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29. Januar 2018

Wärmeversorgung

Wärmenetze im Wandel

Erst Stadtgas, dann Erdgas, heute Biogas und andere erneuerbare Energien: Die Wärmeversorgung in den Schweizer Städten ist vom Wandel geprägt. Künftig sind in den verschiedenen Gebieten einer Stadt spezifische Wärmelösungen gefragt. Welche Chancen das für innovative Energieversorgungsunternehmen bedeutet, zeigt das Beispiel der SWL Energie AG. Sie nimmt die Zukunft der Wärmeversorgung in der Region Lenzburg selbst in die Hand.
Gian Gian von Planta 

Steinkohlengas als Wärmequelle werde noch für Jahrzehnte wichtig bleiben. Zu diesem Schluss kam 1912 eine von der Stadt Lenzburg beauftragte Spezialkommission. Sie prüfte, ob die Einführung einer Gasversorgung die Chancen der damals noch jungen Elektrizität schmälern würde. Aufgrund der Erkenntnisse der Kommission baute die Stadt Lenzburg ein Steinkohlen-Gaswerk, das 1914 seinen Betrieb aufnahm. 

Mit der Produktion von Stadtgas stand Lenzburg nicht alleine da. Rund 100 weitere Schweizer Städte stellten ihr Gas ebenfalls selbst her. Wie andernorts auch erwies sich die Eigenproduktion des Lenzburger Stadtgases mit den Jahren allerdings als unwirtschaftlich. 1965 beschloss die Einwohnergemeindeversammlung, sie einzustellen. Stattdessen bezog die Stadt Ferngas, wiederum Steinkohlengas, das aus einer zentralen Produktionsstätte über Rohrleitungen nach Lenzburg gebracht wurde.

Von Steinkohlengas zu Erdgas

Zu dieser Zeit machte sich in der Gasbranche Optimismus breit, weil bereits eine deutlich günstigere und sauberere Alternative zum Stadtgas in den Startlöchern stand: Erdgas. Die damaligen Städtischen Werke Lenzburg stellten die Gasversorgung im Herbst 1972 von Ferngas auf Erdgas um – bei rund 2300 ans Gasnetz angeschlossenen Gasgeräten ein Grossprojekt.
Ab 1973 funktionierte auch die Fernwärmeversorgung in der Altstadt von Lenzburg mit Erdgas statt wie bisher mit Heizöl. Das damals noch «Komfortwärme» genannte Angebot war 1971 mit dem Ziel geschaffen worden, eine Alternative zu den «umweltbelastenden Öl-Einzelheizungen» zu ermöglichen.

Siegeszug der saubereren Alternative

1986 entwickelte die Stadt Lenzburg ein Wärmeversorgungskonzept, das drei Stossrichtungen vorsah: den Ausbau der Erdgasversorgung, das Verdichten des Fernwärmenetzes in der Altstadt und den Bau von «Sammelheizungen» bei neuen Überbauungen. In den folgenden Jahren nahm die Anzahl Erdgas- und Fernwärmekunden stark zu. Die Erdgasversorgung dehnte sich schrittweise auf 13 Gemeinden aus. Wer eine neue Heizung brauchte, entschied sich ganz selbstverständlich für Erdgas.
In der Stadt Lenzburg gelang es in kurzer Zeit, mehr als die Hälfte aller Liegenschaften ans Gasnetz anzuschliessen und Heizöl punkto Marktanteil deutlich zu überflügeln. In einer Broschüre zu ihrem 75. Jubiläum schrieben die Städtischen Werke Lenzburg 1997: «In diesem durch scharfe Konkurrenz und stagnierenden Absatz gekennzeichneten Spannungsfeld hat sich das umweltfreundliche Erdgas hervorragend bewährt.»

Verändertes Umfeld

20 Jahre später stimmt obige Aussage nur noch teilweise. Das Umfeld im Wärmemarkt hat sich stark verändert – durch den technischen Fortschritt einerseits und die politischen Rahmenbedingungen andererseits. 

Die technische Entwicklung macht sich bei der Gebäudehülle neuer und sanierter Liegenschaften deutlich bemerkbar: Der viel höhere Baustandard und die verbesserte Energieeffizienz senken den Wärmebedarf generell. Zudem sind in den letzten Jahren verschiedene neue Heiztechnologien marktreif geworden und haben sich als starke Konkurrenz zu Öl- und Gasheizung etabliert – allen voran die elektrische Wärmepumpe, aber auch Holzheizungen und solarthermische Unterstützung.
Ebenfalls einen grossen Einfluss auf den Wandel der Wärmenetze hat die veränderte Energiepolitik auf allen staatlichen Ebenen: Bund, Kantone und Gemeinden. Auf Bundesebene führt insbesondere die im Rahmen der Energiestrategie 2050 vorgesehene Erhöhung der CO2-Abgabe von maximal 120 Franken pro Tonne auf 240 Franken zu einer zunehmenden und deutlichen Bevorteilung erneuerbarer Energieträger.
Mehr noch als die Energiestrategie 2050 prägen die kantonalen Energiegesetze die Wärmeversorgung der Zukunft. In vielen Kantonen beraten die Parlamente derzeit darüber, wie die neusten Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2014) in ihr Energiegesetz einfliessen sollen. Auf Gemeindeebene schliesslich beschleunigen Energierichtpläne und Energiestadt-Ziele den Wandel im Wärmebereich.

