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31. Mai 2018

Markus Küng, Andreas Hirt und Kurt Seiler im Interview

«Es braucht einen intelligenten indirekten Gegenvorschlag»

Der SVGW setzt sich für einen konsequenten Schutz der Trinkwasserressourcen ein. Auch die Anfang Jahr eingereichte Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» kämpft für einen besseren Ressourcenschutz. Dabei steht die Forderung nach einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion im Zentrum. Markus Küng (IWB) und Andreas Hirt (ESB), beide Mitglieder des SVGW-Vorstands, erläutern im Interview die Haltung des SVGW zu dieser Trinkwasser-Initiative. Obwohl der SVGW die Ziele der Initiative gutheisst, schlägt er eine andere Vorgehensweise vor. Dabei wird er von den Kantonen unterstützt, wie Kurt Seiler, Amtsleiter des Interkantonalen Labors, im Interview ausführt.
Margarete Bucheli,  , 
Im Januar dieses Jahres wurde die Initiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» eingereicht. Welche Forderungen stellt die Initiative?

Markus Küng (MK): Wie der Name schon sagt, steht die Initiative für sauberes Trinkwasser und gesunde Ernährung ein. Um dies zu erreichen, wird gefordert, dass nur diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe Direktzahlungen erhalten, die ohne Pestizideinsatz produzieren, keine Antibiotika zur Prophylaxe verwenden und einen Tierbestand halten, der mit dem selbst produzierten Futter ernährt werden kann.

«Der SVGW begrüsst die Forderung nach einer Verbesserung des Trinkwasserschutzes. […] Doch der SVGW erachtet die Initiative im Ansatz als zu radikal.»

Wie positioniert sich der SVGW zu dieser Initiative?

Andreas Hirt (AH): Der SVGW ist mit der Zielrichtung, also der Forderung nach einer Verbesserung des Trinkwasserschutzes, einverstanden. Er begrüsst auch, dass durch die Lancierung der Initiative die Diskussion um die Pestizidproblematik in Gang gebracht und belebt wurde. Doch der SVGW erachtet die Initiative im Ansatz als zu radikal. Die berechtigten Bedürfnisse der Landwirtschaft müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Daher fordert der SVGW einen substantiellen, zielführenden indirekten Gegenvorschlag.

Herr Seiler, was ist Ihre Meinung als Vorsteher Umweltschutz und Kantonschemiker zur Initiative?

Kurt Seiler (KS): Auch ich begrüsse die Forderung nach «sauberem Trinkwasser» sehr. Allerdings sind die vorgeschlagenen In-
strumente nicht zielführend. Da die Initiative in der Bevölkerung zweifelsohne auf viel Sympathie stösst, braucht es einen intelligenten indirekten Gegenvorschlag.

Trotz den Sympathien, die Sie den Anliegen der Initiative entgegenbringen, setzen Sie sich für ein anderes Vorgehen, den indirekten Gegenvorschlag, ein. Warum?

AH: Ein umfassender indirekter Gegenvorschlag kann auf der Basis bestehender gesetzlicher Regelungen vorhandene Lücken gezielt angehen und stopfen und so rascher Wirkung erzielen als im Falle der Annahme der Initiative, die eine Verfassungsänderung nach sich ziehen würde. Gleichzeitig können durch einen indirekten Gegenvorschlag die potenziell nachteiligen Wirkungen auf die Landwirtschaft minimiert werden.
MK: Bestehende Ansätze wie der Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (AP PSM) sind unzureichend, um die Ressourcen für die Trinkwassergewinnung zu schützen. So ist im AP PSM für den Bereich Grundwasser lediglich eine «zu prüfende Massnahme» enthalten. Insgesamt hat der AP PSM zu wenig Biss und wird viel zu langsam Verbesserungen bringen. Zudem fehlen uns Informationen, was derzeit konkret läuft. So wurden wir als Trinkwasserversorger bisher nicht in eine Begleitgruppe eingeladen. Weiter ist derzeit noch unklar, wann und wie die Agrarpolitik ab dem Jahr 2022 (AP22+) definiert und ob sie ausreichende und verbindliche Verbesserungen im Bereich Ressourcenschutz enthalten wird. Aus politischer Sicht erachten wir es als eine ausgesprochene Hochrisikostrategie, ohne indirekten Gegenvorschlag in den Abstimmungskampf zur Trinkwasser-Initiative zu steigen, zumal auch die nationale Initiative für ein PSM-Verbot grosse Unterstützung erhalten hat.
KS: Die Kantone forderten, dass im AP PSM quantitative Ziele für die Reduktion der Belastungen des Grundwassers mit langlebigen Stoffen festgelegt werden. Doch das Anliegen fand beim Bund kein Gehör. Nun lassen sich hoffentlich mit einem indirekten Gegenvorschlag Verbesserungen erzielen.

