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Fachartikel
04. Februar 2019

Grundwasserverschmutzung im Emmental

FCKW im Untergrund

Ende Mai 2017 wurden im Grundwasser des Unteren Emmentals grosse Mengen an Fluorchlor-kohlenwasserstoffen (Freone) gefunden. Die Förderung von Trinkwasser aus einer betroffenen Fassung musste umgehend eingestellt werden. Um Ursache und Ausmass des Schadens zu evaluieren, veranlasste ein vom Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern gebildeter Krisenstab ein umfassendes Beprobungs- und Messprogramm. Dieser schwerwiegende Fall zeigt erneut die Vulnerabilität des Grundwassers und belegt die Notwendigkeit konsequenter Vorsorge-, Schutz- und Notfallmassnahmen zur Sicherung der Trinkwasserversorgung.
Rolf Tschumper, Sabrina Bahnmüller, Rico Ryser, Oliver Steiner, 

 

An den 30. Mai 2017 wird man sich im Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA) noch lange erinnern. Bei einer Kontrolle des Grundwassers im Rahmen der halbjährlichen Routineuntersuchung des kantonalen Monitorings zeigten sich an der Trinkwasserfassung Fraubrunnenwald im Unteren Emmental zwei unerwartete und intensive Signale. Die Substanzen liessen sich schnell als Trichlorfluormethan (Freon-11) und Trichlortrifluorethan (Freon-113) identifizieren. Sofort war anhand der ermittelten Konzentrationen von 6 Mikrogramm pro Liter (µg/l) für Freon-11 und 18 µg/l für Freon-113 klar, dass es sich um eine schwerwiegende Verschmutzung handeln musste.

ART. 47 Gewässerschutzverordnung des Bundes, GSCHV, SR 814.201

«Stellt die Behörde fest, dass ein Gewässer die Anforderungen an die Wasserqualität nach Anhang 2 nicht erfüllt oder dass die besondere Nutzung des Gewässers nicht gewährleistet ist, so ermittelt und bewertet sie die Art und das Ausmass der Verunreinigung und ermittelt die Ursachen der Verunreinigung.»

Sofortmassnahmen

Das AWA reagierte umgehend mit der Bildung eines Krisenstabs, an dem ausser den Grundwasser-Fachleuten auch das Gewässer- und Bodenschutzlabor (GBL) und der Schadendienst des AWA sowie das Kantonale Trink- und Badewasserinspektorat als Aufsicht der Wasserversorgung beteiligt waren (Fig. 1). Die Koordination wurde dem Leiter der Abteilung Betriebe und Abfall im AWA zugeteilt. Besonderen Wert legte das AWA von Anfang an auf eine rasche und umfassende Kommunikation. Die Wasserversorger und Gemeinden im potenziell betroffenen Gebiet sowie der im Abstrom liegende Kanton Solothurn wurden schnellstmöglich informiert, auch wurde die Öffentlichkeit via Medien über die Situation orientiert.

Als Sofortmassnahme untersagte der Kanton Bern dem Betreiber der Trinkwasserfassung Fraubrunnenwald, der Emmental Trinkwasser, die Nutzung dieser Grundwasserfassung. Zwar gelten Freone als für Menschen unbedenklich, doch begrenzt die Trink- und Badewasserverordnung des Bundes (TBDV, SR 817.022.11) die Maximalkonzentration von flüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen im Trinkwasser auf 10 µg/l (Summenparameter FCKW). Emmental Trinkwasser versorgt etwa 32 000 Menschen in der Region überwiegend mit Quell- und Grundwasser aus Rüderswil (> 90%). Im Sommer jedoch ist die Versorgung hauptsächlich auf Grundwasser aus der Fassung Fraubrunnenwald angewiesen, um den saisonal erhöhten Bedarf abzudecken. Im Unteren Emmental gibt es zudem zahlreiche Selbstversorger, die nicht an die öffentliche Trinkwasserversorgung angeschlossen sind, und nahe der Kantonsgrenze befinden sich weitere Trinkwasserfassungen.

