenraum dürfen beispielsweise keine Sträucher grösser als 80 Zentimeter wachsen, damit Kinder gut gesehen werden. Eine ansprechende Krautschicht liesse sich hingegen um viele Bäume realisieren. Sinnvoll wären ausserdem durchgehende Grünstreifen anstelle von einzelnen, meist doch recht kleinen Baumscheiben. Und punktuell sollten auch Strauch- und Heckenstrukturen möglich sein.
«Es darf nicht auf den Baum allein fokussiert werden, sondern es sollten vielschichtige Ökosysteme mit Bäumen geschaffen werden.»
Bäume brauchen genügend Raum für ihre Wurzeln, nur so können sie ihre natürliche Kronengrösse erreichen. Der Untergrund im bebauten Gebiet wird aber bereits stark genutzt und wird vielfach künftig noch stärker genutzt werden. Konflikte sind da vorprogrammiert. Wie lassen sich die Konflikte entschärfen und wie lässt sich insbesondere der Wurzeleinwuchs in Rohrleitungen verhindern?
A.S.: Ein Baum ist ein Opportunist, das heisst, er wächst dorthin, wo es ihm etwas bringt. Zwei Gründe gibt es, dass er in Leitungen hineinwächst: A) Es gibt keine bessere Alternative für ihn, an Wasser zu kommen, und B) die Leitung ist nicht korrekt gebaut oder vorbeschädigt, denn ansonsten könnten die Wurzeln nicht in die Leitung gelangen. Daraus lässt sich ableiten, dass der Baum eine gute Alternative benötigt: Im Strassenbereich sind das gute Baumsubstrate und im Platzbereich ist es ein attraktiver Standort mit möglichst natürlichem Boden.
G.W.: Baumwurzeln lassen sich erziehen respektive lenken. Wenn die richtigen Anreize – Wasser, Nährstoffe und vor allem Luft, respektive eine gute Durchlüftung – gezielt eingesetzt werden, dann wachsen die Baumwurzeln dorthin. Diese Anreize müssen also gegenüber von Leitungen geboten werden und nicht in der Nähe der Leitung, dann lassen sich die Konflikte zwischen Bäumen und Leitungen entschärfen. Wurzellenkung ist das Zauberwort. Diese sollte ein zentraler Bestandteil der strategischen Planungsphase sein.
Wie sollten Baumgruben ausgestaltet werden, damit sich gesunde Strassenbäume entwickeln können?
G.W.: Eine Baumgrube sollte mit so wenig Technik wie möglich auskommen. Möglichst viel natürlicher, nicht verdichteter, also lockerer Boden ist optimal. Zudem sollten, wo immer machbar, zusammenhängende Wurzelräume geschaffen werden, denn Bäume kommunizieren über die Wurzeln.
A.S.: Es muss jedoch angemerkt werden, dass umso weniger natürlicher Boden eingesetzt werden kann, je naturfremder der Standort ist. Im Bereich von Strassen und stark frequentierten Plätzen kann der natürliche Boden seine Funktion nicht erfüllen. Hier müssen Substrate zum Einsatz kommen. Mittlerweile gibt es auch überbaubare Substrate, die gut durchwurzelbar sind und die Verbindung von Wurzelräumen erlauben, ohne dass die Gestaltung an der Oberfläche deswegen angepasst werden müsste. Bereits um das Jahr 2000 herum wurde solch ein Substrat an der Cornell University (New York, USA) entwickelt: CU-Structural Soil.
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M.B.: Es wurde zwar gezeigt, dass die Verwendung überbaubarer Substrate auch unter Strassen und Belägen funktioniert, und es hat sich schon mancherorts bewährt. Aber diese Bauweise ist bisher in keiner Schweizer Norm beschrieben. Das erschwert die Anwendung solcher erfolgreichen Systeme in der Praxis.
Wie wichtig ist die Grösse des Wurzelraums, verglichen mit der Substratart?
A.S.: Die Grösse des Wurzelraums ist das A und O. Erst an zweiter Stelle steht dann die Qualität des Substrats. Wenn genügend Raum gegeben und für eine gute Durchlüftung gesorgt ist, dann sind die weiteren Faktoren sekundär. Umgekehrt lässt sich mit einem erstklassigen Substrat der Wurzelraum nicht per se verkleinern, denn dann erhält man eine Topfpflanze.