Den Wandel mitgestalten

Angesichts dieser Veränderungen ist ein Weiter-wie-bisher für Energieversorger keine vernünftige Option. Denn die Geschäftsmodelle von gestern und heute werden morgen voraussichtlich kleinere Erträge generieren. Statt des reinen Energieverkaufs sind integrale Dienstleistungen mit Fokus auf ökologisch und ökonomisch nachhaltige Wärmelösungen gefragt. Das Lenzburger Energieversorgungsunternehmen SWL Energie AG hat sich deshalb für eine Vorwärtsstrategie entschieden und will seine Vorteile als Querverbundunternehmen nutzen (Fig. 1). Es ist überzeugt, dass im Wärmemarkt künftig verschiedene Heiztechnologien, Energieträger und Netze nebeneinander bestehen. Ob Gasnetz, Fernwärmenetz, Nahwärmeverbund oder Einzelheizung mit Wärmepumpe: Jede dieser Varianten hat ihre Berechtigung, weil je nach Gebiet und Liegenschaft eine andere davon am meisten Sinn ergibt. Als Energieversorger punktet, wer alle Lösungen anbietet und dabei die erneuerbaren Energien integriert.

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Das Erdgasnetz ökologischer nutzen

Die SWL Energie AG hat in den letzten Jahren viel in diese Richtung investiert. Für die Gasversorgung lautet ihr Ziel, den Biogasanteil weiter zu steigern. Bis 2030 soll der Anteil an Biogas für die Wärmeversorgung 30 Prozent betragen. Schon heute beträgt der minimale Anteil von Biogas 10 Prozent, wobei die Kunden diesen nach Wahl auch auf 50 oder 100 Prozent erhöhen können. Bisher deckte das Unternehmen die Nachfrage mit Biogaszertifikaten. Neu produziert es rund die Hälfte des Biogases in einer eigenen Aufbereitungsanlage, die das Klärgas der regionalen Abwassereinigungsanlage (ARA) nutzt. Mit weiteren Biogasaufbereitungsanlagen soll der regionale Anteil des Biogases zusätzlich erhöht werden.

Eine weitere Möglichkeit, den erneuerbaren Gasanteil zu steigern, bietet die Power-to-Gas-Technologie. Zusammen mit der Limeco und weiteren Stadtwerken baut die SWL Energie AG eine auf biologischer Methanisierung basierende Power-to-Gas-Anlage in Dietikon. Darin wird der Strom aus der Kehrichtverwertungsanlage genutzt, um das Klärgas der ARA vollständig in Methangas umzuwandeln. Pro Jahr soll das Hybridkraftwerk bis zu 18 000 MWh erneuerbares Gas produzieren. Werden die in das Projekt gesetzten Erwartungen erfüllt, wird die SWL Energie AG ihre eigenen Biogasaufbereitungsanlagen mit dieser Technologie erweitern.
Nebst der Ökologisierung des Energieträgers setzt die SWL Energie AG auch auf die effizientere Nutzung des Gases. 2015 wurde deshalb für den Ersatz des Wärmeerzeugers des lokalen Fernwärmenetzes «Alterszentrum Obere Mühle» ein Blockheizkraftwerk gewählt (Fig. 2). Die wärmegeführte Anlage mit einer Feuerungswärmeleistung von 184 kW lässt sich mit Erdgas besonders flexibel betreiben und erreicht einen Gesamtwirkungsgrad von über 90 Prozent. Zudem unterstützt die SWL energieeffiziente Wärmeerzeuger wie Gaswärmepumpen, stromerzeugende Heizungen und Brennstoffzellen aktiv.

Wärme- und Kaltnetze

Holzenergie für die Fernwärme

Bei den Heizzentralen setzt die SWL Energie AG immer stärker auf Holzschnitzel aus den umliegenden Wäldern als Energieträger. Ihr Flaggschiff ist die Heizzentrale der neuen Lenzburger Überbauung «Widmi». 2012 nahm sie einen ersten Holzschnitzelkessel mit 350 kW Leistung in Betrieb (Fig. 3). Weil die Überbauung weiter wuchs, wurde die Anlage auf die Heizsaison 2016/17 hin um einen zweiten Kessel mit 700 kW Leistung ergänzt. Seither ist deutlich weniger Erdgas zur Spitzenlastdeckung erforderlich. Im Sommer genügt der kleinere Holzkessel, um den Wärmebedarf zu decken.

