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Fachartikel
28. Februar 2019

Integration erneuerbarer Energiequellen

Energy Hubs - ein Beitrag zur Energiewende

Um mehr erneuerbare Energiequellen in das Energiesystem Schweiz zu integrieren, braucht es neue Konzepte. Das «Energy Hub»-Konzept erlaubt ganzheitliche, techno-ökonomisch optimierte Lösungen zu finden. Am Beispiel «Masterplan Energie Brig-Glis» wird die Anwendung des «Energy Hub»-Konzepts aufgezeigt.
Matthias Sulzer, Andrew Bollinger, Kristina Orehounig, 

Die Energiestrategie 2050 des Bundes (ES2050) definiert die beiden ĂŒbergeordneten Ziele Ausstieg aus der Atomenergie und Reduktion der CO2-Emissionen. Im Zentrum der Strategie stehen zwei Massnahmen: erstens die Erhöhung der Energieeffizienz und zweitens den Ausbau der erneuerbaren Energie [1]. Die Herausforderung bei der zweiten Massnahme ist die nahezu vollstĂ€ndige Dekarbonisierung des heutigen Energiesystems, und dies ohne Bereitstellung der ElektrizitĂ€t aus Atomkraftwerken. Zu beachten gilt, dass alle EnergieflĂŒsse, d. h. elektrische, thermische und solche fĂŒr die MobilitĂ€t, zu jedem Zeitpunkt CO2-arm – oder besser CO2-frei – und mit genĂŒgender KapazitĂ€t zur VerfĂŒgung stehen. Mit dem Ausbau des heutigen Energiesystems ist die ES2050 weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll umsetzbar [2]. Die zurzeit vorherrschenden elektrischen und fossilen EnergieflĂŒsse sind zentral organisiert und werden von wenigen Produktions- bzw. Verteilpunkten an die Verbraucher geliefert. Soll mehr erneuerbare Energie in das Energiesystem Schweiz integriert werden, sind dezentral organisierte Systeme effektiver bzw. notwendig (z. B. Integration von Photovoltaik). Diese Systeme können die eher kleinskaligen, erneuerbaren Energiequellen effizienter nutzen. Die maximale Verwertung solcher Energiequellen kann durch den Energy Hub-Ansatz erfolgen, der die Gewinnung, Umwandlung, Speicherung und Verteilung aller EnergieflĂŒsse ganzheitlich berĂŒcksichtigt [3]. Wie solche Energy Hubs funktionieren und wie diese konzipiert werden, wird nachfolgend aufgezeigt.

«ENERGY HUB»-KONZEPT

Ein Energy Hub ist ein Knotenpunkt in einem Multi-Energiesystem und reprĂ€sentiert eine Energiezentrale, das aus mehreren Energieumwandlungs-, Speicher- und Netzwerktechnologien besteht und mit teilweise lokaler Steuerung betrieben wird. Solche Energiesysteme können auf verschiedenen rĂ€umlichen Skalen existieren, auf der Ebene eines einzelnen GebĂ€udes oder eines Quartiers, bis hin zu einer grösseren geografischen Region. In Kombination mit Energiespeichern können Energy Hubs die Umwandlung zwischen verschiedenen EnergietrĂ€gern nutzen und folglich eine grosse FlexibilitĂ€t bereitstellen. Daher sind solche Energy Hubs besonders nĂŒtzlich, um die Integration von intermittierenden erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind sowie von niederwertiger Umweltenergie wie untiefe Geothermie und Umgebungsluft, aber auch von AbwĂ€rme aus Prozessen, zu ermöglichen. Das Energy Hub-Konzept dient als Grundlage fĂŒr die Entwicklung, Auslegung und Optimierung des Betriebs von Multi-Energiesystemen in verschiedenen Grössenordnungen, mit dem Ziel, die Gesamtkosten und CO2-Emissionen zu minimieren und neue, transdisziplinĂ€re GeschĂ€ftsmodelle zu gestalten. 

