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30. November 2018

André Olschewski im Interview

«Wir dürfen die Nitratproblematik nicht aus den Augen verlieren»

In den Medien stehen derzeit die Belastungen der Gewässer und der Umwelt durch Wirkstoffe aus Pflanzenschutzmitteln (PSM) und deren Abbauprodukte im Mittelpunkt. Aber erhöhte Nitratgehalte im Grundwasser, das als Trinkwasserressource genutzt wird, sind in vielen Regionen ein ebenso wichtiges Thema. André Olschewski, Leiter Wasser beim SVGW, beantwortet Fragen zur aktuellen Situation in der Schweiz.
PSM in Gewässern sind derzeit ein viel diskutiertes Thema. Besteht denn mit Nitrat im Grundwasser nun ein neues Problem in der Schweiz?

Nein, die Nitratbelastung im Grundwasser kennen leider viele Wasserversorger schon seit Langem, und weite Teile der Schweiz sind davon betroffen. Seit Jahren finden wir neben den PSM und deren Abbauprodukten im Grundwasser auch Nitrat in erhöhten Konzentrationen. Intensive Landwirtschaft verursacht vielerorts diese Verunreinigung der natürlichen Wasserressourcen. So lagen 2013 in Ackerbaugebieten an rund 45 Prozent der Messstellen, an denen Zustand und Entwicklung der Grundwasserressourcen im Rahmen der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA des Bundes erfasst werden, die Nitratgehalte im Grundwasser deutlich über dem Anforderungswert von 25 mg/l. Dieser Wert wurde in der Gewässerschutzverordnung im Sinne der Vorsorge definiert.

An 13 Prozent der Messstellen wurden im Grundwasser sogar Konzentrationen nachgewiesen von über 40 mg/l, dem in der Trink-, Bade- und Duschwasserverordnung (TBDV) definierten Höchstwert für Trinkwasser. In den letzten Jahren zeigten die Messwerte an einigen Stellen dank Massnahmen in der Landwirtschaft zwar eine fallende Tendenz auf, aber es gibt immer noch viel zu tun.

«Die höchsten Nitratwerte werden in Gebieten mit intensivem Ackerbau festgestellt, d. h. im Mittelland, wo auch die Grundwasserleiter zu finden sind, die für die Wasserversorgung am wichtigsten sind.»

Gibt es regionale Unterschiede?

Es gibt klare Unterschiede: Die höchsten Nitratwerte werden in Gebieten mit starker Ackerbautätigkeit festgestellt, d. h. vor allem im Mittelland, wo auch die Grundwasserleiter zu finden sind, die für die Trinkwasserversorgung am wichtigsten sind. Wir haben es hier also mit einem klassischen Nutzungskonflikt zu tun. Wegen des hohen Einsatzes von Düngemitteln – vor allem Kunstdünger und Gülle – ist die Landwirtschaft der dominierende Verursacher der Stickstoffbelastungen im Untergrund.

Gibt es aktuelle Beispiele fĂĽr Vorkommnisse oder hohe Nitratbelastungen, die von den Medien aufgegriffen wurden?

Da gibt es einige Beispiele: Erst kürzlich gingen die Kreuzlinger Nachrichten der Frage nach: «Wie viel Mist ist in unserem Wasser?» Die Freiburger Nachrichten berichteten über ein Nitratprojekt in Gurmels und die Aargauer Zeitung griff das Thema «Zu hoher Nitratgehalt in Wohlen» auf. Auch das Fernsehen SRF präsentierte ein Nitratprojekt im aargauischen Birrfeld oder stellte ganz allgemein die Frage: «Zu viel Dünger in unserem Trinkwasser?»

Was bedeuten diese Nitratbelastungen des Grundwassers fĂĽr die Trinkwasserversorgung?