Die Heizzentrale «Widmi» ist mit modernen Elektrofiltern ausgestattet, welche die Rauchgase reinigen. Mit dem Bau des zweiten Holzkessels hat die SWL Energie AG zusätzlich einen Economizer eingebaut, der die Energiegewinnung optimiert und das Rauchgas entschwadet. Als Brennstofflager fürs Holz dient ein Schnitzelsilo, das unterirdisch direkt neben der Heizanlage erstellt wurde (Fig. 4). Sogar bei sehr tiefen Temperaturen reicht der Vorrat für mehrere Tage. Aufgrund der sehr positiven Erfahrungen mit der Heizzentrale «Widmi» plant die SWL Energie AG, mittelfristig auch die Heizzentrale in der Lenzburger Altstadt von Erdgas auf Holzschnitzel umzustellen. Hier eignet sich Holz als Energieträger besonders gut, weil die Fernwärme aufgrund der vielen Altbauten auf einem hohen Temperaturniveau betrieben werden muss.

Gas- und Wärmenetze ergänzen sich

Auch wenn Erdgas heute eine tragende Rolle spielt, wird es als fossile Energie mittelfristig an Bedeutung verlieren. Da stellt sich als Netzbetreiber die unternehmerische Frage «Wie weiter mit dem Gasnetz?». Die SWL Energie AG hat darauf eine klare Antwort: Wo es technisch möglich und wirtschaftlich ist, realisiert sie künftig Wärmeverbünde – primär natürlich auf Basis erneuerbarer Energien. In den übrigen Gebieten spielt wie bisher das Gasnetz die Hauptrolle, wobei der Anteil an erneuerbarem Gas laufend steigen wird.
Diese Strategie ist mehr als eine Absichtserklärung. Mit konkreten Projekten will das Unternehmen sie rasch voranbringen. Ein besonders wichtiges Projekt: Erstmals plant die SWL Energie AG ein Anergienetz, das in einem Lenzburger Industriequartier voraussichtlich ab 2021 Grundwasser als Energieträger nutzt.

Günstiges Kaltnetz

Im Vergleich mit der Fernwärmeversorgung in der Lenzburger Altstadt genügt eine deutlich geringere Vorlauftemperatur, da die Gebäude im Industriequartier meist einen höheren energetischen Standard aufweisen. Zudem benötigen die meisten potenziellen Kunden nebst Wärme auch Kälte. Folglich realisiert die SWL Energie AG das Anergienetz als Kaltnetz mit einer Temperatur von lediglich 11 °C. Der Leitungsbau lässt sich deshalb deutlich günstiger realisieren als bei einem konventionellen Wärmenetz. Die Energie für das Anergienetz wird direkt dem Trinkwasser der in der Nähe vorbeiführenden Wassertransportleitung entnommen. Somit entfällt sowohl der Bau eines Entnahme- als auch der Bau eines Versickerungsbrunnens und senkt damit die Kosten zusätzlich.
Das geplante Anergienetz der SWL Energie AG entspricht ganz dem städtischen Energierichtplan. Dieser definiert das Industriegebiet als Zone, die Grundwasser als Energieträger nutzt. Da ein Anschluss ans Anergienetz ökologisch und wirtschaftlich attraktiv ist, rechnet die SWL Energie AG mit einem grossen Interesse der Unternehmen im Quartier.

Dezentrale Wärmepumpen

In jedem angeschlossenen Gebäude wird eine Wärmepumpe, die über einen Wärmetauscher gewonnene Energie auf das individuell benötigte Temperaturniveau bringen. Neben Planung, Realisierung und Betrieb des Anergienetzes übernimmt die SWL Energie AG auch dessen Finanzierung und den Betrieb der Wärmepumpen. Gerade für Unternehmen ist es interessant, keine eigenen Investitionen tätigen zu müssen. Sie erhalten Wärme und Kälte als Contracting-Lösung zu genau planbaren Kosten. Der SWL Energie AG ermöglicht der Betrieb der Wärmepumpen einerseits, das Gesamtsystem laufend zu optimieren. Andererseits ist sie daran interessiert, möglichst viele Stufen entlang der Wertschöpfungskette abzudecken.

Fazit

Der Blick zurück zeigt, wie stark sich die Wärmeversorgung in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Jener nach vorn verrät, dass die anstehenden Veränderungen noch grösser ausfallen. Statt mit dem Wandel zu hadern, tun Energieversorger gut daran, sich darauf einzulassen und die Zukunft der Wärmeversorgung mitzugestalten. Besonders Querverbundunternehmen wie die SWL Energie AG haben alle Trümpfe in der Hand. Sie können nicht nur das Gasnetz und die Wärmenetze optimal kombinieren. Ihnen stehen auch alle Chancen der Sektorkopplung offen – des intelligenten Zusammenspiels von Strom, Wärme und Mobilität. Eine allgemeingültige Lösung, die sich in jeder Stadt grossflächig umsetzen lässt, gibt es dabei nicht. Besonders bei den Gas- und Wärmenetzen heisst das Erfolgsrezept: Für jedes Gebiet die Rahmenbedingungen analysieren und eine massgeschneiderte Lösung entwickeln.

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