Mit Energy Hubs können technische Lösungen erarbeitet werden, welche die Netzkonvergenz Strom, WĂ€rme und Gas in den Mittelpunkt stellen. Dabei werden GeschĂ€ftsmodelle in den angehörigen Branchensektoren Bau, Energie und MobilitĂ€t in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise integriert. Der Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ergĂ€nzt das Energy Hub-Konzept und eröffnet mit dem Digital Hub (dhub) neue Möglichkeiten in der digitalen Welt. Ein Digital Hub bildet die Datenplattform fĂŒr das jeweilige Versorgungsgebiet, in welchem verschiedenste, ortsbezogene Dienstleistungen im Bereich GebĂ€udeunterhalt, Energie, MobilitĂ€t usw. angeboten werden. So kann der Digital Hub auch ein umfassendes Energiemanagement, wie z. B. Demand Side Management (DSM), ĂŒbernehmen, indem die gebĂ€udetechnischen Anlagen im Quartier digital integriert werden. Die Netzkonvergenz und Sektorenkopplung bilden dabei das Fundament, um Energy Hub-Konzepte zu entwickeln.
Ein solches Konzept wurde an der Empa in DĂŒbendorf realisiert: der Energy Hub-Demonstrator (ehub). Dieser erlaubt das Experimentieren mit EnergieflĂŒssen im Quartier und verbindet mit dem Digital Hub (dhub) den GebĂ€udebereich (NEST-Demonstrator) mit dem MobilitĂ€tsbereich (move-Demonstrator). Damit können neue Konzepte aus der Forschung und Entwicklung getestet, weiterentwickelt, industrialisiert und wissenschaftlich begleitet werden.

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HERAUSFORDERUNG

Eine wirksame Planung, Umsetzung und der Betrieb solcher Multi-Energiesysteme mĂŒssen zahlreiche KomplexitĂ€ten und Unsicherheiten berĂŒcksichtigen, einschliesslich der zeitweiligen VerfĂŒgbarkeit erneuerbarer Energiequellen, der Dynamik des Strommarktes, unterschiedliche Eigenschaften der EnergietrĂ€ger, der technischen BeschrĂ€nkungen bzw. Machbarkeit, oder der Unsicherheit bezĂŒglich Politik und Preisen. Fortschrittliche Berechnungsmethoden und -werkzeuge sind unausweichlich, um die komplexen Wechselwirkungen dieser verschiedenen Einflussfaktoren und Dynamiken einzubeziehen und fundierte Konzeptentscheide zu fĂ€llen.

«Energy Hubs» modellieren und optimieren

Energy Hubs vereinen oft mehrere Energieumwandlungs- und Speichertechnologien mit unterschiedlichen technischen und wirtschaftlichen Eigenschaften. Die optimale Zusammensetzung von Technologien und deren Betriebsregimen ist eine komplexe Aufgabe. Digitale Modelle von Energy Hubs erlauben diese KomplexitÀt zu erfassen und deren Wirkung zu simulieren bzw. optimale Lösungen zu finden.
Die heutigen Energy Hub-Modelle sind oft als Mixed-Integer-Linear-Programme (MILP) formuliert, die eine vorteilhafte Balance zwischen Lösungseffizienz und Genauigkeit bieten. Andere Optimierungsmethoden können zusÀtzlich implementiert werden, um die Robustheit der Resultate weiter zu steigern. Darunter fallen die Bi-Level-Programmierung, welche MILP und genetische Algorithmen verbindet und maschinelle Lernformulierungen sowie nicht lineare Formulierungen erlaubt [5, 6].
Typische Optimierungsziele von Energy Hub-Modellen ist die Minimierung von Lebenszykluskosten und CO2-Emissionen. Zu den Variablen gehören die Wahl, Kombination und Dimensionierung verschiedener Energieumwandlungstechnologien (z. B. WĂ€rmepumpen, WĂ€rme-Kraft-Kopplung, Photovoltaik), verschiedener Energiespeichertechnologien (z. B. ErdwĂ€rmesonden, Batterien, Gasspeicher) sowie die Betriebsstrategien. Damit sinnvolle Lösungen gefunden werden, sind technische und ökonomische EinschrĂ€nkungen in der Energy Hub-Modellierung vorzusehen. Dazu gehören: LastausgleichsbeschrĂ€nkungen, die sicherstellen, dass die Energieversorgung zu jedem Zeitpunkt den Energiebedarf decken kann; KapazitĂ€tsbeschrĂ€nkungen, die sicherstellen, dass Energieumwandlungs- und Speichertechnologien ihre möglichen KapazitĂ€ten im Betrieb nicht ĂŒberschreiten; SpeicherkontinuitĂ€tsbeschrĂ€nkungen, die sicherstellen, dass EnergievorrĂ€te und -flĂŒsse aus Speichern ĂŒber einen bestimmten Zeitraum ausgleichen; und Kohlenstoff- oder KostenbeschrĂ€nkungen, welche die zulĂ€ssigen Kohlenstoff-emissionen oder Gesamtkosten ĂŒber die betrachtete Zeitperiode begrenzen. Zahlreiche weitere EinschrĂ€nkungen können fallspezifisch ergĂ€nzt werden, um spezifische Fragestellungen und regionale Unterschiede in Betracht ziehen zu können [4].