M.B.: In diesem Zusammenhang ist auch der Faktor Zeit zu nennen. Der einmal zugestandene Wurzelraum ändert sich über die Zeit nicht, gewisse Substrateigenschaften hingegen schon. Das, was anfangs eingebaut wurde, entspricht höchstwahrscheinlich nicht dem, was man nach fünf, zehn oder zwanzig Jahren vorfinden wird.
G.W.: Das Substrat ist eher eine Starthilfe. Nach einigen Jahren wird das beste Substrat ausgelaugt sein. Die strukturellen Eigenschaften des Substrats – Korngrösse, Wasserhaltekapazität etc. – dagegen sollten sich kaum verändern.
Was zeichnet ein gutes Substrat aus?
A.S.: Um die Durchwurzelung zu ermöglichen und auch bei starker Verdichtung einen Hohlraum zur gewährleisten, sind die strukturgebenden Bestandteile des Substrats wesentlich. Ein Substrat muss daher Schotter und Grobschlag enthalten. Mit diesem grobkörnigen Material erhält man rund 30 Prozent Hohlraum. Mit dem Feinanteil des Substrats kann gespielt werden. Darüber lässt sich beispielsweise der Schadstoffrückhalt oder die Versickerungsleistung erhöhen. Oder die Nährstoffverfügbarkeit kann damit gesteigert werden. Der Feinanteil sollte situativ angepasst werden, was aktuell im Rahmen des standardisierten Bauens noch kaum geschieht.
G.W.: Es sollte auf jeden Fall geeignetes Vorortmaterial wiederverwendet werden. Der anfallende Bodenaushub muss genau angeschaut werden, um zu bestimmen, wie viel davon eingesetzt werden kann. Dies wird dann je nach den Ansprüchen der vorgesehenen Baumart ergänzt. In ein gutes Substrat gehört zudem Pflanzenkohle. Ein Gramm Pflanzenkohle speichert bis zu fünf Gramm Wasser. Durch Kompostzugabe lässt sich die Nährstoffverfügbarkeit, gerade im Sinne einer Starthilfe, erhöhen. Ein bisschen lässt sich auch die Mikrobiologie beeinflussen, indem Pilze wie Mykorrhiza oder Trichoderma zugesetzt werden.
M.B.: Viele Substrate sind auf die gesättigte Wasserleitfähigkeit, also auf hohe Versickerungsraten, ausgelegt. Was aktuell noch eher fehlt, sind Substrate, die Wasser halten können und somit wirklich wie ein Schwamm funktionieren. Hier kommt die Pflanzenkohle ins Spiel.
«Was aktuell noch eher fehlt, sind Substrate, die Wasser halten können und somit wirklich wie ein Schwamm funktionieren.»
Was sind die wesentlichen Anforderungen von Bäumen an Pflanzsubstrate, damit sie am Standort alt werden können?
A.S.: An erster Stelle steht Luft und nochmals Luft. Eine gute Durchlüftung ist entscheidend. Es braucht Sauerstoff, Wasser und Kohlenstoff; alle anderen Faktoren, wie Nährstoffe, sind nachgelagert.
M.B.: Wird ein Wasser- oder Nährstoffmangel festgestellt, so lässt sich in der Regel was dagegen tun. Wurde der Boden einmal zu stark verdichtet, sodass die Durchlüftung nicht mehr gegeben ist, dann ist das irreversibel.
Welche Bedeutung sollten schadstoffkontrollierte Recyclingmaterialien haben, damit die Substrate nachhaltiger werden?
M.B.: Ich wünschte mir, dass vermehrt recyceltes Material aus abgebrochenen Bauten verwendet wird. Dies, um einem geschlossenen, regionalen Materialkreislauf näherzukommen. Der urbane Raum ist kein Naturschutzgebiet. Hier könnten schadstoffkontrollierte Recyclingmaterialien guten Gewissens eingesetzt werden, ohne den Gewässerschutz zu unterlaufen. Beim Recyclingbeton ist es gängige Praxis. Im Schwammstadtbereich gibt es ebenfalls schon solche Materialien, wie Kies und Sand aus der Bodenwäsche oder Ziegelschrot.
Damit grüne Infrastrukturen wirklich grün bleiben, braucht es genügend Blau. Mit welchen Massnahmen kann erreicht werden, dass die Strassenbäume und auch die andere städtische Vegetation mit genügend Wasser versorgt werden?
