Wie kaum zuvor werden 2022 in der Schweizer Wasserpolitik die Zielkonflikte zwischen Nutzung und Schutz von Wasser und Gewässern derart offenkundig. So führen die anhaltend hohen Temperaturen und Trockenheit von Juni bis August nicht nur zu tiefen Wasserständen, zu warmen Gewässern und zu einer hohen Waldbrandgefahr, sondern auch zu parlamentarischen Vorstössen für Einsparungen oder optimierte Nutzung der Wasserressourcen. Mit dem Grundlagenbericht «Wasserversorgungssicherheit und Wassermanagement» schlägt der Bundesrat den Kantonen Massnahmen vor. Dazu gehören ein regionales Wassermanagement einzuführen und den Wasserverbrauch für die Landwirtschaft besser zu erfassen.
Das Augenmerk auf einen verbesserten Grundwasserschutz kann auf die zwei Volksinitiativen von 2021, auf die erhöhten Konzentrationen von Abbauprodukten des verbotenen Pestizids Chlorothalonil und auf den Bericht der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission zum mangelhaften Vollzug zurückgeführt werden. Mit ihrem Bericht über die zu hohen Stickstoffverluste sorgen auch die Umweltverbände dafür, dass die Thematik nicht rasch wieder in den Schubladen verschwindet.
Im Fall der ewigen Chemikalien (forever chemicals) lassen sich zwei Auslöser ausmachen: Zum einen sind es neue Erkenntnisse über deren Toxizität, namentlich der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) sowie der daraus folgende Vorschlag von fünf Staaten der Europäischen Union (EU), sämtliche PFAS in der EU zu verbieten. Zum anderen ist es die hohe Präsenz des Themas in den Medien.
Die Sorge um eine drohende (Winter-)Stromlücke schliesslich führt zu grossem Druck, die Schweizer Wasserkraft noch weiter auszubauen. Die Politik will dazu optimale Rahmenbedingungen schaffen. Dass dabei Zielkonflikte zum Gewässer- und Landschaftsschutz akzentuiert werden, liegt auf der Hand.
Der Artikel gibt einen groben Überblick über politische Ereignisse und Debatten zum Thema Wasser und Gewässer im Jahr 2022. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere die im Abschnitt zu den Kantonen aufgeführten Punkte, sind als Beispiele zu verstehen.
Am 25. September 2022 verwirft das Schweizer Stimmvolk die Massentierhaltungsinitiative mit 63% Nein-Anteil. Von den Kantonen kommt nur aus Basel-Stadt ein Ja. Das Volksbegehren wollte eine bodenabhängige Landwirtschaft mit weniger Nährstoffüberflüssen.
Ende September beschliesst der Bundesrat eine bis Ende April 2023 befristete Notverordnung zur Herabsetzung von Mindestrestwassermengen, um mehr Strom aus Wasserkraft produzieren zu können bei einer grossen Strom-Mangellage. Im erläuternden Bericht wird eingeräumt, dass die Massnahme Auswirkungen auf die Umwelt hat, u.a. auf die Fischwanderung und möglicherweise auf die Reproduktion einzelner Fischarten. Die Verordnung wird bereits per Ende März 2023 vorzeitig ausser Kraft gesetzt, da die Stromversorgungslage stabil ist. Auf Grundlage derselben Verordnung prüfen die Kantone, ob an gewissen Orten mehr Strom produziert werden kann mit höheren Staukoten. Umgesetzt wird das unter anderem am Aarekraftwerk in Ruppoldingen, Kanton Solothurn. Auch Reglemente von Seeregulierungen werden mit demselben Ziel hinterfragt. So beschliesst der Zürcher Regierungsrat einen höheren Stand des Zürichsees vom November bis Mitte Februar, so wie er nach Reglement sonst nur im Sommer vorgesehen ist. Im Fall des Genfersees wird dazu an einem neuen Abkommen mit Frankreich gearbeitet.
Weniger um die Energieproduktion als mehr um den Rückhalt von Wasser zur Bewässerung in der Poebene geht es bei der Regulierung des Lago Maggiore. Das Tessin befürchtet einen Verlust seiner Strände, eine Beeinträchtigung von Feuchtgebieten und ein grösseres Hochwasserrisiko, wenn Italien den See im Sommer dauernd höher hält als bisher mit der Schweiz vereinbart. Bruno Storni (SP/TI) reicht dazu im Nationalrat eine Interpellation (22.3060) ein. Der Bundesrat verspricht in der Antwort vom 4. Mai, dass mit Italien verhandelt werde und eine dauernde Pegelerhöhung nur nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung in Betracht komme.
Am 13. April 2022 verabschiedet der Bundesrat ein Verordnungspaket für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft, u.a. mit Anpassungen der Direktzahlungsverordnung sowie der Verordnung über die Beurteilung der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Damit soll ein erster Teil der parlamentarischen Initiative (19.475) «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» umgesetzt werden. Das Inkrafttreten ist grösstenteils für Januar 2023 vorgesehen. Der darin vorgesehene Absenkpfad für Stickstoffverluste um 20% bis 2030 wird im Parlament bekämpft.