Trinkwasser ist ein Lebensmittel und muss daher die Anforderungen der TBDV erfüllen und den Höchstwert für Nitrat einhalten. Dieser Höchstwert wurde humantoxikologisch hergeleitet. Deshalb darf Wasser, wenn dieser Wert überschritten wird, nicht mehr als Trinkwasser an die Kunden abgegeben werden.

Die chemisch-physikalischen Abbau- und Verdünnungsprozesse im Untergrund laufen in der Regel langsam ab; es handelt sich um recht träge Prozesse. Treten innerhalb des Zuströmbereichs einer Fassung im Grundwasser hohe Nitratwerte auf, so ist es leider gut möglich, dass diese Verschmutzung über Jahre bis Jahrzehnte hinweg bestehen bleibt und die Versorgung während langer Zeit belastet. Sollte sich die Bewirtschaftung im Zuströmbereich ändern und sogar intensiviert werden, könnten die Nitratkonzentrationen im Grundwasser steigen.

Wasserversorger ohne Alternativen mĂĽssten also aufgeben?

Ja, das wäre zu befürchten. Für Versorgungen ohne alternative Wasserbezugsquellen würde dies einen Unterbruch ihrer Versorgungsleistungen bedeuten. Für die Gemeindeverantwortlichen, aber auch für den Vollzug ist dies ein Schreckensszenario!

Gibt es Möglichkeiten, nitratbelastetes Wasser aufzubereiten?

Technisch gesehen ist eine Aufbereitung möglich; es gibt verschiedene Verfahren zur Nitratentfernung. Solch ein Aufbereitungsschritt ist aber aufwendig und teuer. Gemäss Studien aus Deutschland verursacht die Nitratelimination Mehrkosten von bis zu 60 Prozent. Diese würden sich dann natürlich im Wasserpreis niederschlagen.

End-of-Pipe-Massnahmen wie eine Aufbereitung sind Notmassnahmen, auf die nur in Ausnahmesituationen zurückgegriffen werden sollte. Zudem handelt es sich um reine Symptombekämpfung. Im Sinne der Vorsorge und des grundsätzlichen Verschmutzungsverbotes des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) ist daher das Problem an der Wurzel zu packen: Massnahmen des Gewässerschutzes müssen konsequent umgesetzt werden. Dabei werden wir nicht umhinkommen, zumindest in sensiblen Bereichen den Stickstoffeinsatz deutlich zu reduzieren.

Welche weiteren Möglichkeiten stehen Versorgern zur Ver­fügung, falls eine Aufbereitung nicht infrage kommt?

Der Versorger könnte Wasser aus verschiedenen Quellen mischen, Wasser von benachbarten Versorgungen hinzuziehen oder an einem geeigneten, unbelasteten Standort eine neue Fassung errichten. Solche geeigneten Standorte sind aber immer weniger verfügbar. Zudem sind all diese Optionen relativ kostenintensiv.

 

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Wie viele Fassungen sind in der Schweiz denn effektiv von hohen Nitratgehalten betroffen?

Bis heute gibt es keine zentrale Sammlung der Daten von Fassungen, die erhöhte Nitratgehalte aufweisen. Diese Daten liegen nur auf Ebene der Kantone vor. Eine einfache Recherche in der aktuellen Medienberichterstattung brachte aber ein beunruhigendes Bild zutage: Nicht nur ist das Grundwasser an vielen Orten mit Nitrat erheblich belastet, in den letzten zehn Jahren mussten auch einige Fassungen geschlossen werden. Es ist leider nicht auszuschliessen, dass in Zukunft weitere Fassungen wegen Nitratbelastung geschlossen werden müssen.

Wo in der Schweiz liegen diese Fassungen?

Betroffen ist vor allem das Mittelland, wo der Ackerbau stark vertreten ist. Das Problem der zu hohen Nitratwerte tangiert nicht nur kleinere ländliche Gemeinden, sondern auch mittlere Versorgungen wie Worb im Kanton Bern, das aargauische Wohlen oder Murten im Kanton Fribourg. Hier ist eine Aufhebung von Fassungen schon erfolgt oder steht demnächst an.