Um sich einen Überblick über die Belastung zu verschaffen und eine Gefährdungsabschätzung vornehmen zu können, veranlasste das AWA eine intensive Untersuchung des regionalen Grundwassers. Es stellten sich die Fragen: Waren weitere Trinkwasserfassungen betroffen? Woher stammten die Chemikalien? Wie ist deren Stoffverhalten? Wie lange würde die Belastung anhalten? Die Strömungsverhältnisse im Grundwasserleiter des Unteren Emmentals waren glücklicherweise aus dem hydrogeologischen Grundlagenbericht des Wasser- und Energiewirtschaftsamts des Kantons Bern (WEA) [4] und dem kürzlich erstellten numerischen Grundwassermodell Emmental des AWA und dem Centre d’hydrogéologie et de géothermie (CHYN) der Universität Neuchâtel [5] gut bekannt. Diese Grundlagen ermöglichten eine rasche Prognose der Ausbreitung der Schadstoffe im Untergrund und erleichterten die Auswahl von geeigneten Grundwassermessstellen (Fig. 2).

Untersuchungsprogramm

– Sofortige Nachmessung in der Fassung Fraubrunnenwald nach Erstbefund

– Auswahl von Grundwassermessstellen und privaten Trinkwasserfassungen basierend auf eine Ausbreitungsprognose mit dem kantonalen Grundwassermodell (Fig. 2)

– Probenahmen im Grundwasser in mehreren Kampagnen (in Zusammenarbeit mit Werner+Partner AG), Analyse im eigenen Gewässer- und Bodenschutzlabor, insgesamt 175 Proben

– Archivrecherche möglicher Ursachen: Schadendienst AWA, Industrie- und Gewerbekataster, belastete Standorte, Wärmepumpen, hydrogeologisches Archiv AWA, Bauverwaltung Burgdorf, Feuerwehr, lokale Geologiebüros etc.

– Kontrolle zahlreicher Industrie- und Gewerbebetriebe vor Ort

– Zwei Stichtagsmessungen des Grundwasserspiegels für die Erstellung eines lokalen Isohypsenplans

– Umfangreiche Porenluftuntersuchungen, über 100 Proben (UmweltMess GmbH) zur Ermittlung des Schadensherdes (Fig. 3)

– Leitungsaufnahmen mit Kanalfernsehen im vermuteten Bereich des Schadensherdes

– Zwei Sondierbohrungen (Analyse von Feststoff- und Grundwasserproben, Kleinpumpversuch)

Ausmass der Verschmutzung

Die Untersuchungen von Juni und Juli 2017 zeigten, dass die Schadstofffront die Fassung Fraubrunnenwald bereits passiert hatte und sich auf die nördliche Kantonsgrenze zubewegte (Fig. 4). Stromaufwärts liessen sich die Freone bis nach Burgdorf verfolgen. Die Probenahmekampagnen in den darauffolgenden Monaten zeigten, dass die Konzentrationen im betroffenen Gebiet kontinuierlich abnahmen.

Aus dem Konzentrationsverlauf in zwei intensiv beprobten Messstellen konnte eine Fliessgeschwindigkeit des Grundwassers von ca. 20 m pro Tag ermittelt werden. Der Zeitpunkt des Freon-Eintrags konnte damit auf Frühjahr oder Frühsommer 2016 berechnet werden, etwa ein Jahr vor der Entdeckung.

Anhand des kantonalen Grundwassermodells konnte basierend auf den gemessenen Konzentrationen aus der ersten Phase (Juni–Juli 2017) eine Abschätzung der insgesamt im Grundwasser vorhandenen Freon-Menge gemacht werden. Es sind mindestens 600 Kilogramm Freon ins Grundwasser eingetragen worden, wobei das Verhältnis Freon-11 zu Freon-113 ca. 1 zu 3 beträgt. Auch zeigen die Berechnungen, dass es sich um eine einmalige Freisetzung handelte, nicht um eine Leckage mit länger anhaltendem Schadstoffaustritt.

Freone sind in der aquatischen Umwelt extrem stabil. Daher lassen sie sich anhand ihrer Spuren im Grundwasser gut verfolgen und bilanzieren. Die Ergebnisse zeigten, dass der gemessene Konzentrationsverlauf einer idealen Durchgangskurve eines Markier- oder Tracerversuchs gleicht. Wegen ihres niedrigen Siedepunkts und hohen Dampfdrucks können sie auch in den luftgefüllten Poren des Untergrunds nachgewiesen werden. Durch zahlreiche Analysen der Porenluft liess sich der Ort des Freoneintrags in Burgdorf eng eingrenzen, obwohl seit dem Ereignis bereits mehr als ein Jahr vergangen war. Alles weist darauf hin, dass Freon in flüssiger Form über einen Sickerschacht in den Untergrund gelangte.