«Energy Hub»-Entwicklung

Die jĂŒngste Forschung entwickelt weitere, umfassendere technische Modelle, mit denen neue Fragestellungen beantwortet werden können bzw. mittels Optimierung die wirkungsvollste Komposition aufzeigen. Die verschiedenen Modelle bilden einen Baukasten fĂŒr Energy Hubs. Die Modelle beschreiben die technischen, ökonomischen und ökologischen FĂ€higkeiten eines Elements. Dadurch kann nicht nur eine Multi-Kriterien-Optimierung stattfinden, auch kann mittels maschinellem Lernen der Planungsprozess fĂŒr Energieplaner noch besser unterstĂŒtzt werden. Lösungsvarianten können aufgrund verschiedener Randbedingungen und Unsicherheiten umfassender getestet und auf Versorgungssicherheit, PreisstabilitĂ€t, UmweltvertrĂ€glichkeit usw. bewertet werden. Die neusten Modelle ermöglichen z. B.:
– Optimierung der Wechselwirkungen zwischen lokalen Energiesystemen und nationalen/europĂ€ischen StrommĂ€rkten und -netzen [7]
– BerĂŒcksichtigung technologischer Lösungen wie fassadenintegrierte Photovoltaik und Niedertemperatur-WĂ€rmenetze [8]
– BerĂŒcksichtigung von Kompromissen zwischen quartier- und gebĂ€udeeigenen Lösungen [9]
– Optimierung von thermischen und elektrischen Netzen in Quartierlösungen

Weitere Fortschritte wurden bei der Modellierung des Energiebedarfs im Quartier- und Stadtbereich erzielt. Aufbauend auf den heute weit ausgereiften GebĂ€udesimulationsmethoden erlaubt die Entwicklung zur automatischen Parametrisierung von GebĂ€udeenergiemodellen eine breitere Anwendung. Der Energiebedarf fĂŒr grosse GebĂ€udebestĂ€nde kann mittels lokalen, regionalen oder nationalen GebĂ€udedatenbanken simuliert und folglich prĂ€ziser berechnet werden. Diese Methoden werden nicht nur als Grundlage fĂŒr die AbschĂ€tzung z. B. eines stĂ€dtischen Energiebedarfs mit hoher zeitlicher und rĂ€umlicher Auflösung getestet, sondern auch fĂŒr die AbschĂ€tzung der erwarteten Auswirkungen von Politik und Regulierung im Energie- und Baubereich.

FALLSTUDIE

Die an der Empa entwickelte Energy Hub-Simulations- und Optimierungsumgebung [10] ist ein Paket an Softwaretools zur Konzeptentwicklung von Energy Hubs fĂŒr Quartiere, Areale und Stadtteile (s. Box «Sympheny»). Unter BerĂŒcksichtigung bestimmter standortspezifischer Parameter und der Ziele der Projektplaner spezifiziert das Tool ein optimales Portfolio an Energieumwandlungs-, Speicher- und Netzwerktechnologien fĂŒr den Standort, einschliesslich ihrer jeweiligen Dimensionierung und rĂ€umlichen Lage. Dieses Tool wurde in verschiedenen Fallstudien wie Baden und Brig-Glis angewendet. Die aktuellste Fallstudie fĂŒr die Stadtgemeinde Brig-Glis wird nachfolgend vorgestellt.