Schwarzmalerei oder eine wirklich problematische Situation?

Es ist eine problematische Situation. Als Folge von Verunreinigungen müssen wohl etliche Fassungen neu geplant und gebaut werden, was Investitionen von mehreren Millionen Franken nach sich zieht, oder es müssen neue Verbundlösungen gefunden und geprüft werden. Leider sind aber – wie bereits erwähnt – geeignete Standorte, an denen rechtskonforme Grundwasserschutzzonen ausgeschieden werden können, wegen der Ausweitung von Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrsflächen vielerorts nicht mehr vorhanden. Wir haben also neben der Nitratbelastung im Grundwasser auch das Problem, dass der ausreichende planerische Schutz von Fassungen oft verpasst wurde bzw. vor allem im Mittelland sich immer schwerer umsetzen lässt.

Gibt es dafĂĽr Beispiele?

Ein komplizierter Fall einer massiven Nitratbelastung liegt im westlichen Gebiet des solothurnischen Gäu bis über die Grenze zum Kanton Bern hin vor, wo intensiv Gemüse angebaut wird. In einem Teil dieser Region läuft seit 2000 das Nitratprojekt Gäu-Olten, das vom Kanton Solothurn, dem Bund, den vier regionalen Wasseranbietern und der Landwirtschaft getragen wird. Durch die Umwandlung von Ackerflächen in Wiesen sowie die angepasste Bewirtschaftung der Ackerflächen soll die Nitratauswaschung ins Grundwasser reduziert werden. Dieses Projekt gehört zu den Sanierungsprojekten nach Artikel 62a GSchG.

Im benachbarten Niederbipp (Kt. BE) musste vor einigen Jahren die Grundwasserfassung Niederfeld wegen Nitratgehalten, die den Höchstwert der TBDV deutlich überschritten, aufgegeben werden. Seither bezog Niederbipp das gesamte Trinkwasser vom Grundwasserpumpwerk Moos in der Nachbargemeinde Oensingen. Bisher funktionierte das sehr gut. Aber wegen Bauvorhaben in der Schutzzone S2 des Pumpwerks Moos und bereits bestehender Bauten am Rand dieser, geriet auch die Wassergewinnung in dieser Fassung unter Druck. Da es in Oensingen an geeigneten Alternativen mangelt, wird die Suche nach einer Ersatz- bzw. Ergänzungslösung zu einer grossen Herausforderung. Für Niederbipp wird der Druck noch grösser.

Wie sollten die Wasserversorgungen solche komplexen Themen wie die Nitrat- oder PSM-Problematik angehen?

Wasserversorgungen als Lebensmittelbetriebe müssen per gesetzlichem Auftrag die Selbstkontrolle auf Basis eines risikobasierten Ansatzes durchführen. Dabei sind alle relevanten Gefährdungen zu berücksichtigen, auch solche in den Schutzzonen und im Zuströmbereich. Es ist daher zu erwarten, dass die Wasserversorgungen in Zukunft vermehrt die Risiken, die sich aus stofflichen Verunreinigungen im Zuströmbereich und in den Schutzzonen ergeben, thematisieren und bei den Kantonen die Umsetzung der Gewässerschutzgesetzgebung anmahnen müssen. Falls möglich, können Versorger auch versuchen, das Land im Zuströmbereich zu erwerben, um dort die Bewirtschaftung vorzugeben.

Die Frage der Versorgungssicherheit ist von den Gemeinden im Rahmen der Generellen Wasserversorgungsplanung (GWP) anzugehen. Bisher gibt es weder auf Bundesebene noch in allen Kantonen eine gesetzlich verankerte Verpflichtung zur Ausarbeitung einer GWP. Wir empfehlen dennoch allen Wasserversorgern, eine GWP zu machen, auch wenn der Kanton dies nicht fordert. Deshalb erarbeitet der SVGW gerade die Empfehlung W1011 «Muster-GWP», die im Laufe des nächsten Jahres erscheinen soll.

