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Fachartikel
15. Juli 2022

Projet Lac 2

Einfluss von Umweltfaktoren auf Fischartengemeinschaften

Mit dem «Projet Lac» wurden erstmals systematisch die Fischbestände in 35 Seen des Alpenraums aufgenommen. Die Ergebnisse zeigen: Die vorherrschenden Umweltbedingungen beeinflussen die Artenzusammensetzung und die Häufigkeiten der Fischgemeinschaften massgeblich. Menschliche Einflüsse verändern diese Umweltbedingungen, mit einschneidenden Konsequenzen für die Fischgemeinschaften. Der Schutz und die Wiederherstellung von wichtigen Lebensräumen von einheimischen Arten, insbesondere in der Tiefe, bei Flussmündungen und am Ufer der Seen muss deshalb vorangetrieben werden.
Ole Seehausen, Timothy Alexander, Pascal Vonlanthen, Nicole Egloff, 

Die heutige Verbreitung der Fischarten in den Alpenrandseen wird massgeblich durch die Wiederbesiedlungsgeschichte nach dem RĂŒckzug der Gletscher und die Evolution von neuen Arten vor Ort bestimmt [1] (s. Projet Lac 1). Diese Faktoren reichen aber nicht aus, um die Variation in der Zusammensetzung von Fischartengemeinschaften zwischen den Seen zu erklĂ€ren. Lokale Umweltbedingungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Dazu gehören natĂŒrliche Faktoren wie die GewĂ€ssergrösse und -tiefe. Grössere Seen bieten eine grössere Vielfalt an ökologischen Nischen, welche die Koexistenz von vielen Arten ermöglichen. Ebenso bieten grosse Seen mehr Möglichkeiten zur lokalen Artbildung [2] (s. Projet Lac 1). Grössere Seen erhöhen zudem die Überlebenswahrscheinlichkeit von Populationen und Arten ĂŒber lĂ€ngere ZeitrĂ€ume, da Umweltschwankungen gedĂ€mpft werden und weniger oft ein komplettes lokales Aussterben bedingen [3]. Auch die GewĂ€ssertiefe ist mitentscheidend. Tiefe Seen sind im Sommer temperaturgeschichtet, sodass das Wasser an der OberflĂ€che warm und in der Tiefe ganzjĂ€hrig kalt ist. Damit können in geschichteten Seen sowohl kĂ€lte- als auch wĂ€rmeliebende Arten leben, was einer hohen Artenvielfalt das Überleben in diesen Seen ermöglicht.

Neben der vertikalen Lebensraumvielfalt spielt fĂŒr zahlreiche Arten auch das Ufer eine SchlĂŒsselrolle [4]. Ufer sind in vielen Seen durch vielfĂ€ltige LebensrĂ€ume charakterisiert. Steilufer wechseln sich mit Flachufern ab, wind- und wellengeschĂŒtzte Bereiche weisen ĂŒppige SchilfgĂŒrtel auf, wĂ€hrend ausgesetzte Ufer steinig sind und an manchen Orten Kies- oder SandstrĂ€nde aufweisen. Diverse Fischarten bewohnen diese LebensrĂ€ume ganzjĂ€hrig, von anderen werden sie als Laich- oder Jungfisch- sowie als Nahrungshabitat zu bestimmten Zeiten des Jahres genutzt.

Schliesslich hat auch die ProduktivitĂ€t der Seen, die insbesondere durch die NĂ€hrstoffverfĂŒgbarkeit gesteuert wird, einen Einfluss auf die Fischartengemeinschaft. Phosphor ist in den Seen des Alpenraums der fĂŒr die Phytoplanktonproduktion limitierende NĂ€hrstoff, wobei unter bestimmten Bedingungen auch Stickstoff und SpurennĂ€hrstoffe eine Rolle spielen [5]. NĂ€hrstoffreiche Seen haben eine höhere Produktion von planktonischen Algen (Phytoplankton). Diese Algen dienen verschiedenen Kleinstlebewesen (Zooplankton) als Nahrung, weshalb in solchen Seen eine höhere Zooplanktonbiomasse festgestellt wird [6]. Das Zooplankton wird wiederum von Fischen gefressen. NĂ€hrstoffreiche Seen weisen deshalb natĂŒrlicherweise oftmals eine grössere Dichte von planktonfressenden Fischarten in oberflĂ€chennahen Schichten auf als nĂ€hrstoffarme Seen.