Was sind die Hauptpunkte, die ein indirekter Gegenvorschlag enthalten sollte?

AH: Aus Sicht der Trinkwasserversorger müssen drei Kernanliegen berücksichtigt werden:
1. Die Trinkwasserressourcen müssen planerisch besser geschützt werden.
2. Fremdstoffeinträge sind zu reduzieren. Dafür sind vor allem die Vorgaben zum Einsatz von Pflanzenschutzmittel zu verschärfen.
3. Der Vollzug muss mit griffigen Instrumenten gestärkt
werden.

MK: Der indirekte Gegenvorschlag muss darüber hinaus ein umfassendes Gesamtpaket bilden, das sowohl substantielle Verbesserungen in den Bereichen Umweltschutz und Biodiversität bringt als auch der Landwirtschaft Möglichkeiten für innovative Geschäftsfelder eröffnet.
KS: Ich teile diese Forderungen und möchte noch eine weitere hinzufügen: Weil der planerische Schutz, wie die Ausscheidung eines Zuströmbereiches, und die dazugehörigen Massnahmen mit hohen Kosten verbunden sind, muss eine verbindliche regionale Planung für die Trinkwasserversorgung vorausgesetzt werden. In Anbetracht der Klimaveränderung muss die Planung vorausschauend sein und auch die Landwirtschaft einbeziehen.

Welche Schritte wurden bereits gemacht, um die geplante Vorgehensweise umzusetzen?

MK: Der SVGW hat ein Positionspapier für einen indirekten Gegenvorschlag erarbeitet. Am 20. März konnte der SVGW seine Position und Stossrichtungen für einen indirekten Gegenvorschlag bei Frau Bundesrätin Doris Leuthard und dem UVEK vorstellen. Ein Gespräch mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann fand am 8. Mai statt. Dabei haben wir nochmals unsere Forderungen deponiert und auf das Imagerisiko für das Trinkwasser und die Landwirtschaft im Rahmen des Abstimmungskampfs hingewiesen, sollte kein substantieller Gegenvorschlag vorliegen. Unsere Forderungen und Einschätzungen haben wir auch Bundespräsidenten Alain Berset als Vorsteher des BLV unterbreitet. Schliesslich informierten wir via Newsletter weitere Kreise, wie Parlamentarier, Kantonspolitiker, die Verwaltung, die Wasserversorger und NGO über unsere Forderungen.

«Falls es keinen Gegenvorschlag gibt, ist das Imagerisiko für Trinkwasser und Landwirtschaft im Abstimmungskampf zur Trinkwasser-Initiative enorm hochTrinkwasser-Initiative enorm hoch» 
KS: Der VKCS (Verband der Kantonschemiker der Schweiz) und auch die KVU (Konferenz der Vorsteher der Umweltschutzämter der Schweiz) haben sich im Rahmen von Vernehmlassungen zu Revisionen im Gewässerschutz– und Lebensmittelrecht sowie zum AP PSM geäussert. Ihre Haltung hat sich nie geändert und ist klar. Da die Kontrolle des Trinkwassers eine Kernaufgabe der Lebensmittelkontrolle ist, hat der VKCS aufgrund der Initiative dem Bundesrat mitgeteilt, wo er im Falle des Trinkwassers Handlungsbedarf sieht.