Mit welchen Forderungen wendet sich der SVGW an Bund und Kantone, um den Grundwasserschutz zu stärken?

Die engere räumliche Verzahnung von Nutzungen sowie das vermehrte Auftreten kritischer Fremdstoffe führen zu immer komplexeren Nutzungskonflikten und Herausforderungen. So umfassen die heutigen und zukünftigen Herausforderungen, die mit dem Schutz der Trinkwasserversorgung verbunden sind, sowohl planerische als auch qualitative Aspekte. Zur Lösung dieser Herausforderungen erachten wir zusätzliche Schritte und Vorgaben seitens Kantone und Bund als notwendig: Die Kantone sollten die regionalen Planungen der Trinkwasserversorgung an die Hand nehmen und Lösungen für drängende Nutzungskonflikte erarbeiten. Dazu gehört insbesondere, für regional wichtige wie auch für belastete Trinkwasserfassungen Zuströmbereiche auszuscheiden und in diesen lokal abgestimmte Massnahmen festzulegen und durchzusetzen. Zudem sollten die Kantone das Instrument der Grundwasserschutzareale als Vorsorgemassnahme vermehrt einsetzen.

Der Bund sollte die notwendigen gesetzlichen Ergänzungen vornehmen, um die Kantone beim Vollzug besser zu unterstützen und diesen näher zu begleiten. Ausserdem sind die Kantone bei der Erarbeitung der Grundlagen und Umsetzung der Massnahmen finanziell zu entlasten. Paralell dazu sind Ansätze, die dem Verursacherprinzip Rechnung tragen, vorzubereiten.

Und noch zu den Landwirten: Zahlreiche Bauern investieren bereits viel Energie, um von sich aus den Einsatz von PSM und Nitrat zu reduzieren. Gute Beispiele hierfür sind das Berner Pflanzenschutzprojekt und der Ansatz «Von Bauern für Bauern». Solche Projekte sind zu fördern und in anderen Teilen des Landes bekannt zu machen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Wasserversorgungen in der Schweiz?

Generell lässt sich sagen, dass die Trinkwasserqualität in der Schweiz sehr gut ist. Lokal sind allerdings einige Trinkwasserressourcen mit Fremdstoffen belastet, was die betroffenen Versorgungen vor grosse Herausforderungen stellt. PSM und Nitrat sind die Stoffe, bei denen sich die Herkunft relativ gut benennen lässt, sodass an der Quelle Massnahmen ergriffen werden können. Die Hauptquelle ist sicher die Landwirtschaft, aber auch Privatgärten und die Bewirtschaftung von öffentlichen Plätzen und Böschungen von Verkehrswegen verursachen Grundwasserverunreinigungen. Da die Prozesse im Grundwasser meist langsam ablaufen, müssen die nötigen Gewässerschutzmassnahmen umgehend an die Hand genommen werden.

Wasserressourcen können nicht nur mit Nitrat und/oder PSM verunreinigt sein, sondern natürlich auch mit einer Vielzahl anderer Fremdstoffe, darunter auch Stoffe, für die es noch keinerlei gesetzliche Regelungen gibt. Ich möchte hierbei nur Mikroverunreinigungen wie Arzneimittelrückstände oder Korrosionsinhibitoren, Mikroplastik und Nanopartikel nennen. Die gezeigten Beispiele machen deutlich, dass es sehr kurzsichtig ist, die Fremdstoffproblematik in Trinkwasserressourcen nicht dauerhaft und an der Quelle anzugehen. Wenn wir den nachfolgenden Generationen eine nachhaltige Wasserversorgung überlassen wollen, für die Trinkwasser aus naturnahen Ressourcen gewonnen wird, so müssen wir heute konsequenter denn je den vorsorglichen Ressourcenschutz und den planerischen Grundwasserschutz umsetzen. Der SVGW setzt sich genau dafür ein.

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