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Fachartikel
05. Oktober 2020

Fernwärme

Rücklaufanschlüsse in Fernwärmenetzen

Die Versorgung von Gebäuden oder ganzen Quartieren über den Rücklauf verspricht einen optimierten Betrieb von Fernwärmenetzen. Im Forschungsvorhaben «Fernwärmemodellstadt Ulm» wurden vor rund 10 Jahren verschiedene Ausführungen von Rücklaufanschlüssen in der süddeutschen Stadt umgesetzt und mit Messtechnik begleitet. Beim Treffen der Technischen Fachgruppe Fernwärme des SVGW im Mai 2020 wurden die Erfahrungen dazu mit den Ulmer Kollegen eingehend diskutiert.
Andreas Peter, Stefan Güpfert, 

Der SVGW ist im Zusammenhang mit dem Bericht über eine Studie des Titels «Forschungsvorhaben Fernwärmemodellstadt Ulm – Exergetische Optimierung der Fernwärmeversorgung Ulm» [1] auf das Fernwärmenetz der Fernwärme Ulm GmbH (FUG) aufmerksam geworden. Die FUG hatte die Studie 2008 in Auftrag gegeben und 2012 abgeschlossen. In der Zwischenzeit wurden verschiedene der darin vorgeschlagenen Massnahmen als Projekte umgesetzt und ausgewertet.
Für die Sitzung der Technischen Fachgruppe am 14. Mai, die wegen der Corona-Pandemie als Webmeeting stattfand, konnte als Referent Karl Zepf, Leiter Vertrieb und Service bei FUG, gewonnen werden. Die knapp 50 Teilnehmer von Versorgungsunternehmen, Ingenieurbüros und Lieferanten lernten in drei Vortragsblöcken von den Erkenntnissen aus Ulm, und ihre Fragen wurden in den jeweils anschliessenden Diskussionsrunden beantwortet.

Fernwärme in Ulm

Die Universitätsstadt Ulm liegt im Osten des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg an der Donau, die auch die Landesgrenze zu Bayern bildet. Mit rund 126 000 Einwohnern ist sie ein Forschungs- und Industriezentrum zwischen den Grossstädten Stuttgart und München. Fernwärme hat in Ulm eine über 100-jährige Tradition – knapp 50 Prozent des gesamten Wärmebedarfs im Stadtgebiet werden durch die FUG abgedeckt, die je zur Hälfte den Stadtwerken Ulm und dem Energiekonzern EnBW gehört. Mit 190 Mitarbeitern werden das 170 Kilometer umfassende Fernwärmenetz sowie vier Produktionsstandorte bewirtschaftet. Die Produktion besteht aus einer Kehrichtverbrennungsanlage, Biomasse-Heizkraftwerken (Altholz), Biogasanlagen sowie für die Spitzenlast Gasheizwerken und einem Kohleheizwerk (im Rückbau). Verteilt wird die Wärme über Dampfnetze, Hochtemperaturnetze und Niedertemperaturnetze