Welche Signale haben Sie bisher erhalten?

MK: Unsere Anliegen wurden von den beiden Bundesräten wohlwollend aufgenommen. Wir erwarten, dass der Bundesrat Anfang Juni bekannt gibt, wie er sich zur Trinkwasser-Initiative stellt, d. h. ob er einen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten oder die Thematik eher in der AP22+ behandeln will.
AH: Von Parlamentariern erhielten wir klare Signale, dass unsere Forderungen unterstützt werden. Zudem unterstützen zahlreiche Vertreter von Kantonen, NGO und viele SVGW-Mitglieder ausdrücklich die Forderungen des SVGW. Auch der VKCS begrüsst die Forderungen des SVGW.
KS: Das kann ich bestätigen. Nicht nur die Lebensmittelkontrollbehörden und die Umweltämter, sondern auch kantonale Direktorenkonferenzen haben sich in der Vergangenheit regelmässig und pointiert für eine Verbesserung der Trinkwasserqualität eingesetzt.

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Was plant der SVGW für den Fall, dass der Bundesrat keinen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten lässt?

MK: In diesem Fall müssten wir die politischen Konstellationen und Optionen nochmals spezifisch analysieren. Eine Möglichkeit wäre, Parlamentarier zu überzeugen, dass sie einen indirekten Gegenvorschlag formulieren. Parallel dazu werden wir genau verfolgen, ob die im Rahmen der AP22+ geplanten Massnahmen unsere Forderungen ausreichend abdecken. Es ist zu erwarten, dass in der AP22+ sehr unterschiedliche Themenbereiche behandelt werden, wie z. B. Berglandwirtschaft oder Biodiversität. Daher stellt sich die Frage, ob in der AP22+ ausreichende Massnahmen zur Verbesserung des Trinkwasserressourcenschutzes enthalten sein werden. Wir befürchten stark, dass gezielte Massnahmen in der Landwirtschaft zum Schutze des Trinkwassers auf die lange Bank geschoben werden. Solch ein Szenario können wir nicht akzeptieren.
Falls kein indirekter Gegenvorschlag zustande kommt, muss sich der SVGW also auch überlegen, ob er die Trinkwasser-Initiative aktiv unterstützen wird, vor allem in Anbetracht der Gefahr, dass unsere trinkwasserbezogenen Forderungen in der Erarbeitung der AP22+ wahrscheinlich unbeachtet bleiben.

Was wären die Folgen einer Ablehnung der Trinkwasser-Initiative, je nachdem ob es einen indirekten Gegenvorschlag gibt oder nicht?

MK: Wenn ein substantieller indirekter Gegenvorschlag zur Trinkwasser-Initiative formuliert wird, würde der SVGW diesen aktiv unterstützen, aber natürlich nur, wenn unsere Anliegen punkto planerischen Schutzes der Trinkwasserressourcen und Reduktion der Fremdstoffe darin berücksichtigt sind. Wird die Trinkwasser-Initiative bei Vorliegen eines indirekten Gegenvorschlages abgelehnt, so tritt automatisch der Gegenvorschlag in Kraft. Gibt es keinen indirekten Gegenvorschlag, so bleibt bei einer Ablehnung der Initiative alles beim Alten bzw. es werden dann die Beschlüsse der AP22+ gelten. Voraussichtlich wird die AP22+ aber erst nach der Abstimmung zur Trinkwasser-Initiative festgelegt.

Das Gewässerschutzrecht soll die Ressourcen der Trinkwassergewinnung – in der Schweiz steht hier an erster Stelle das Grundwasser – schützen. Wie beurteilen Sie den Schutz durch das gegenwärtige Gewässerschutzrecht?