Das Krisenmanagement der Wasserversorger

Das kantonale Trink- und Badewasserinspektorat veranlasste im Juni 2017 die Einstellung der Nutzung der Fassung Fraubrunnenwald. Zu diesem Zeitpunkt war ungewiss, wie lange die Fassung ausser Betrieb bleiben muss. Der anstehende Sommer verschärfte die Situation. Im Sommer kann es zu Trockenperioden kommen, was einen hohen Wasserverbrauch bei abnehmender Quellschüttung zur Folge hat. An Tagen mit einem hohen Verbrauch musste Emmental Trinkwasser das Wasser vom benachbarten Burgdorfer Wasserversorger Localnet AG beziehen. Die 1973 erstellte manuelle Verbindungsleitung zur gegenseitigen Wasserlieferung in Notsituationen erwies sich als wichtige und richtige Investition. Damit konnte ohne Unterbruch der Wasserversorgung und ohne Erstellung von Provisorien die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden. Der Ausfall der Fassung hatte jedoch Folgen weit über das Versorgungsgebiet von Emmental Trinkwasser hinaus. An Tagen mit Spitzenbedarf konnte Emmental Trinkwasser kein Wasser mehr an den benachbarten Wasserverbund Grauholz (WAGRA) liefern. Dieser musste seinerseits vom Wasserverbund Region Bern AG (WVRB) das fehlende Wasser beziehen, um den eigenen Bedarf im Versorgungsgebiet abzudecken (Fig. 5). Mit abnehmendem Wasserverbrauch im Herbst und Winter sowie der Erholung der Quellschüttungen entspannte sich die Lage auf regionaler Ebene. Die Fassung Fraubrunnenwald selbst war ein Jahr ausser Betrieb.

Obwohl die an die öffentliche Trinkwasserversorgung angeschlossene Bevölkerung durch die Grundwasserverschmutzung keine direkten Folgen zu spüren bekam – keiner der Wasserversorger musste zu Wassersparmassnahmen aufrufen oder gar ein Nutzungsverbot anordnen –, machte der Ausfall der Fassung Fraubrunnenwald Schwächen der regionalen Versorgungsstruktur sichtbar.

In der Wasserversorgungsstrategie 2010 hat der Kanton Bern die Gewährleistung der Versorgungssicherheit als minimale Anforderung an Wasserversorger definiert. Für Emmental Trinkwasser ist zwar nicht der wichtigste Wasserbezugsort ausgefallen, jedoch konnte der sommerliche Spitzenbedarf nicht mehr mit eigenen Wasserressourcen abgedeckt werden. Regionale Wasserabgaben wurden zeitweise eingestellt. Weiter kamen die hydraulischen Kapazitäten der Verbindungsleitungen für einen Wasseraustausch zwischen den Wasserversorgungen an ihre Grenzen.

Direkter betroffen waren Selbstversorger, deren Privatbrunnen im mit Freon belasteten Grundwasserbereich lagen. Sie haben während ca. eines halben Jahres belastetes Grundwasser bezogen. Nach der Entdeckung der Verschmutzung wurde ihnen aus Vorsorgegründen empfohlen, das Wasser vorübergehend nicht als Trinkwasser zu verwenden (Trinken, Zubereiten von Säuglingsnahrung usw.). Das Kochen oder das Waschen von Gemüse und Obst mit diesem Wasser konnte aber als unbedenklich eingestuft werden.

Glimpflich davongekommen

Einig sind sich alle Beteiligten darüber, dass es viel schlimmer hätte kommen können. So weit bekannt, ist Freon für Mensch und Tier toxikologisch unbedenklich, denn es kann von biologischen Organismen nicht aufgenommen oder metabolisiert werden. Wäre stattdessen ein toxisches Lösungsmittel in vergleichbarer Menge ins Grundwasser geraten, hätte die Fassung Fraubrunnenwald ggf. für Jahre ausser Betrieb genommen werden müssen – und auch viele weitere private und öffentliche Fassungen im betroffenen Grundwasserleiter.