G.W.: Zentral ist, dass das Schwammstadtprinzip gelebt und umgesetzt wird. Dabei geht es unter anderem darum, Oberflächenwasser zu sammeln und den Bäumen und der Vegetation zuzuleiten. Zudem muss eine ausreichende Versickerungsleistung geschaffen werden.
A.S.: Am Anfang steht die Topografie. Es geht darum, die Topografie richtig zu lesen und allenfalls ein wenig zu gestalten, um das Wasser zur Vegetation hinzuleiten.
M.B.: Nicht sinnvoll und nicht nachhaltig ist dagegen eine künstliche Bewässerung. Standortgerechte Vegetation sollte allein mit dem natürlichen Niederschlag versorgt werden. Dabei gilt es, die Anschlussflächen für Bäume und Vegetation zu erhöhen. So sollte beispielsweise das vom Trottoir ablaufende Wasser immer den Bäumen zugeführt werden, und das von den Strassen ablaufende Wasser vermehrt. Der Schlüssel ist ein Wasserkonzept für die Bepflanzung, was heute leider oft noch fehlt.
Was leisten Bewässerungssäcke an Bäumen zum Überstehen von Trockenperioden?
G.W.: Bewässerungssäcke haben einen grossen Nachteil: Sie verleiten die Bäume dazu, die Saugwurzeln im oberen Bereich zu behalten und nicht in die Tiefe zu entwickeln. Ist das Oberflächenwassermanagement clever gelöst, braucht es – wie bereits erwähnt – keine Bewässerung. Dort, wo in bestehenden Gruben ohne Anpassungen neue Bäume gepflanzt werden, ist der Einsatz von Bewässerungssäcken jedoch angebracht.
«Es ist hilfreich, in Achsen und Netzen zu denken. So können viele kleine Projekte zu etwas Grösserem zusammenwachsen.»
Um den urbanen Wasserkreislauf zu optimieren, wäre es sinnvoll, auch das Strassenabwasser für die Baumbewässerung zu nutzen, statt das Wasser einfach zu versickern, in die Kanalisation oder direkt in Oberflächengewässer zu leiten. Welche Schwierigkeiten sind hiermit verbunden?
M.B.: Der rollende Verkehr führt zu verschiedenen Emissionen: Reifenabrieb, Tropfverluste, Abrasion von Bremsbelägen etc. Zudem gibt es Abschwemmung von Bauteilen, beispielsweise von verzinkten Bauteilen im Verkehrsraum, oder auch von Fahrbahnmarkierungen. Durch Trocken- oder Nassdeposition lagern sich Stoffe auf Verkehrsflächen ab. Wenn es regnet, werden diese abgewaschen und liegen im Strassenabwasser vor. Die Schwierigkeiten, die mit der Nutzung von solchermassen belastetem Wasser verbunden sind, sind: Schadstoffakkumulation in Grünflächen und Boden sowie Verschmutzung des Grundwassers. Die verschiedenen Verunreinigungen verhalten sich bei der Versickerung des Strassenabwassers unterschiedlich. So werden Schwermetalle und Reifenabrieb im Substrat zurückgehalten und gelangen nicht ins Grundwasser. Doch bei vielen Stoffen ist nicht bekannt, wie sie sich verhalten. Diese Wissenslücke verunsichert. Aus Gründen des allgemeinen Grundwasserschutzes ist man daher aktuell eher zurückhaltend bei der Verwendung von Strassenabwasser. Doch wenn die Schwammstadtidee umgesetzt und die Vegetation mit genügend Wasser versorgt werden soll, dann ist die Nutzung des von den Verkehrsflächen ablaufenden Wassers unabdingbar. Dafür müssen wir besser verstehen, wann dieses Wasser für die Bewässerung geeignet ist und wann nicht. Die aus der Verkehrsfrequenz abgeleiteten Belastungsklassen können ein erster Ansatzpunkt sein. Als Zweites muss auch noch die stoffliche Belastung angeschaut werden. In Schwammkreiseln der Stadt Winterthur, einem Reallabor der Strassenentwässerung, schauen wir beispielsweise alles genauer an. Mit diesen Kenntnissen können Lösungen entwickelt werden.
Welche Lösungsansätze gibt es, um das von Dächern, Plätzen, Wegen und Strassen abfliessende Wasser sicher zu nutzen?