Dreileiteranschlüsse 

Der Schwerpunkt des Webmeetings der Technischen Fachgruppe lag auf den sogenannten Dreileiteranschlüssen, mit denen die Wärmeversorgung von Gebäuden oder ganzen Quartieren aus den Rücklaufleitungen des Fernwärmenetzes ermöglicht wird. Im Gegensatz zu einem reinen Rücklaufanschluss (Zweileiter) dient bei Dreileiteranschlüssen der Vorlauf des Netzes zusätzlich dazu, jederzeit das erforderliche Temperaturniveau sicherzustellen. Somit muss am Anschlusspunkt nicht ganzjährig die vollständige Versorgung über den Rücklauf gewährleistet sein.
In beiden Varianten ermöglicht eine Primärkreispumpe die Wasserentnahme aus dem parallel angeschlossenen Rücklaufstrang des Versorgungsnetzes. Die Stromkosten dieser Pumpe müssen bei der Gesamtbetrachtung eines Rücklaufanschlusses immer mit einbezogen werden – werden sie ja in der Regel durch den Wärmekunden getragen.
Beim reinen Rücklaufanschluss muss das Temperaturniveau des Rücklaufstranges ganzjährig über dem Temperaturbedarf des angeschlossenen Gebäudes oder Quartiers liegen: also bei rund 70 °C oder mehr, weil in der Regel auch die Trinkwarmwassererwärmung darüber stattfindet. Ausserdem muss der Volumenstrom im Versorgungsnetz immer gross genug sein. Deswegen können solche Rücklaufanschlüsse nicht an Netzenden betrieben werden, sondern sollten nahe bei der Heizzentrale lokalisiert sein.
Beim Dreileiteranschluss hingegen wird die Wärmeversorgung über eine Beimischschaltung realisiert, wobei über einen 3-Wege-Mischer dem entnommenen Rücklauf zusätzlich Vorlaufwasser zum Erreichen der geforderten Wärmetauscher-Eintrittstemperatur zugemischt werden kann. Der Mehraufwand dieser Anschlussvariante gegenüber einem normalen Hausanschluss besteht in einer dritten Hausanschlussleitung, Mischer, Pumpe, Regelungstechnik sowie häufig in einem grösser dimensionierten Wärmetauscher. Ausserdem werden meist zwei Wärmezähler installiert, damit die Anteile der Rücklauf- und Vorlaufversorgung separat ausgewertet werden können. Wie bereits erwähnt, muss beim Dreileiteranschluss das Temperaturniveau im Rücklauf nicht ganzjährig gewährleistet sein – auch der Volumenstrom im Rücklauf des Versorgungsnetzes muss nicht zwingend den vollen Wärmebedarf decken können. Da jedoch ein Dreileiteranschluss einen finanziellen Mehraufwand bedeutet, sollten auch diese Anschlüsse mit Sorgfalt geplant und nur an gut geeigneten Standorten gebaut werden. Ansonsten ist die Wirtschaftlichkeit bei entsprechend wenig Rücklaufnutzung nicht gegeben.

Mehrfamilienhaus Sedanstrasse

Die FUG hat zwei verschiedene Konzepte der Rücklaufnutzung umgesetzt und mit Messtechnik begleitet. In einem Projekt wurde das Mehrfamilienhaus Sedanstrasse mit 64 Wohneinheiten mit einer relativ aufwendigen hydraulischen Schaltung eingebunden. Dabei werden die Gebäudeheizung und die Warmwasseraufbereitung über zwei separate Wärmetauscher versorgt, die beide als Dreileiteranschluss ausgeführt wurden. Wenn die Rücklauftemperatur aus dem Netz nicht die an den Wärmetauschern erforderliche Temperatur erreicht, wird Wasser aus dem Vorlauf beigemischt. So wird erreicht, dass ein erheblicher Teil der Wärmeversorgung dieser Hausübergabestation über den Rücklauf gespeist wird. Dem Vorlauf wird weniger Wärme entnommen, wodurch diese für weitere Wärmekunden zur Verfügung steht –auch für zusätzliche Anschlüsse. Ebenso wird dadurch eine tiefere Rücklauftemperatur im Netz erzielt, was zu einer besseren Effizienz führt.
Im Projekt «Sedanstrasse» untersuchte FUG, welcher Anteil an Wärme aus dem Rücklauf des Netzes an das Gebäude abgegeben wurde. Obwohl laut FUG die Position des Anschlusses innerhalb des Fernwärmenetzes nicht optimal ist, wird trotzdem ein Rücklaufanteil zwischen 35 und 50 Prozent erreicht.