Als vorteilhaft erwies sich auch das Strömungsverhalten des Grundwassers im betroffenen Gebiet. Die Schadstofffahne blieb auf den westlichen Teil des Aquifers im Unteren Emmental beschränkt (Fig. 4). Etwa ab Höhe Fraubrunnen exfiltriert das Grundwasser zu grossen Teilen in die Oberflächengewässer (Urtene, Emme, Limpach) wie auch in zahlreiche Quellen (Fig. 2). Ein Teil der Freonfracht dürfte wegen der hohen Flüchtigkeit auch aus dem Grundwasser in die Porenluft gelangt sein und von dort in die Atmosphäre. Zudem wird der Verdünnungseffekt innerhalb des Aquifers eine Rolle gespielt haben, sodass sich die Grundwasserbelastung nach Norden hin rasch verringerte. Es ist also den hydrogeologischen Verhältnissen zu verdanken, dass die für die Trinkwasserversorgung wichtigen Fassungen im östlichen Bereich und stromabwärts im solothurnischen Wasseramt von den Freonbelastungen verschont blieben.

Schmale Schadstofffahnen mit geringer Stoffausbreitung quer zur Fliessrichtung sind durch zahlreiche Altlastenfälle mit chlorierten Kohlenwasserstoffen CKW bekannt [7]. Ebenso bestätigte sich die Modellprognose, dass sich die Belastung im Bereich von feinkörnigen Schichten aufgrund der geringeren Grundwasserströmung nur langsam auflöst. Dies konnte im Gebiet südlich des Zusammenflusses von Urtene und Emme beobachtet werden.

Unerwartet hingegen war, dass die Unterströmung der Emme bei Aefligen ohne jeglichen Einfluss auf die Freon-Konzentrationen blieb. Eine Verdünnung der Schadstoffe durch Emme-Infiltrat konnte nicht beobachtet werden. Die detaillierte Verfolgung der Schadstoffausbreitung hat wertvolle Erkenntnisse über das Verhalten des Grundwassers im Unteren Emmental erbracht und erlaubt es, das kantonale Grundwassermodell noch genauer zu kalibrieren.

 

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Die wichtigsten Erkenntnisse

Dass die Auswirkungen der Grundwasserverschmutzung auf die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser begrenzt blieben, ist dem Umstand zu verdanken, dass die betroffene Fassung Fraubrunnenwald nicht der wichtigste Wasserbezugsort von Emmental Trinkwasser ist. Die Fassung Fraubrunnenwald gewährleistet zum grossen Teil die Versorgungssicherheit. Wäre der wichtigste Wasserbezugsort in Rüderswil ausgefallen, wären grössere Einschränkungen bei der Versorgung unvermeidlich gewesen. Der Ausfall des Pumpwerks Fraubrunnenwald zeigt, wie wichtig die Vernetzung mit ausreichenden hydraulischen Kapazitäten zwischen den einzelnen Wasserversorgern ist. Die begrenzten regionalen Wasserressourcen müssen regional optimal genutzt und verteilt werden können.

WASSERVERSORGUNGSSTRATEGIE KANTON BERN

«Mindestanforderung Versorgungssicherheit: Bei Ausfall des wichtigsten Wasserbezugsortes muss der mittlere Bedarf heute und in Zukunft (Planungsziel) abgedeckt sein. Ist die Versorgungssicherheit nicht eingehalten, sind entsprechende Massnahmen bis spätestens 2020 zu treffen.» [6]

Dieser Fall zeigt eindrücklich, dass Grundwasserverschmutzungen durch Unfälle sowie durch andere Störfälle mit Chemikalien vorkommen können und wie verletzlich eine Wasserversorgung sein kann. Zugleich bestätigt sich die Stossrichtung der Wasserversorgungsstrategie des Kantons Bern, die vorgibt, dass jeder Wasserversorger seinen mittleren Tagesbedarf aus mindestens zwei hydrogeologischen unabhängigen Wasserbezugsorten abdecken können muss.