A.S.: Anhand der stofflichen Belastung kann entschieden werden, ob das Wasser ungereinigt genutzt werden kann oder ob eine vorgängige Reinigung nötig ist. Die Reinigung kann in separaten Anlagen geschehen oder in der Baumgrube selbst, beispielsweise durch die Verwendung eines optimierten Substrats.
Wie relevant ist Tausalz fĂĽr die Baumgesundheit?
A.S.: Für alle Bäume stellt Salz in Kombination mit Trockenheit ein Problem dar. Steht jedoch genügend Wasser zur Verfügung, relativiert sich die Problematik, denn Salz ist sehr gut löslich und wird daher schnell ausgewaschen. Wird der Raum so gestaltet, dass den Bäumen genügend Wasser zugeführt wird, löst sich damit auch die Tausalzproblematik.
Mit dem Schwammstadtansatz soll eine nachhaltige, resiliente und wassersensible Stadt erreicht werden. Reichen einzelne, räumlich nicht unbedingt verknüpfte Projekte aus, um diesem Ziel tatsächlich näherzukommen?
A.S.: Bei Grün Stadt Zürich haben wir diese Frage intensiv diskutiert und sind zum Schluss gekommen, dass wir von beiden Seiten ansetzen müssen, also sowohl top-down wie auch bottom-up. Würden wir nur den Top-down-Ansatz mit einer umfassenden Raumplanung verfolgen, hätten wir in zehn Jahren wahrscheinlich noch nicht mit der Umsetzung begonnen. Daher braucht es gleichzeitig den Bottom-up-Ansatz mit kleinen, einzelnen Projekten, die in der Summe doch eine grosse Wirkung erzielen. Die Schwierigkeit liegt darin, die beiden Ansätze irgendwann einmal sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
M.B.: Es ist hilfreich, in Achsen und Netzen zu denken. So können viele kleine Projekte zu etwas Grösserem zusammenwachsen. Ausserdem sollte auch der Sensibilisierungseffekt bei Bevölkerung und Politik, der mit jedem noch so kleinen Projekt einhergeht, nicht vernachlässigt werden.
Wie lässt sich der Erfolg der in der Regel nicht kostengünstigen Massnahmen überprüfen? Welche Indikatoren sollten dafür herangezogen werden?
M.B.: Ein Vergleich der Wasserbilanz vor und nach der Umsetzung der Massnahme ist ein wertvoller Indikator. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie viel des Regenwassers genutzt respektive versickert wird. Was sich schwer quantifizieren lässt, ist die Verdunstungsleistung. Neben der blauen Seite kann auch die grüne Seite angeschaut werden: Wie verändert sich die Grünfläche? Auch Schattenwurf und, damit verbunden, Aufenthaltsqualität lassen sich zumindest qualitativ beschreiben. Eine Quantifizierung der gesamten Wirkungskette der Massnahmen ist hingegen kaum zu erreichen und wahrscheinlich nicht erforderlich. Indikatoren zu erfassen ist hingegen wichtig.
Wo stehen wir in der Schweiz hinsichtlich Schwammstadt heute, wo liegen die grössten Herausforderungen und wie lassen sich diese meistern?
A.S.: Die grösste Herausforderung bleibt die Zusammenführung der verschiedenen Planungs- und Ausführungsdisziplinen, die mit dem Thema Schwammstadt zu tun haben und in die Projekte einbezogen werden sollten. Die Disziplinen müssen von Anfang an im Rahmen der Projekte zusammenarbeiten. Nur so kann der Übergang von Pilotprojekten zum Regelbau erfolgen, der mittlerweile vielerorts in der Schweiz ansteht.
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Nach einer Lehre als Landschaftsgärtner studierte Andrea Gion Saluz Umweltingenieurwesen und anschliessend Botanik an der ZHAW. Seit Frühjahr 2022 ist er Leiter Koordination Stadtbäume bei Grün Stadt Zürich. |
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Gion Willi war lange Zeit in der Forstwirtschaft tätig, bevor er 2017 in die Privatwirtschaft wechselte und in der Pflanzenkohleherstellung arbeitete. 2024 gründete er die GreenTech Create GmbH, die auf dem Gebiet der Pflanzenkohle tätig ist wie auch Schwammstadtprojekte entwickelt. |
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Der Geologe Michael Burkhardt arbeitete zunächst einige Jahre an der Eawag und wechselte dann an die OST – Ostschweizer Fachhochschule. Dort ist er Professor und Leiter des Instituts für Umwelt- und Verfahrenstechnik (UMTEC). |
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