Am 16. November verabschiedet der Bundesrat die revidierte Pflanzenschutzverordnung (PSMV). Wie im Aktionsplan Pflanzenschutz vorgesehen schränkt sie die Zahl der Mittel für die nicht berufliche Anwendung ein, wenn diese für Wasserorganismen oder Bienen besonders giftige Wirkstoffe enthalten. Sie tritt auf den 1. Januar 2023 in Kraft. Gleichzeitig beschliess der Bundesrat auch eine Änderung der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV): Sie verlangt neu, dass Pflanzenschutzmittel von beruflichen Anwenderinnen und Anwendern nur gekauft werden dürfen, wenn sie eine gültige Fachbewilligung haben. Um die Fachbewilligung zu erlangen, müssen Anwenderinnen und Anwender entsprechende Kurse besuchen und Prüfungen bestehen. Die Änderung soll ab 2026 gelten.
Am 16. Dezember verabschiedet der Bundesrat die revidierte Gewässerschutzverordnung mit neuen Kriterien, wann die Zulassung eines Pestizids überprüft werden muss. Die ursprünglich in derselben Verordnungsanpassung geplante Beschleunigung der Ausscheidung von Grundwasserschutzzonen hat der Bundesrat verschoben bzw. will das mit den anderen Aufträgen des Parlaments zum Grundwasserschutz zusammenführen. Die revidierte Verordnung tritt am 1. Februar 2023 in Kraft.
Zahlreiche wasser- und gewässerrelevante Vorstösse werden 2022 abgeschrieben, da sie nicht innert zwei Jahren im Parlament behandelt werden konnten. Die Antworten des Bundesrats sind dennoch aufschlussreich, denn die Themen tauchen später oft wieder auf. Einige Beispiele: Mit einer Interpellation (20.4699) thematisiert Gerhard Pfister (Mitte/ZG) schädliche Emissionen im Ausland durch PFAS-Exporte. Der Bundesrat beruft sich auf die strengen Bedingungen für Ausfuhrbewilligungen.
Mit ihrer Motion (20.4233) «Plastiklittering durch Betreiber von Wasserkraftwerken stoppen» will Gabriela Suter (SP/AG) Kraftwerke zur Triage von Schwemmgut verpflichten. Der Bundesrat verweist auf seinen Bericht «Kunststoffe in der Umwelt» und Massnahmen, die er daraus ableiten will.
Kurt Fluri (FDP/SO) verlangt per Motion (20.4154), dass bei Restwasserfragen vor dem Hintergrund des Klimawandels nicht nur das Potential der Wasserkraft, sondern auch Potential der Solarenergie rechtsgleich berücksichtigt werde. Der Bundesrat lehnt ab. Die Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes für neue und neu zu konzessionierende Kraftwerke würden ausreichen und hätten sich bewährt.
Claudia Friedl (SP/SG) fordert mit der Interpellation (20.4079) eine Strategie gegen die Ausbreitung der invasiven Quaggamuschel. Der Bundesrat verweist auf eine geplante Ergänzung des Umweltschutzgesetzes. Aktuell ist diese allerdings auf unbestimmt verschoben.
Baptiste Hurni (SP/NE) will mit einer Motion (20.3125) den Bund verpflichten, die Berufsfischerei zu stützen, die einen sehr schweren Stand habe. Dem widersprach der Bundesrat nicht. Eine Unterstützung sei jedoch zum grossen Teil Sache der Kantone. Der Nationalrat teilt diese Ansicht und lehnt den Vorstoss am 16. März ab.
Der Nationalrat nimmt am 27. September entgegen der Haltung des Bundesrats das Postulat (20.4087) von Christophe Clivaz (Grüne/VS) an. Es verlangt einen Bericht über Folgen und Massnahmen im Zusammenhang mit (zu) hohen Konzentrationen von Cholorthalonil-Metaboliten im Grundwasser.
Der Nationalrat nimmt am 8. Dezember zwei Motionen (22.3873, 22.3874) und ein Postulat (22.3875) seiner Geschäftsprüfungskommission an. Danach soll der Bundesrat den Kantonen verbindliche Fristen setzen für die Umsetzung des Grundwasserschutzes mit rechtskräftigen Schutzzonen und Zuströmbereichen (planerischer Grundwasserschutz). Ausserdem soll er auch Instrumente zur Aufsicht und für Interventionen schafften und Anpassungen an den bisher nur bedingt erfolgreichen Gewässerschutzprogrammen gemäss Art. 62a des Gewässerschutzgesetzes prüfen. Auch der Bundesrat beurteilt diese Anliegen insgesamt als treffend, es würden bereits Arbeiten laufen.