Der Vorfall rückt die existenzielle Bedeutung des Grundwassers in den Fokus. Die Wassergewinnung im Kanton Bern wird zu 96% aus Grundwasservorkommen gedeckt (je 48% Quell- und Grundwasserfassungen, 4% Seewasser). Diese überragende Rolle des Grundwassers ist kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert, und noch weniger, in welchem Mass es durch Schadstoffeinträge gefährdet ist. Nahezu jeder Einsatz von Chemikalien im Freien, aber auch Leckagen, Transportunfälle, Baustellen, defekte Entwässerungsanlagen oder Altlasten können zu Verschmutzungen führen. Viele schwer abbaubare (persistente) und wasserlösliche Chemikalien können ohne grosse Wechselwirkung mit dem Boden direkt ins Grundwasser infiltrieren. Sie werden durch die Bodenpassage (z. B. bei Versickerungsanlagen) nicht zurückgehalten.

Trinkwasserfassungen werden durch planerische Massnahmen wie Grundwasserschutzzonen gesichert [8]. Wie das vorliegende Schadensereignis zeigt, können persistente und mobile Chemikalien jedoch aus dem gesamten Einzugsgebiet in Trinkwasserfassungen gelangen. Kritisch ist dies besonders dort, wo Industriegebiete oder andere potenzielle Eintragsorte für Chemikalien im Zuströmbereich liegen. Dieses Verschmutzungspotenzial stellt erhebliche Anforderungen an die Qualitätskontrolle der Wasserversorger. Die Selbstkontrolle soll laut Empfehlung des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW) in einer dem Sicherheitsrisiko und dem Produktionsumfang angepassten Form erfolgen [9–11]. Viele grössere Wasserversorger betreiben daher eine breite und eng getaktete analytische Überwachung ihrer Wasserressourcen. Wäre die Verschmutzung der Fassung Fraubrunnenwald früher erkannt worden, hätte mehr Spielraum für Massnahmen und die Ermittlung der Schadensursache bestanden. Der vorliegende Fall zeigt, dass das spezifische Gefährdungspotenzial für die Fassung im Fraubrunnenwald neu zu beurteilen ist.

Eine intensive Qualitätskontrolle verursacht Kosten. Messdaten sind jedoch Grundlagedaten, die angesichts des aktuellen Falls deren Bedeutung hervorheben. Allgemein ist zu prüfen, ob nicht zumindest bei bedeutenden, regionalen Trinkwasserfassungen Grundwassermessstellen im Zuströmbereich sinnvoll sind. Ergänzend zu den chemischen Untersuchungen des Rohwassers könnten auch automatische Überwachungssysteme zur Anwendung kommen, welche aussagekräftige Leitparameter berücksichtigen (z. B. Trübung, Leitfähigkeit, Temperatur, pH-Wert usw.). Allerdings muss man sich bewusst sein, dass nicht alle Schadstoffe permanent gemessen werden können, bzw. die Aussagekraft der gemessenen Indikatoren keine eindeutige Interpretation zulässt (z. B. Mikroverunreinigungen).

Die akribische Untersuchung der Grundwasserverschmutzung im Unteren Emmental brachte weitere Defizite im Gewässerschutz zum Vorschein. So erwiesen sich die Leitungspläne der privaten Grundstücksentwässerung im Eintragsbereich der Freone bei Burgdorf als unzuverlässig oder falsch. Platzentwässerungen waren nicht regelkonform, Entwässerungsschächte waren falsch angeschlossen oder in desolatem Zustand. Alte Sondierbohrungen standen offen und dienten in einem Fall sogar als Strassenentwässerung. Diesbezüglich stellt Burgdorf kein Einzelfall dar. Diese Befunde belegen die Bedeutung und einen hohen Nachholbedarf bei Gemeinden und Privaten in puncto Grundstücksentwässerung.

Fazit

Der Eintrag von mehreren hundert Kilogramm eines Freon-Gemischs in das Grundwasser des Unteren Emmentals war ein schwerwiegendes Vorkommnis. Mindestens 50 Mio. Kubikmeter Grundwasser und eine Fläche von mehr als 30 km2 waren betroffen. Dank der geringen Toxizität der eingetragenen Stoffe verlief das Ereignis einigermassen glimpflich. Wie das Freon ins Grundwasser gelangen konnte, war trotz sofortiger Reaktion der Behörden nicht mehr im letzten Detail zu rekonstruieren. Auch wenn ein solcher Fall selten und ungewöhnlich sein mag, sollte er dazu dienen, das Dispositiv für Schadensereignisse dieser Art zu überprüfen.