AH: Das bestehende Recht ist an sich bereits sehr umfassend, doch bestehen Lücken und in einigen Kantonen hapert es auch am Vollzug. Dabei ist aber zu bedenken, dass auf der Ebene der Kantone einige Probleme zu lösen sind, die durch die Politik und Gesetzgebung auf Bundesebene verursacht werden. Zur Lösung dieser Folgeprobleme fehlen den Kantonen in der Regel die Mittel. Zudem werden viele raumrelevante Entscheide in anderen Sektoren gefällt, beispielsweise in der Raumplanung, so dass der Gewässerschutz oft tiefer priorisiert wird. Das Thema Trinkwasserressourcenschutz muss wieder stärker gewichtet werden sowohl auf der politischen Agenda als auch in Planungsentscheidungen.

«Konkret setzen wir uns daher für eine gesetzliche Pflicht zur regionalen Wasserversorgungsplanung ein.»
KS: Die Krux liegt nicht im Gewässerschutzrecht. Vielmehr werden bei den Direktzahlungen falsche Anreize gesetzt, und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ist zu wenig streng geregelt. Es kann nicht sein, dass die Kantone, die als Vollzugsstellen des Gewässerschutzrechts am Ende der Kette stehen, die Suppe auslöffeln müssen. Die Zulassungsbedingungen sind so zu regeln, dass im Grundwasser keine langlebigen Stoffe vorkommen und dass die Fliessgewässer keinen Schaden davontragen. Bei den Direktzahlungen sind die Anreize so festzulegen, dass der Anforderungswert der Gewässerschutzverordnung von 25 mg/l Nitrat im Grundwasser eingehalten wird. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auch der Vollzug realisierbar.

Welche rechtlichen Regelungen schlagen Sie vor, um den Schutz der Trinkwasserressourcen zu verbessern?

MS: Einen Ansatzpunkt sehen wir auf Stufe Gemeinden. In vielen Gemeinden wird der planerische Schutz ungenügend umgesetzt. Konkret setzen wir uns daher für eine gesetzliche Pflicht zur regionalen Wasserversorgungsplanung ein. Eine Verpflichtung zur regionalen Planung ist für die Siedlungsentwässerung bereits im Gewässerschutzrecht verankert. Für die Wasserversorgung gibt es hingegen nichts Vergleichbares. Auch im Bereich der Fremdstoffe sehen wir im Trinkwasserressourcenschutz keine wirklichen Fortschritte. Bei beiden Themen ist die Politik gefordert.
KS: Die Kantone sollen sich der überregionalen Planung der Wasserversorgung annehmen und die Gemeinden sollen sich ihrerseits an dieser Planung orientieren. Um den Prozess zu beschleunigen, könnte der Bund finanzielle Anreize schaffen wie er dies im Bereich der Siedlungsentwässerung getan hat. Im Kanton Schaffhausen hat es mit finanziellen Anreizen bestens geklappt: Die Gemeinden haben bei der Erneuerung ihrer Trinkwasseranlagen Subventionen vom Kanton erhalten, wenn sie sich an die kantonalen Vorgaben gehalten haben.

Der SVGW verlangt, dass dem im Umweltrecht verankerten Vorsorgeprinzip Rechnung getragen wird. Wo sollte das Vorsorgeprinzip verstärkt angewendet werden?