Aufgabenstellung 

Im Jahr 2008 wurde der erste Masterplan «Energie» fĂŒr Brig-Glis erstellt. Diese Arbeit erfolgte im Rahmen der Auszeichnung «Alpenstadt des Jahres». Zehn Jahre danach hat die Stadtgemeinde Brig-Glis eine Aktualisierung ihres Masterplans «Energie» gewĂŒnscht. Der neue Masterplan soll einerseits die letzten zehn Jahre ĂŒberprĂŒfen und anderseits einen aktualisierten Ausblick fĂŒr 2035 und 2050 geben [11]. 

Die damals gesetzten Zielwerte fĂŒr Energieverbrauch und CO2-Ausstoss 2017 wurden unterschritten. Die Energieprogramme des Bundes (GebĂ€udeprogramm) und des Kantons (Förderung Heizungsersatz) sowie das Engagement der Stadtgemeinde (Realisierung von Anergienetzen und Photovoltaikanlagen) zeigten Wirkung.
Der Masterplan «Energie 2018» setzt neue, auf der ES2050 basierende Ziele fĂŒr die Stadtgemeinde Brig-Glis. Dabei wurden die zwei Szenarien «Referenz» (weiter wie bisher) und «Effizienz» (neue Energiepolitik) erarbeitet.

«Energy Hub»-Simulation und -Optimierung 

Als Grundlage fĂŒr die Berechnungen des heutigen Energiebedarfs dienten die georeferenzierten Daten (GIS), die Aufschluss ĂŒber die GebĂ€ude mit Baujahr, GebĂ€udeflĂ€che, Anzahl Stockwerke und EnergietrĂ€ger liefern. Die Hauptquelle fĂŒr diese Daten ist das GebĂ€ude- und Wohnungsregister (GWR) des Bundesamts fĂŒr Statistik. Die Daten wurden mit dem DEWK-NCSA-WĂ€rmekataster ergĂ€nzt, der z. B. zusĂ€tzliche Informationen vom Feuerungsregister beinhaltet. Daraus kann die EnergiebezugsflĂ€che, der Stromverbrauch und die benötigte Heiz- und KĂŒhlenergie berechnet werden.
Um die derzeitigen Energiequellen zu kennen, wurden Daten der Energieversorger und der gemeindenahen Betriebe wie Kehrichtverbrennungsanlage, Abwasserreinigungsanlage und Forstbetrieb ausgewertet. Zudem werden die zur VerfĂŒgung stehenden natĂŒrlichen Ressourcen wie Wind- und Wasserkraft, Sonne, UmgebungswĂ€rme sowie ErdwĂ€rme beziffert. Mit dieser Basis können die lokalen Energiepotenziale berechnet werden.
FĂŒr den neuen Masterplan wurden das Energy Hub-Modell erstellt, acht Optimierungen durchgefĂŒhrt und die Lösungen in einer Pareto-Front dargestellt.
Die Pareto-Fronten bestehen aus acht spezifischen Lösungen, die das Kosten-Optimum bis hin zum CO2-Optimum und den Lösungen dazwischen darstellen. Aufgrund des Ă€ndernden Energiebedarfs verschiebt sich die Pareto-Front nach rechts oben, d. h. die Lösungen mit gleicher CO2-Emission werden teurer, vor allem wegen des Bevölkerungswachstums und des zunehmenden KĂŒhlenergiebedarfs.
Werden die acht Lösungen nach deren verwendeten Technologien aufgeschlĂŒsselt, zeigt sich, dass die kostengĂŒnstigen Varianten auf traditionelle Techniken wie lokale Wasserkraft, WĂ€rmepumpe, KĂ€ltemaschinen und Holz-/Gasheizungen setzen (s. Abbildung mit Produktionstechnologien, Varianten 1-5). Der verbleibende, nicht durch lokale Technologien gedeckte Energiebedarf muss durch Importe gedeckt werden. Im Fall Brig-Glis ist dies vornehmlich ElektrizitĂ€t, die im nationalen bzw. europĂ€ischen Strommarkt beschafft werden muss. Der CO2-Ausstoss ist fĂŒr diese Varianten folglich eher hoch, und die CO2-Ziele fĂŒr das Jahr 2050 können nicht erreicht werden.
Die Varianten 6 bis 8 nutzen zusĂ€tzliche, heute noch teure Technologien wie Photovoltaik, Batterien und Power-to-Gas (PtG). Die Variante 7 kann die CO2-Ziele fĂŒr Brig-Glis am kostengĂŒnstigsten einhalten. Mit dieser Variante wird vorgeschlagen, untiefe Geothermie (GSHP) und Photovoltaik auszubauen, Holz-/Gasheizungen und lokale Wasserkraft auf dem heutigen Niveau zu halten und KĂ€ltebereitstellungen sowie PtG-Anwendungen aufzubauen. Beim Ausbau der untiefen Geothermie ist darauf zu achten, dass sowohl Grundwassernutzungen, ErdwĂ€rmesonden und Geothermie (< 1000 m) berĂŒcksichtigt werden. Der Aufbau der KĂ€ltebereitstellung soll in diesem Zusammenhang mit dem vermehrten Einsatz von (reversiblen) WĂ€rmepumpen und Geocooling (Grundwasser und ErdwĂ€rmesonden) erfolgen.