All diese Eigenschaften werden heute vom Menschen beeinflusst. Dass die AktivitĂ€ten des Menschen sich auch auf die Zusammensetzung der Fischgemeinschaften auswirken, ist bekannt [7]. Allerdings weiss man bisher fĂŒr die grossen Seen rund um die Alpen nur wenig darĂŒber, auf welche Art und Weise sie die FischbestĂ€nde beeinflussen. Die umfangreichen Daten, die im Rahmen des Projet Lac bei den standardisierten Untersuchungen der Alpenrandseen gesammelt wurden, liefern dazu wertvolle Informationen, um umweltbedingte Einflussfaktoren auf die Fischgemeinschaften zu identifizieren [1].

AusgewÀhlte Ergebnisse

Einfluss von GewÀsserflÀche und -tiefe

Die Anzahl in einem See vorkommender Fischarten korreliert wie erwartet mit der SeeoberflĂ€che (Fig. 1). Eine positive Korrelation mit der SeeoberflĂ€che konnte auch fĂŒr die Anzahl heimischer Arten, fĂŒr die Anzahl eingefĂŒhrter Arten und fĂŒr die Anzahl ausgestorbener heimischer Arten beobachtet werden. Ein entsprechendes Muster konnte in den Seen des Rheineinzugsgebiets zudem bei der Anzahl der endemisch (s. Box 1 S. 65) vorkommenden Fischarten beobachtet werden [1]. Diese Ergebnisse decken sich mit dem ökologischen Grundsatz, dass grössere Ökosysteme mehr Arten beherbergen können, weil sie ein breiteres Spektrum an LebensrĂ€umen aufweisen und ein geringeres Aussterberisiko bedingen [1, 3, 8]. Dass dieser Zusammenhang auch bei den endemischen Arten beobachtet wurde, bestĂ€tigt den Grundsatz aus der Evolutionstheorie, dass mehr verfĂŒgbarer Lebensraum die Rate der Neubildung von Arten positiv beeinflusst [2]. Allerdings vermögen diese GrundsĂ€tze nicht zu erklĂ€ren, wieso die Anzahl ausgestorbener Arten auch mit der SeeflĂ€che zunimmt, denn schliesslich sollten grössere Seen grössere stabilere Populationen aufweisen. FĂŒr diesen Trend muss die Ursache daher bei menschenbedingten UmweltverĂ€nderungen gesucht werden, die den positiven Einfluss der Seegrösse auf die Populationsgrösse ĂŒberlagern.

Die Seetiefe hat einen besonders starken Einfluss auf die Anzahl der im See lebenden endemischen Fischarten. Die Ursache dafĂŒr ist ein grösseres Spektrum an sehr unterschiedlichen LebensrĂ€umen in tiefen Seen, wodurch im Zuge der Besiedlung dieser LebensrĂ€ume neue Arten entstehen konnten. Insbesondere Felchen, Seesaiblinge und Groppen bildeten in grossen und tiefen Seen durch Spezialisierung auf verschiedene Tiefenbereiche oft neue Arten aus [9–11]. Andererseits konnte kein Einfluss der Tiefe auf den Artenreichtum von karpfenartigen und barschartigen Fischen nachgewiesen werden, deren Lebensraum im Wesentlichen auf die sommerwarmen Bereiche der Seen beschrĂ€nkt ist.

Nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Bestandesdichte der vorkommenden Fischarten wird durch FlĂ€che und Tiefe der Seen beeinflusst. Die grossen Voralpenseen weisen proportional mehr Offenwasserhabitat (Pelagial) auf als kleine Seen. Deshalb sind in grossen Seen Fischarten, die den pelagialen Lebensraum besiedeln, besonders hĂ€ufig. Dies sind in den Seen nördlich der Alpen hauptsĂ€chlich verschiedene, oft endemische Felchen- und Seesaiblingsarten, aber auch Lauben und teilweise Egli und Rotaugen (Fig. 2). SĂŒdlich der Alpen sind im naturnahen Zustand der Agone (ein SĂŒsswasserhering) und die Alborella (eine Laube) im Offenwasser besonders hĂ€ufig. Diese sind in den Schweizer Seen Lago Maggiore und Lago di Lugano nur noch selten anzutreffen, im italienischen Gardasee jedoch noch hĂ€ufig (Fig. 2).

Einfluss der Temperatur

Die Wassertemperatur hat in den Seen ebenfalls einen starken Einfluss darauf, welche Fischarten und -familien vorkommen. In alpinen Seen, in denen die OberflĂ€chentemperatur auch im Sommer kĂŒhl bleibt, kommen fast ausschliesslich an kalte Bedingungen angepasste Fischarten vor. Die einzigen natĂŒrlicherweise in diesen Seen vorkommenden Arten sind Forellen, Groppen und Elritzen (Silsersee und Poschiavosee in Fig. 2). DemgegenĂŒber sind kĂ€lteangepasste Arten in kleinen und wenig tiefen Flachlandseen selten oder kommen gar nicht vor. Die grossen und tiefen Alpenrandseen weisen eine besonders hohe Artenvielfalt auf, die man andernorts in Europa in Seen Ă€hnlicher Grösse kaum findet. Das liegt daran, dass sie sowohl fĂŒr kĂ€lte- als auch fĂŒr wĂ€rmeliebende Fischarten gute Bedingungen bieten und von beiden Artengruppen natĂŒrlicherweise besiedelt werden konnten (s. Projet Lac 1). Je nach NĂ€hrstoffgehalt und Wiederbesiedlungsgeschichte dominieren in diesen Seen verschiedene Felchen- und Seesaiblingsarten, die eher kaltes Wasser bevorzugen, oder Egli bzw. Rotaugen, die in wĂ€rmeren und nĂ€hrstoffreicheren Seen besonders hĂ€ufig vorkommen (Fig. 2).

Figur 3 zeigt anhand von ausgewÀhlten Seen, wie sich die Artenzusammensetzung der Fische mit zunehmender Wassertiefe und den damit einhergehenden thermischen Nischen verÀndert. In Seen des Alpenraums wird die wÀrmste, oberflÀchennahe Schicht von Karpfenartigen dominiert, hauptsÀchlich von Rotaugen, Rotfedern, Lauben und ihren Verwandten; bei Egli waren die höchsten Dichten etwas tiefer als bei den Karpfenartigen (Fig. 3). Unmittelbar unterhalb der Egli und unterhalb der Sprungschicht wurden die höchsten Dichten von Felchen festgestellt, wobei es sich hier bereits um eine typisch kÀlteliebende Gattung handelt. In sauerstoffreichen Seen konnten bis zur maximalen Tiefe hohe Felchendichten, aber auch Groppen und bis zu einer gewissen Tiefe auch Saiblinge beobachtet werden [13, 14]. Im VierwaldstÀttersee war zudem auffÀllig, dass die höchsten Seesaiblingsdichten noch tiefer lag als die der Felchen (Fig. 4).

Uferbereich (Litoral)

Der Uferbereich weist eine grosse Artenvielfalt sowie hohe Fischdichten und -biomassen auf (Fig. 4). Egli waren neben Rotaugen und Rotfedern in vielen Seen die am Ufer hÀufigste gefangene Fischart. Interessanterweise findet sich am Ufer aber die geringste Anzahl von endemischen Arten.