AH: Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel überhaupt. Der SVGW fordert die Einhaltung der bereits in der Verfassung und den Gesetzen verankerten Grundsätze und Vorgaben sowie deren konsequenten Vollzug, um das Lebensmittel Trinkwasser und die dafür benötigten Ressourcen dauerhaft zu schützen.
Grundwasserträger sind träge Systeme. Sind diese einmal durch persistente Stoffe belastet, dauert es meist Jahrzehnte, bis diese Stoffe ausgeschwemmt sind. Die Zulassung von Stoffen muss vermehrt aus Sicht Ressourcenschutz erfolgen. Immer wieder mussten bewilligte Stoffe wie Atrazin nachträglich zurückgezogen werden, da ihre negativen Wirkungen erst später entdeckt wurden. Die Vorsorge ist folglich das wichtigste Prinzip für einen nachhaltigen Schutz der Ressourcen. Unsere Forderungen fussen daher auf dem Vorsorgeprinzip. Es gibt keine sinnvolle Alternative. Allfällige End-of-pipe Lösungen, wie die Aufbereitung des Wassers, sind auf Dauer viel teurer als präventive Massnahmen. Zudem sind die positiven Auswirkungen von Vorsorgemassnahmen nicht nur auf das Trinkwasser beschränkt.
KS: Auch dem Boden wird oft zu wenig Beachtung geschenkt. Im Boden können sich PSM und ihre Abbauprodukte anreichern, um im Laufe der Zeit sukzessive ins Grundwasser ausgewaschen zu werden. Die meisten der eingesetzten PSM können im Folgejahr im Boden noch nachgewiesen werden!
MK: Neben dem Vorsorgeprinzip fordert der SVGW auch eine effektivere Umsetzung des Verursacherprinzips. Es kann nicht sein, dass die Steuerzahler indirekt Pflanzenschutzmittel subventionieren. Diese können auch deshalb so billig verkauft werden, weil für sie der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 2,5% gilt und auch die von den Herstellern zu entrichtenden Gebühren für die Bewilligung nicht kostendeckend sind.

Stark diskutiert wird das Thema der Pestizidabbauprodukte, insbesondere der relevanten und nicht-relevanten Metaboliten. Welche Regelungen hierzu wünschen sich SVGW und Kantone auf Ebene Pestizidzulassung, Gewässerschutz und schliesslich Lebensmittelrecht?

MK: Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel und es ist auch Produktionsmittel. In der Schweiz können ca. 70% des geförderten Wassers ohne aufwendige Aufbereitung abgegeben werden. Um das Vertrauen in das Lebensmittel Trinkwasser zu erhalten und die Kosten tief zu halten, sollten grundsätzlich keine persistenten Fremdstoffe wie Pflanzenschutzmittel und ihre Metaboliten im Trinkwasser vorhanden sein. Eine ähnliche strikte Vorgabe gibt es zum Beispiel in Dänemark.
KS: Bei der Stoffzulassung werden die Weichen gestellt. Hier muss angesetzt werden. Zudem müssen vermehrt Zuströmbereiche bestimmt und ausgeschieden werden. Sie dienen der Vorsorge, der Sensibilisierung und sie sind letztlich Grundlage für die Festlegung von zielgerichteten Massnahmen. Damit die in einem Zuströmbereich verfügten Massnahmen nicht als materielle Enteignung gewertet werden, sind Anpassungen bei den Direktzahlungen nötig.

Welche Ansatzpunkte im Landwirtschaftsbereich sehen Sie, um Einträge aus der Landwirtschaft, d. h. Pestizide und Nitrat, ins Grundwasser wirksam und langfristig zu verringern?

AH: Die Stoffeinträge aus der Landwirtschaft sollten vor allem in den Zuströmbereichen von Trinkwasserfassungen deutlich reduziert werden. Hier geht es einerseits um die schon erwähnte Bewilligungspraxis für Pflanzenschutzmittel und andererseits um Anbaumethoden und Marketing. Konkret sollten im Zuströmbereich von Fassungen keine wasserlöslichen persistenten Stoffe und innerhalb der Schutzzonen überhaupt keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Bei erhöhten Nitratwerten im Grundwasser lässt sich der Eintrag wohl nur mit einem hohen Anteil von Dauergrünflächen im Zuströmbereich reduzieren.
Die landwirtschaftliche Produktion sollte vor allem in Zuströmbereichen auf eine Qualitätsstrategie setzen. Die Wahl der Methoden und Kulturen muss an die lokalen hydrogeologischen und Bodenverhältnisse angepasst sein, denn nicht jede Massnahme ist in jedem Gebiet gleich wirksam. Neben den Bauern sind aber auch die Konsumenten und die Grossverteiler vermehrt in die Verantwortung zu nehmen.
KS: Die Landwirtschaft in der Schweiz produziert alljährlich einen Stickstoff-Überschuss von mehr als 100 000 Tonnen. Das wirkt sich auch auf die Qualität des Grundwassers und damit aufs Trinkwasser aus. Der Nitratgehalt von naturnahem Grundwasser liegt unter 10 mg/l. Seit 15 Jahren sind keine Fortschritte mehr erzielt worden. Es braucht dringend neue Ansätze, um die Frachten zu reduzieren.