Biberacher Strasse – Einbindung einer Biogasanlage im Rücklauf

Beim Projekt «Biberacher Strasse» wurde die Einbindung am Hausanschluss ähnlich dem Projekt «Sedanstrasse» realisiert, allerdings hier nur für die Raumheizung. Die eigentliche Innovation liegt bei der Einbindung der Wärmeerzeugung. Aufgabenstellung war, WKK-Anlagen in einer weit vom Heizkraftwerk entfernten Biogasanlage in das Netz zu integrieren. Da die WKK-Anlagen nicht das maximale Vorlaufniveau von 110 °C erreichen können, wurde die Einbindung der Geräte im Rücklauf realisiert. Die WKK-Anlagen arbeiten hier also als Rücklaufanhebung um bis zu 35 Kelvin. Zwei Kilometer entfernt in Richtung Heizkraftwerk wird dann in der Überbauung Biberacher Strasse über den Rücklaufanschluss das Temperaturniveau im Rücklauf wieder abgesenkt, damit im Heizkraftwerk ein effizienter Betrieb möglich ist.
Diese Art der Ein- und Auskopplung von Wärme könnte so auch für Wärmepumpen realisiert werden. Dabei könnte die Wärmepumpe an einem günstig gelegenen Ort eine Wärmequelle erschliessen und an einem anderen Ort im Netz ein neues Quartier erschlossen werden – dies aber ohne aufwendigen Netzbau.

Wirtschaftliche Kriterien und Tarifmodell 

Der Nutzen von Rücklaufanschlüssen liegt vollumfänglich beim Netzbetreiber. Er kann profitieren von:

– niedrigeren Rücklauftemperaturen im Netz,
– ggf. besserer Effizienz in der Wärmeerzeugung,
– Kapazitätserweiterung durch grössere Spreizung im Netz.

Da der Wärmekunde von der Rücklaufversorgung keinen direkten Vorteil hat, jedoch eine deutlich teurere und komplexere Hausübergabestation, ist es wichtig, die Vorteile finanziell zu bewerten und den Wärmekunden daran zu beteiligen. Ansonsten werden Rücklaufanschlüsse bei den Kunden keine Akzeptanz finden.
Die FUG beteiligt sich an den zusätzlichen Investitionen, indem sie Wärmekunden mit Dreileiteranschlüssen einen vergünstigten Grund- und Arbeitspreis anbietet. Dafür wird der monetäre Gegenwert des Dreileiteranschlusses im Betrieb berechnet. Dieser ist umso grösser, je tiefer die Rücklauftemperatur ist, die dank des Dreileiteranschlusses erzielt wird. Die im Betrieb eines Dreileiteranschlusses anfallenden Kosten für den Pumpenstrom reduzieren den Gegenwert des Dreileiteranschlusses.
Im von Karl Zepf aufgezeigten Beispiel des Dreileiteranschlusses an der Biberacher Strasse konnte die Spreizung um 13 Kelvin erhöht werden. Dies bewirkt eine Erhöhung der Netzkapazität und der Effizienz in der Wärmeerzeugung. Der Wärmekunde partizipiert anhand eines eigens erstellten Verrechnungsschlüssels1 mit einer Reduktion am Grund- und Arbeitspreis an diesen Vorteilen. In der Summe konnte der Kunde die Mehrkosten der Investition von rund 4400 Euro in weniger als zwei Jahren amortisieren.
Die Mehrinvestitionen können gemäss den Ausführungen von Karl Zepf aber auch der Grund sein, warum Rücklaufanschlüsse nicht realisiert werden. Dies ist häufig dann der Fall, wenn Investoren die Gebäude bauen und an den Einsparungen im Betrieb nicht interessiert sind.

1 Das Rechenbeispiel kann bei Interesse beim SVGW angefordert werden: fernwaerme@svgw.ch

Fazit

Die Einbindung von Kunden- oder Produktionsanlagen in den Rücklauf ist eine gute Massnahme, bestehende Netze zu optimieren. Wesentlicher Vorteil ist dabei die Erweiterung der Übertragungskapazität sowie ggf. eine Steigerung der Effizienz in der Wärmeproduktion. Damit solche Projekte realisiert werden können, muss der Ist-Zustand des Netzes genau analysiert werden – vor allem müssen Kenntnisse zu den jahreszeitlich schwankenden Volumenströmen und Temperaturen vorhanden sein. Nicht zuletzt muss es auch einen geeigneten Wärmekunden geben, dessen Sekundärnetz (Hausinstallation) ein niedriges Temperaturniveau zulässt.

Bibliographie

[1] Zepf, K. et al. (2012): Exergetische Optimierung der Fernwärmeversorgung Ulm. Abschlussbericht des Forschungsvorhabens «Fernwärmemodellstadt Ulm» (Förderkennzeichen 0327447A)

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