Um die Wichtigkeit der verschiedenen Uferhabitate fĂŒr Fische zu beurteilen, wurden Assoziationswerte fĂŒr jede Fischart und jedes Uferhabitat berechnet. Dieser Wert ist positiv, wenn eine Fischart in einem Uferhabitat hĂ€ufiger auftritt, als dies per Zufall erwartet worden wĂ€re. Über alle Seen betrachtet, finden sich dabei fĂŒr MĂŒndungsgebiete von ZuflĂŒssen besonders viele positive Assoziationen (Fig. 5). Auch wurde bei FlussmĂŒndungen eine höhere Zahl gefĂ€hrdeter und bedrohter Arten festgestellt als in anderen Uferhabitaten. Dies zeigt eindrĂŒcklich, wie wichtig naturnahe Deltas von FliessgewĂ€ssern fĂŒr viele Flachwasser-Fischarten der Seen sind. Aber auch alle anderen Uferhabitate weisen mehr oder weniger hohe Anteile von positiven Assoziationswerten auf. Insbesondere Habitate, die Fischen Unterschlupf bieten, wie Blöcke, Steine, Wasserpflanzen und Holzstrukturen, sind fĂŒr viele Arten wichtige LebensrĂ€ume (Fig. 5).

EindrĂŒcklich ist die artspezifische Betrachtung dieser Assoziationswerte (Fig. 6). So werden karpfenartige Fische hĂ€ufiger bei Wasserpflanzen oder Helophyten (z. B. Schilf) gefangen. Kleine benthische Fische wie z. B. Groppen-, Schmerlen- und Elritzenarten bevorzugen Steine. Bei Blöcken, die gute Versteckmöglichkeiten bieten, werden PrĂ€datoren wie z. B. Forelle, TrĂŒsche und Wels hĂ€ufig gefangen. Insgesamt passen die beobachteten Assoziationen gut zur Biologie der einzelnen Arten. Sie zeigen damit auf, wie wichtig naturnahe und vielfĂ€ltige Uferhabitate fĂŒr eine artenreiche Fischgemeinschaft der Seen sind.

Einfluss von NĂ€hrstoffen und Sauerstoff
HĂ€ufigkeiten und Biomasse

Die Auswertung der Daten ergab, dass in den grossen Seen die festgestellte Biomasse der Felchen in nĂ€hrstoffarmen Seen höher ist als in nĂ€hrstoffreichen Seen (Fig. 7). Dieses Muster ist bemerkenswert, da es den ErtrĂ€gen der Berufsfischerei widerspricht. Die Fangstatistiken zeigen, dass die fischereilichen FelchenertrĂ€ge in mĂ€ssig nĂ€hrstoffreichen Seen höher sind als in nĂ€hrstoffarmen Seen. Der Widerspruch lĂ€sst sich vermutlich damit erklĂ€ren, dass beim Projet Lac in nĂ€hrstoffarmen Seen eine hohe Anzahl Fische kleinwĂŒchsiger Felchenarten gefangen wurde. Dies gilt insbesondere fĂŒr den Brienzer- und den Walensee. Diese kleinen Felchen werden von der Berufsfischerei weniger stark befischt, machen in diesen Seen aber eine sehr grosse Biomasse aus. Ein Grund fĂŒr die hohe Dichte dieser kleinen Felchenarten könnte der geringe Befischungsdruck darstellen. Ebenso ist wahrscheinlich, dass die kleinwĂŒchsigen Felchenarten in nĂ€hrstoffarmen Seen ideale Lebensbedingungen vorfinden (z. B. SauerstoffverfĂŒgbarkeit bis in grosse Tiefen) und daher verteilt ĂŒber die gesamte Seetiefe leben.