Der SVGW verlangt also eine generelle Regelung für Fremdstoffe im Zuströmbereich von Wasserfassungen. Welche Fremdstoffe sollen unter diese Regelung fallen?

AH: Alle toxikologisch kritischen und persistenten Fremdstoffe, allen voran Pflanzenschutzmittel und die darin verwendeten Hilfsstoffe. Dabei geht es nicht nur um Fremdstoffe aus der Landwirtschaft, sondern auch um solche aus Privatanwendungen (Stichwort: Hobbygärtnerei) sowie um Stoffe, die im Bereich von Verkehrsanlagen angewendet werden. Fremdstoffe, beispielsweise aus Arznei-, Hygiene-, Putz- und Reinigungsmitteln, werden ausserdem über die Kanalisation in Gewässer eingebracht, die wiederum in Wechselwirkung mit dem Grundwasser stehen. Oft sind die Konzentrationen der Fremdstoffe im Abwasser an der Quelle um Faktoren höher als schlussendlich im Trinkwasser. Die Entfernung dieser Stoffe an der Quelle ist technisch einfacher und damit kostengünstiger umzusetzen als nach einer 100-fachen Verdünnung. Dies ist volkswirtschaftlich sinnvoller und zudem wird dadurch die gesamte Umwelt entlastet.

«Bei der Stoffzulassung werden die Weichen gestellt. Hier muss angesetzt werden! Zudem müssen vermehrt Zuströmbereiche samt zielgerichteten Massnahmen ausgeschieden werden.»

Bei Messungen kann in der Regel nur das nachgewiesen werden, wonach gesucht wurde. Bei der Vielzahl an eingesetzten Pestiziden und anderen Fremdstoffen, brauchen Wasserversorger wie auch kantonale Gewässerschutzfachstellen gute Informationen, um zielgerichtet zu suchen. Sind diese Informationen verfügbar und wo lassen sie sich finden?

MK: Die Verkaufsstellen entsprechender Produkte verfügen über die Daten und Informationen. In Dänemark kann jeder Sack Kunstdünger «getrackt» werden. Da bietet die Digitalisierung einiges an Verbesserungspotenzial. Ebenso sollten Daten aus der Zulassung verwendet werden dürfen.
KS: Dank dem AP PSM wird uns Kantonen vermehrt Einblick in die Zulassung gewährt. Dadurch müssen wir nun weniger im Trüben fischen. Weitere Transparenz ist aber dringend nötig, ebenso sind die Zuständigkeiten neu zu regeln. Ich hoffe, dass der kürzlich gefällte Bundegerichtsentscheid, dass Umweltorganisationen ein Beschwerderecht bei der Zulassung von Pestiziden erhalten, weitere Transparenz schafft.

Welche Strategie verfolgt der SVGW, um – über die Aktivitäten rund um die Trinkwasser-Initiative hinaus – all seine Anliegen im Bereich Trinkwasserressourcenschutz an den richtigen Stellen, also vor allem in der Politik einzubringen?

MK: Der SVGW verfolgt eine zielgruppenspezifische Kommunikation. Zur Information und Sensibilisierung stellt der SVGW für ausgewählte Themen Positionspapiere zur Verfügung. Gezielt werden auch Politiker und Behörden über spezifische Themen, Vernehmlassungen und Veranstaltungen informiert, wie z. B. am nationalen Fachaustausch «Trinkwasserschutz und Agrarpolitik 22» am 7. Juni in Solothurn. Ausserdem versuchen wir, Jugendliche für das Thema Wasser zu interessieren. Hier arbeiten wir mit professionellen Akteuren zusammen, die speziell im Bereich der Schulen tätig sind.

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