1. Sicherung der Trinkwasserversorgung

Es ist die Aufgabe von Wasserversorgungen, die verschiedenen Versorgungsszenarien (Versorgungssicherheit, Abdeckung des Spitzenbedarfs bei minimalem Wasserdargebot) zu prĂĽfen und bei Defiziten Massnahmen zu ergreifen. Mit dem heutigen Nutzungsdruck wird es zunehmend schwerer, Wasserressourcen neu zu erschliessen oder zu erweitern. Daher wird die Vernetzung zwischen Wasserversorgungen auf regionaler Ebene in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen.

2. Verstärktes Qualitätsbewusstsein bei den Wasserversorgern

Die Freonverschmutzung wurde glücklicherweise rechtzeitig im Rahmen des kantonalen Grundwassermonitorings festgestellt. Für Wasserversorgungen gilt jedoch das Prinzip der Selbstkontrolle, welche die Qualitätssicherung auf eine Gefahrenanalyse und der Festlegung von kritischen Kontrollpunkten nach der HACCP-Methode abstützt [10]. Das Qualitätsbewusstsein bei den Wasserversorgern, insbesondere zur Rohwasserqualität, muss verbessert und die entsprechenden Richtlinien umgesetzt, periodisch überprüft und gelebt werden.

3. Erweiterung der Monitoringprogramme

Das regelmässige kantonale Grundwassermonitoring beobachtet 120, das nationale Programm NAQUA 80 Parameter. Mit neuen Screening-Verfahren ist es möglich, eine grosse Anzahl bisher nicht untersuchter Schadstoffe nachzuweisen. Das AWA startet im Rahmen eines internen Pilotprojektes solche Untersuchungen an vorläufig sieben Messstellen. Mit der repräsentativen Auswahl erhofft man sich einen tieferen Einblick in die Berner Grundwässer.

4. Behördeninterne Abläufe

Die Kantone sollten ein Dispositiv für die kurzfristige Bildung eines Krisenstabs für Schadstoffeinträge in Trinkwasservorkommen haben. Die Zuständigkeiten der verschiedenen Dienststellen und die jeweiligen Ansprechpartner für Gemeinden, öffentliche und private Wasserversorger und der Öffentlichkeit sollten benannt sein. Entscheidend ist ebenso eine zeitnahe und umfassende Kommunikation aller Betroffenen und der Öffentlichkeit.

5. Kenntnis der Grundwasserströme

Vertiefte Kenntnisse der Grundwasservorkommen und ihres Verhaltens sind für den Schutz und die Nutzung dieser Ressource von zentraler Bedeutung. Um auch das Verhalten künftiger Stoffeinträge rasch und verlässlich abschätzen zu können, sollten für alle wichtigen Grundwasservorkommen numerische Strömungsmodelle bereitstehen.

Untersuchungen der Konzentration von Freon-11 und Freon-113 im Grundwasserstrom des Unteren Emmentals im August 2018 zeigten, dass dort mehr als zwei Jahre nach dem Eintrag noch rund 20% der ursprünglichen Schadstoffmenge verblieben sind. Demnach waren 80% der Schadstoffe aus dem Grundwasserleiter in Quellaustritte und Oberflächengewässer exfiltriert oder verflüchtigten sich.

Es werden noch Jahre vergehen, bis das Freon vollständig aus dem Grundwasser verschwunden sein wird. Das lange Gedächtnis des Grundwassers sollte steter Ansporn sein, die Anstrengungen zur Vermeidung von Stoffeinträgen zu verstärken und den Umgang mit Schadensereignissen zu optimieren. Da sich aber ähnliche Fälle nie ganz ausschliessen lassen, müssen zur Sicherung der Trinkwasserqualität sowohl die Strukturen der Wasserversorgung als auch die Qualitätsüberwachung immer dem Stand der Technik entsprechen.