Werden nur grössere Felchen betrachtet, kann wiederum eine positive Korrelation zwischen den Projet-Lac-FĂ€ngen und den BerufsfischereiertrĂ€gen beobachtet werden [1], was wiederum gut mit den BerufsfischereiertrĂ€gen ĂŒbereinstimmt. In nĂ€hrstoffarmen Seen hat es damit ĂŒber das gesamte Seevolumen zwar eine grössere Biomasse und eine viel grössere Abundanz von Felchen (Fachbegriff: standing crop). Diese sind aber oft kleinwĂŒchsig und daher fĂŒr die Fischerei weniger attraktiv und werden nur wenig befischt.

Bei den Egli stimmt das beobachtete Bild mit den Erfahrungen der Berufsfischer ĂŒberein (Fig. 7). In nĂ€hrstoffreichen Seen war die gefangene Biomasse deutlich höher als in nĂ€hrstoffarmen Seen und dies unabhĂ€ngig von der Grösse der Egli.

Tiefenverteilung der Fische

Die Schlussfolgerung, dass hohe NĂ€hrstoffkonzentrationen zu mehr und grösseren Fischen fĂŒr den Fischfang fĂŒhren, ist daher nicht falsch. Sie gilt allerdings nicht fĂŒr alle Fischarten. Gewisse Arten profitieren von höheren NĂ€hrstoffkonzentrationen, wĂ€hrend andere verlieren. Welche Arten profitieren, hĂ€ngt unter anderem davon ab, wie stark die NĂ€hrstoffbelastung eines Sees bereits ist und in welchen Habitaten die jeweiligen Fischarten leben bzw. wo sich ihre LaichgrĂŒnde befinden. Von höheren NĂ€hrstoffkonzentrationen profitieren insbesondere Fischarten, welche ganzjĂ€hrig die oberen Wasserschichten in UfernĂ€he besiedeln und sich auch dort fortpflanzen (Fig. 8).

Ganz anders sieht das Bild in den Tiefen der Seen aus. Dort wird zwar weniger gefischt, jedoch leben in diesen Bereichen viele endemische Fischarten. Diese sind schlussendlich auch die grössten Verlierer von höheren NĂ€hrstoffbelastungen und den damit einhergehenden VerĂ€nderungen im Nahrungsangebot und dem verursachten Sauerstoffmangel in der Tiefe, denn ihre Biomasse nimmt mit zunehmendem NĂ€hrstoffgehalt rapide ab (Fig. 8). Dies hat zur Konsequenz, dass die Abundanz und die Biomasse von Fischen in nĂ€hrstoffĂ€rmeren Seen gleichmĂ€ssiger ĂŒber alle Tiefenzonen verteilt ist, wĂ€hrend sie in nĂ€hrstoffreicheren Seen auf die oberflĂ€chennahe Zone beschrĂ€nkt ist (s. auch Fig. 3).

Interessanterweise zeigen die standardisierten Befischungen, dass auch in Seen, die durch die Reoligotrophierung wieder zu nĂ€hrstoffarmen Bedingungen zurĂŒckgekehrt sind, die tiefen Bereiche bis heute nicht wieder von Felchen, Saiblingen oder Groppen genutzt werden. Insbesondere in der Vergangenheit stark mit NĂ€hrstoffen belastete Seen haben die an das Tiefenwasser angepassten Fischarten grösstenteils verloren [15]. Die noch vorhandenen Arten breiten sich trotz Verbesserung des Sauerstoffgehalts nicht wieder in diese Tiefenbereiche aus. In Seen, die nie stark durch Eutrophierung und Sauerstoffmangel beeintrĂ€chtigt waren, kommen Saiblinge bis ĂŒber 100 m Tiefe, Felchen und Groppen ĂŒber das gesamte Tiefenspektrum bis hin zu den tiefsten Stellen vor (Fig. 9).