Energiestrategie Brig-Glis

FĂŒr die Stadtgemeinde Brig-Glis wurden die Energiestrategien fĂŒr die beiden Szenarien «Referenz» (weiter wie bisher) und «Effizienz» (neue Energiepolitik) ausgearbeitet. Dieser Artikel fokussiert auf die Energiestrategie des Szenarios «Effizienz». In diesem Szenario greifen die ehrgeizigen Ziele der zukĂŒnftigen, neuen Energiepolitik und mit der Umsetzung der Energy Hub-Variante 7 können die Ziele ES2050 erreicht werden. Der Endenergiebedarf sinkt in diesem Fall bis 2050 gegenĂŒber heute um einen Drittel. Vor allem der Ersatz der Ölheizungen durch WĂ€rmepumpen wird massgeblich zur CO2-Reduktion beitragen.
Die Analyse der CO2-Emissionen pro Person und Jahr zeigt, dass die Schadstoffe abnehmen. Beim Szenario «Referenz» werden die Emissionen bis 2050 um rund einen Drittel gesenkt. Beim Szenario «Effizienz» erreicht die CO2-Reduktion einen Faktor 3 bis 2050 und die Ziele des internationalen Klimaabkommens werden eingehalten.
Basierend auf der Energy Hub-Variante 7 wird massiv mehr erneuerbare Energie lokal genutzt. Auf dem Gemeindegebiet Brig-Glis ist der Ausbau von Wind-, Wasser- und Holzenergie grösstenteils ausgeschöpft. Hingegen liegt ein grosses Potenzial bei der Solarenergienutzung brach. Ein intensiver Zubau von Photovoltaikanlagen von heute 3 auf 25 GWh bis 2050 ist anzustreben.
Ein weiteres, grosses Potenzial fĂŒr die erneuerbare WĂ€rmebereitstellung liegt in der Nutzung von ErdwĂ€rme (Grundwasserbrunnen, ErdwĂ€rmesonden sowie mitteltiefe Geothermiebohrung) und der UmgebungswĂ€rme. Diese Heizenergie kann in dicht besiedelten Gebieten mittels Niedertemperaturnetzen (Anergienetzen) effizient verteilt und mit WĂ€rmepumpen aufbereitet werden. In weniger dicht besiedelten Gebieten sind solitĂ€re WĂ€rmepumpen- und Holzheizungen sinnvoll. Die Nutzung der industriellen AbwĂ€rme und die AbwĂ€rme aus der Kehrichtverwertungsanlage kann die CO2-freie WĂ€rmeversorgung in Brig-Glis komplementieren.
Der zukĂŒnftige Strombedarf im Sommer kann mit Wasserkraft- und Photovoltaikanlagen in Kombination mit Batteriespeichern gedeckt werden. Die Stromnachfrage im Winter hingegen ĂŒbersteigt die Produktion der lokalen Wasserkraftanlagen um ein Vielfaches. Diese «WinterstromlĂŒcke» kann mit drei Massnahmen geschlossen werden:
I Ausbau der Winterstromproduktion, indem mit Kraft-WĂ€rme-Kopplung (KWK) Strom und WĂ€rme bereitgestellt wird.
II Saisonale Speicherung, indem im Sommer ĂŒberschĂŒssiger Strom gespeichert (PtG) und im Winter genutzt wird (KWK).
III Steigerung der Stromeffizienz, indem der Strombedarf, vor allem im Winter, reduziert wird.