Bibliographie

[1] PubChem: Compound Summary 1,1,2-Trichloro-trifluoroethane. NIH Open Chemistry Database. [Online]: https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov/compound/1_1_2-Trichlorotrifluoroethane#section=Top

[2] Mitchell, M.; Lowren, N. (2012): The Search For Nonflammable Solvent Alternatives for Cleaning Aerospace Oxygen Systems. Vortrag beim International Workshop on Environment and Alternative Energy, Greenbelt, Maryland, 4.-7. Dezember 2012. [Online]: https://ntrs.nasa.gov/archive/nasa/casi.ntrs.nasa.gov/20130003208.pdf

[3] DuPont (2004): Material Safety Data Sheet FREON 11/FREON 113 Fluorocarbon Blends. Revised 3-MAY-2004. Wilmington, Delaware

[4] Wasser- u. Energiewirtschaftsamt des Kantons Bern (WEA) (1981): Hydrogeologie Emmental – Teil III: Unteres Emmental

[5] AWA, CHYN (2016): Grundwassermodell Emmental, Technische Dokumentation

[6] AWA (2010): Wasserversorgungsstrategie des Kantons Bern

[7] ChloroNet (2016): Untersuchung von CKW-Belastungen – Expertenbericht

[8] Schwab, C. et al. (2018): Grundwasserschutz als Investition in die Zukunft. Aqua & Gas 12/18, p. 43–48

[9] SVGW (2005): W1 Richtlinie für die Qualitäts­überwachung in der Trinkwasserversorgung

[10] SVGW (2017): W12 Leitlinie fĂĽr eine gute Verfahrenspraxis in Trinkwasserversorgungen

[11] SVGW (2018): W1014 Empfehlung fĂĽr die Daten-erfassung und -auswertung bei Wasserversorgungen

[12] AWA (2017): Grundlagenbericht zum Massnahmenprogramm 2017–2022 Teilbereich Wasserversorgung

[13] AWA (2019): Geoportal des Kantons Bern, Grundwasserkarte

[14] Greenhouse Gas Protocol (2016): Global Warming Potential Values. [Online]: https://www.ghgprotocol.org/sites/default/files/ghgp/Global-Warming-Potential-Values%20%28Feb%2016%202016%29_1.pdf

Freone – Stoffe, die es gar nicht mehr geben sollte

Freon ist ein eingetragener Markenname von DuPont (Frigen der von Hoechst und Solkane der von Solvay). Der Begriff Freon wird jedoch allgemein fĂĽr Fluorchlorkohlenwasserstoffe verwendet.

Rechtlicher Status

Herstellung und Anwendung der Freone sind durch das Montreal-Protokoll ĂĽber den Schutz der Ozonschicht von 1992 reguliert und in der Schweiz seit 2004 verboten.

Umweltverhalten

Ein Abbau findet nur unter anaeroben Bedingungen statt. Kaum Adsorption an Oberflächen. Aufgrund der hohen Dichte sinkt Freon-113 in freiem Wasser [1]. Ein Absinken der Schadstoffe im Bereich des Schadstoffherds und eine vertikale Vermischung im Aquifer konnte durch tiefenzonierte Beprobung im vorliegenden Fall bestätigt werden.

Anwendung

Freon-113: vor allem Lösungs- bzw. Reinigungs- und Entfettungsmittel: z. B. Uhrenindustrie, Feinmechanik, Elektronik, chem. Reinigungen, Luftfahrttechnologie [2].

Freon 11: Kältemittel, Aerosol, in Hartschäumen, in Lösemittelgemischen.

DuPont hat in den 1990er-Jahren auch Gemische (Blends) von Freon-113 und Freon-11 mit spezifischem Dampfdruck bzw. Siedepunkt angeboten [3].

Eigenschaften

+++ niedriger Siedepunkt, rückstandsfreie Verdunstung, nicht brennbar, sehr geringe Toxizität, fast geruchlos, preiswert

––– hohe chemische Stabilität, lange Aufenthaltszeit in der Atmosphäre, greifen die Ozonschicht an, hohes Treibhauspotenzial

  Freon-11 Freon-113
Siedepunkt (°C) 23,9 47,5
Dampfdruck (bei 20 °C) bar 0,886  
Dichte (25 °C) g/cm3 1,476 1,566
Treibhauspotenzial (CO2 = 1) 4660 5820

 



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