Die einzige Fischart, die in vielen, auch ehemals eutrophen Seen regelmĂ€ssig in der Tiefenzone gefangen wurde, ist die TrĂŒsche. Interessanterweise ist die TrĂŒsche fĂŒr die Fortpflanzung nicht auf das tiefe Habitat angewiesen, da sie pelagische Eier und Larven produziert und auch im Flachwasser und in ZuflĂŒssen laicht. Das Vorhandensein der TrĂŒsche in der Tiefe spricht jedoch fĂŒr die derzeitige Bewohnbarkeit der Tiefenwasserzone fĂŒr adulte Fische. Das Ausbleiben einer Wiederbesiedlung der Profundalzone durch andere Fischarten nach der RĂŒckkehr zu ausreichenden Sauerstoffkonzentrationen deutet darauf hin, dass die ausgestorbene Tiefenwasserfauna Anpassungen an das Leben in diesem Lebensraum hatte, die den noch vorhandenen Arten der geringeren Wassertiefen fehlt. In Zukunft sollte beobachtet werden, ob und unter welchen UmstĂ€nden sich Teilpopulationen solcher Arten erneut an das Leben in den grossen Tiefen anpassen können.

Wichtige Erkenntnisse des Syntheseberichts

Dank des Zusammenkommens von zwei Faktoren ist die Schweiz fĂŒr SĂŒsswasserfische ein Zentrum der Artenvielfalt in Europa: Erstens verfĂŒgt sie ĂŒber eine grosse Anzahl grosser, tiefer und ursprĂŒnglich durchgehend bis in maximale Tiefen mit Sauerstoff versorgter Seen, die durch ihre Temperaturschichtung sowohl kĂ€lteliebenden als auch wĂ€rmeliebenden Arten geeignete LebensrĂ€ume bieten. Zweitens konnten die Seen aus vier wichtigen Eiszeitrefugien von Fischen wiederbesiedelt werden. Derzeit kommen deshalb in Schweizer Seen mindestens 106 verschiedene Fischarten natĂŒrlicherweise vor [1].

ZusĂ€tzlich zur Wiederbesiedlungsgeschichte und zu den durch die grossen Wassertiefen begĂŒnstigten lokalen Artentstehungsprozessen beeinflussen insbesondere die Tiefe, die Maximaltemperatur des OberflĂ€chenwassers, die ProduktivitĂ€t und der relative Anteil Litoral- bzw. Pelagial- und Profundalhabitat die natĂŒrliche Fischartenzusammensetzung und insbesondere die relative HĂ€ufigkeit der einzelnen Arten. Das grosse Spektrum an unterschiedlichen Seetypen (ganzjĂ€hrig kalte alpine Seen, grosse Alpenrandseen, Mittellandseen) jeder Grösse und Tiefe ist daher auch fĂŒr die Vielfalt an Fischgemeinschaften mit verschiedenen DominanzverhĂ€ltnissen verantwortlich.

Die grossen Seen rund um die Alpen werden aber intensiv vom Menschen genutzt, was zu VerĂ€nderungen der Umweltbedingungen fĂŒhrt und die Fischartenzusammensetzung der Seen beeinflusst. Die KlimaerwĂ€rmung wirkt sich z. B. direkt auf die Wassertemperatur der Seen und somit auch auf die Fischgemeinschaften aus. Es wird vermutet, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten eine der grössten Bedrohungen fĂŒr die Fischgemeinschaften in Seen darstellen wird [1]. Dies, weil viele kĂ€lteliebende Arten nicht in andere, kĂŒhlere GewĂ€sser ausweichen können und weil die verzögerte AbkĂŒhlung im Herbst und im Winter die vertikale Zirkulation des Wassers erschwert. Letzteres verschlechtert unter anderem die Sauerstoffversorgung im Tiefwasserlebensraum.

Auch die Beeinflussung der Hydrologie der Seen spielt eine wichtige Rolle. Dazu kommt der Verlust des natĂŒrlichen Geschiebeeintrags durch die ZuflĂŒsse, die Verbauung der Seeufer und die fehlende Vernetzung zwischen Seen und FlĂŒssen.