Damit die WinterstromlĂŒcke ohne CO2-Ausstoss reduziert wird, kann die Gasinfrastruktur einen wichtigen Beitrag leisten. KWK-Anlagen wirken sowohl auf der Produktionsseite, indem Winterstrom bereitgestellt wird, als auch auf der Verbrauchsseite, indem der Heizenergiebedarf durch die AbwĂ€rmenutzung ohne Stromzufuhr gedeckt wird. Mit FernwĂ€rmenetzen wird die AbwĂ€rme aus der KWK effizient verteilt und der Ausbau der WĂ€rmepumpen, d. h. Winterstrombedarf, wird reduziert. Wird die Gasinfrastruktur zukĂŒnftig mit synthetischem und biogenem Gas gespeist, ist ein weiterer Teil der Energieversorgung CO2-frei.

FAZIT FALLSTUDIE

Am Beispiel des Masterplans wurde der Planungsprozess mit unterstĂŒtzenden, digitalen Planungsinstrumenten vorgestellt. In der Lösungsfindung konnten komplexe ZusammenhĂ€nge berĂŒcksichtigt und optimale techno-ökonomische Lösungen gefunden werden, die mit traditionellen Methoden wie einzelnen Variantenvergleichen nicht möglich wĂ€ren. Die Entwicklung von Multi-Energiesystemen mit dem Energy Hub-Ansatz erhöhte die Planungssicherheit.
Die Analyse der Pareto-Front mit den acht dargestellten Varianten zeigt eindrĂŒcklich die Herausforderung der zukĂŒnftigen Energieversorgung fĂŒr Brig-Glis. FĂŒr die Bereitstellung der ElektrizitĂ€t in den Wintermonaten mĂŒssen neue Lösungen zur Anwendung kommen. Entweder kann Brig-Glis ihre Winterstromproduktion ausbauen oder den notwendigen Strom ausserhalb beschaffen und liefern lassen. Es ist jedoch eine energiepolitische Frage, wie viel Strom Brig-Glis sinnvollerweise importiert:
– Welcher Selbstversorgungsgrad wird in der Gemeinde Brig-Glis angestrebt?
– Wie viel Strom soll oder kann die Gemeinde Brig-Glis zu welchem Zeitpunkt CO2-frei national bzw. europĂ€isch beschaffen?

Energy Hub-Simulationen und -Optimierungen erlauben es, solche energiepolitischen Fragen fĂŒr Quartiere, Gemeinden oder Regionen fundiert zu beantworten. Mittels der Preisgestaltung fĂŒr die lokale und nationale Stromlieferung kann auf die Antworten der oben gestellten Fragen Einfluss genommen werden. AbhĂ€ngig von der gewĂ€hlten Preisgestaltung werden neue Technologien wie z. B. PtG-Anlagen wirtschaftlich attraktiver, und grössere Anlagen werden in den optimierten Lösungen vorgeschlagen.

AUSBLICK

Die neuen Instrumente fĂŒr die Entwicklung von MasterplĂ€nen, Energiekonzepten und Quartierlösungen können die Energieingenieure wirkungsvoll und effizient unterstĂŒtzen. Die grundlegenden Konzepte mĂŒssen weiterhin durch Fachleute mit ihrer Expertise und KreativitĂ€t entwickelt werden. Mit den daraus erstellten Energy Hub-Modellen können aber robustere und wirtschaftlichere Lösungen berechnet bzw. gefunden werden.
Um diesen Planungsprozess noch effizienter zu gestalten, sind vor allem umfassende und lückenlose Datengrundlagen fĂŒr den GebĂ€udepark und fĂŒr die Infrastrukturen zu schaffen. Deren Zugang muss sicher und unter BerĂŒcksichtigung des Persönlichkeitsschutzes einfach möglich sein. Es wird empfohlen, dass die Daten über GebĂ€ude, Infrastruktur, MobilitĂ€t und Energiepotenziale vom Bund einheitlich erhoben, gepflegt und bereitgestellt werden. Dies wäre entgegen dem Trend, dass diese Daten kantonal bewirtschaftet werden.
Mit der voranschreitenden Digitalisierung der GebĂ€ude (Building Information Model, BIM, und Building Operation Model, BOM) und zukĂŒnftig der urbanen Gebiete (Urban Information Model, UIM, und Urban Operation Model, UOM) werden die Energy Hub-Algorithmen zunehmend in kĂŒnstlicher Intelligenz (KI) Platz finden. Die heute eher statische Planung und Umsetzung von Infrastrukturen wird zukĂŒnftig eine hohe Dynamik erhalten. Die laufende Anpassung des Betriebes, des Ausbaus und der Weiterentwicklung der Infrastrukturen wird mit dem KI-Ansatz ermöglicht.
Viele kleine, rollende Energieversorgungsprojekte werden Projekte mit langen Investitionszyklen ablösen. Eine inkrementelle, aber hoch adaptive, Infrastrukturentwicklung entsteht. Die dazugehörigen GeschĂ€ftsmodelle werden gleichzeitig, parallel, weiterentwickelt. Der technologische Fortschritt kann somit besser in den Infrastrukturen genutzt werden. FĂŒr die Energieversorgungsinfrastruktur in Smart City-Konzepte wird eine vielversprechende Basis geschaffen.