Schliesslich ist auch die WasserqualitĂ€t inkl. Mikroverunreinigungen zu erwĂ€hnen. FĂŒr die Fischartenzusammensetzung ist seit Jahrzehnten die Belastung vieler Seen durch NĂ€hrstoffe von grosser Bedeutung. Mit der EinfĂŒhrung der Phosphatelimination in den KlĂ€ranlagen hat sich seit den 80er-Jahren die WasserqualitĂ€t vieler Seen langsam wieder verbessert, sodass sich die ProduktivitĂ€t mancher Seen heute wieder ihrem ursprĂŒnglichen Zustand nĂ€hert. Dies hat zur Folge, dass sich auch die Fischartenzusammensetzung wieder in Richtung des natĂŒrlichen Zustands verschiebt bzw. bereits verschoben hat. Allerdings sind in verschiedenen Seen endemische Arten, die an grosse Tiefen angepasst waren, ausgestorben und damit fĂŒr immer verloren.

Auch in Zukunft werden in Seen Nutzungsinteressen mit Natur- und Artenschutzinteressen aufeinanderstossen. Wichtig ist, dass die gesellschaftlichen Nutzungsinteressen im Rahmen einer gesetzeskonformen InteressenabwĂ€gung den Interessen am Arten- und Lebensraumschutz gegenĂŒbergestellt werden. Dabei sind auch die internationalen Verpflichtungen der Schweiz zum Erhalt der BiodiversitĂ€t zu berĂŒcksichtigen.
Empfehlungen

Anhand der Ergebnisse aus dem Projet-Lac-Synthesebericht können folgende Empfehlungen formuliert werden, die bei diesen InteressenabwĂ€gungen berĂŒcksichtigt werden sollten:

  • Die von endemischen Arten genutzten profundalen Seehabitate sind heute immer noch bedroht. Diese LebensrĂ€ume und ihre Arten mĂŒssten weiter erforscht werden. Nur so lassen sich VerĂ€nderungen bei den letzten endemischen Arten der Seen rechtzeitig erkennen, um gegebenenfalls Massnahmen zu deren Schutz zu ergreifen.
  • Noch naturnahe Ufer mĂŒssen erhalten und verbaute Ufer renaturiert werden. Besonders wichtig sind dabei Flachufer und Flussdeltas. Letztere werden heute noch oft zur Kiesgewinnung genutzt und damit ihrer wichtigen ökologischen Funktion als Fischlebensraum beraubt.
  • Die Vernetzung der Seen mit Zu- und AbflĂŒssen ist vielerorts noch durch kĂŒnstliche Hindernisse unterbrochen und sollte weiter saniert werden.
  • NatĂŒrliche Wasserstandsschwankungen, die fĂŒr die Regeneration und den Erhalt der Uferhabitate wichtig sind, fehlen in vielen Seen bzw. werden durch die Seeregulierung stark gemindert. Lösungen sollten gefunden werden, um möglichst naturnahe Pegelschwankungen zu ermöglichen.
  • Die WasserqualitĂ€t muss in vielen Seen weiter verbessert werden. Viele Seen leiden nach wie vor unter zu hohen NĂ€hrstoffeintrĂ€gen. Verschmutzungen mit Mikroverunreinigungen, Mikroplastik sowie Pestiziden stellen fĂŒr Fische und aquatische Invertebraten ebenfalls eine Bedrohung dar. Die möglichen Konsequenzen dieser z. T. neuen Bedrohungen sind noch weitgehend unbekannt und sollten dringend erforscht werden.
  • Der Nutzungsdruck durch FreizeitaktivitĂ€ten auf den Seen nimmt kontinuierlich zu. RĂŒckzugsgebiete fĂŒr Fische gibt es aber kaum. Ähnlich wie bei Vogelschutzgebieten sollten neu auch Fischschutzgebiete in verschiedenen Habitaten geschaffen werden.
Bibliographie

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[14] Eawag (2014): Artenvielfalt und Zusammensetzung der Fischpopulation im Walensee, Kastanienbaum
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