Bibliographie

[1] Bundesamt fĂŒr Energie (BFE): «Energiestrategie 2050», unter: http://www.bfe.admin.ch/energiestrategie2050/index.html?lang=de (27.12.2018)
[2] Prognos AG (2012): «Die Energieperspektiven der Schweiz bis 2050», Bundesamt fĂŒr Energie, Basel
[3] Geidl, M. et al. (2007): Energy hubs for the future. IEEE Power and Energy Magazine 24–30
[4] Evins, R. et al. (2014): New formulations of the «energy hub» model to address operational constraints. Energy, 73, pp. 387–398
[5] Evins, R. (2015): Multi-level optimization of building design, energy system sizing and operation. Energy, 90, pp. 1775–1789
[6] Bollinger, L.; Evins, R. (2016): Multi-agent reinforcement learning for optimizing technology deployment in distributed multi-energy systems. In: 23rd International Workshop of the European Group for Intelligent Computing in Engineering. Krakow, Poland
[7] Facchinetti, E. et al. (2018): Monetary value of a district’s flexibility on the spot- and reserve electricity markets. Buildings 8(12), 181, doi:10.3390/buildings8120181
[8] Murray, P. et al. (2018): A comparison of storage systems in neighbourhood decentralized energy system applications from 2015 to 2050. Applied Energy, 231,1285–1306
[9] Marquant, J. F. et al. (2018): A new combined clustering method to analyse the potential of district heating networks at large-scale. Energy, 156, 73–83. https://doi.org/10.1016/j.energy.2018.05.027
[10] Bollinger, L. A.; Dorer, V. (2017): The Ehub modeling tool: a flexible software package for district energy system optimization. In J. L. Scartezzini (Ed.), Energy procedia: Vol. 122. CISBAT 2017 international conference. Future buildings & districts – energy efficiency from nano to urban scale, pp. 541–546
[11] Schluck, T.; Sulzer, M. (2017): «Towards a Holistic Methodology: A Practical Approach to Local Energy», Planning World Sustainable Built Environment Conferenc, Hong Kong

Sympheny

 

Die Software von Sympheny ermöglicht die Identifizierung optimaler Energieversorgungslösungen fĂŒr Stadtteile, Bezirke und Gemeinden.

Sympheny ist ein Start-up, das sich auf Software zur UnterstĂŒtzung der Planung nachhaltiger Multi-Energiesysteme fĂŒr Stadtteile, Bezirke und Gemeinden konzentriert. Die Mission ist es, intelligente Analysen und vorhandene Daten zu nutzen, um die Entwicklung nachhaltiger Energielösungen auf lokaler Ebene zu unterstĂŒtzen. Mit modernsten Berechnungstechniken (basierend auf dem Energy Hub-Konzept) und der Nutzung verschiedener Datenströme unterstĂŒtzt Sympheny Energieplaner dabei, schnell, umfassend und effektiv durch das Spektrum der verfĂŒgbaren technologischen Optionen zu navigieren und eine Reihe optimaler Lösungen zu finden, die auf die spezifischen Gegebenheiten und Ziele eines bestimmten Standorts und Kunden zugeschnitten sind.

http://sympheny.ch/

Das Forschungsprojekt ist Teil des Schweizerischen Kompetenzzentrums fĂŒr Energieforschung SCCER FEEB&D der Innosuisse – Schweizer Agentur fĂŒr Innovationsförderung.

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