Sehr langlebige fluorierte Alkylverbindungen (PFAS) und andere «ewige» Chemikalien werden zunehmend im Grundwasser gefunden. Teils weil ihr Einsatz tatsächlich zunimmt, teils weil die Analytik immer tiefere Konzentrationen nachweisen kann. Zum Thema in den Medien und der Politik werden die «ewigen» Chemikalien auch, weil neue Erkenntnisse die Schwellen für deren Toxizität deutlich reduzieren, teilweise um den Faktor 100. Am 12. Dezember nimmt der Ständerat die Motion (22.3929) von Marianne Maret (Mitte/VS) an. Damit sollen Grenzwerte für PFAS in verschiedene Erlasse aufgenommen werden (Gewässerschutz-, Abfall- und Altlastenverordnung). Der Bundesrat will PFAS-Werte aus dem Grundwassermonitoring NAQUA schon 2023 publizieren und Werte aus einer 2023 durchgeführten Kampagne zur Trifluoressigsäure (TFA) dann 2024. TFA gehört auch zu den PFAS und stammt aus Produktionsprozessen, aber auch aus Arzneimitteln, Pestiziden und Kälte- und Treibmitteln. Es ist sehr mobil in der Umwelt und reichert sich in Nahrungsmitteln an.
Weil möglicherweise die Gesundheit der Menschen betroffen ist, löst dies mehrere Vorstösse aus: Tiana Moser (GLP/ZH) verlangt am 16. Dezember mit einem Postulat einen Aktionsplan zur Belastungsreduktion von Mensch und Umwelt durch langlebige Chemikalien (22.4585). Der Bundesrat ist bereit, einen solchen Plan zu prüfen. Aline Trede (Grüne/BE) fragt in ihrer Interpellation (22.4233) «Wann werden forever chemicals in der Schweiz verboten?» (am 16. Dezember erledigt). Nik Gugger (Mitte/ZH) fordert in einer Interpellation (22.4228) nationale Massnahmen zur Verhinderung weiterer Trifluoracetat-Ansammlungen im Wasser. Ursula Schneider Schüttel (SP/FR) möchte mit einer Interpellation (22.4165) die Persistenz bei der Zulassung von Chemikalien besser berücksichtigen.
Mehrere Vorstösse versuchen, Ziele abzuschwächen, die der Bundesrat in Erfüllung der Parlamentarischen Initiative 19.475 im Verordnungspaket «für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft» festgelegt hat. Knapp angenommen wird am 14. Dezember schliesslich nur die Motion (22.3795) von Johanna Gapany (FDP/FR). Sie verlangt einen bescheideneren Absenkpfad für Stickstoffverluste, da ansonsten Tierbestände reduziert werden müssten. Das bis 2030 vom Bundesrat eingesetzte Ziel wird nun voraussichtlich von minus 20% auf minus 15% geändert. Ähnliches verlangt auch eine Motion (21.3004) aus der ständerätlichen Wirtschaftskommission, wonach die Absenkziele für Nährstoffe «an die Realität in der Praxis angepasst» werden sollen. Sie wird schon im März, ebenfalls entgegen dem Antrag des Bundesrats, angenommen.
Céline Vara (Grüne/NE) verlangt mit einer Interpellation (22.4595) eine Verbesserung der Wasserqualität und des generellen Zustands im Doubs, insbesondere eine Reaktivierung der schweizerischen-französischen Zusammenarbeit: Die Fische im Doubs seien krank, begründet Vara.
Der Nationalrat möchte in pestizidbelasteten Gebieten Wasserversorgungsunternehmen unterstützen, damit diese Sanierungsmassnahmen umsetzen oder Aufbereitungsinfrastruktur erstellen können. Am 17. März nimmt er dazu eine Motion (20.3052) von Kurt Fluri (FDP/SO) gegen den Willen des Bundesrats an. Eine sehr ähnlich lautende Motion (20.3022) von Felix Wettstein (Grüne/SO) wird abgelehnt.
Eine Interpellation (22.4040) von Martin Harb (SVP/ZH), der eine Unterscheidung in unvermeidbare und vermeidbare Stickstoff-Verluste wünscht, beantwortet der Bundesrat kritisch: Auch unvermeidbare Stickstoffverluste würden die Umwelt belasten, schreibt er in seiner Stellungnahme.
Die Motion (20.4579) von Maya Graf (Grüne/BL) an, wonach Pflanzenschutzmittel, die für Menschen, Insekten oder Gewässerlebewesen toxisch sind, in der nichtberuflichen Anwendung verboten würden, nimmt der Nationalrat am 14. September an. Das Parlament schwächt den Auftrag aber ab: Eine nichtberufliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln soll für private Anwenderinnen und Anwender möglich bleiben, wenn diese eine entsprechende Ausbildung dazu vorweisen können. (Anmerkung: Diese Kurspflicht wird im März 2023 vom Ständerat gestrichen. Die für Private zugelassenen Stoffe seien mit der Revision der Pflanzenschutzmittelverordnung ausreichend reguliert, lautet die Begründung.)
Am 18. März erledigt der Nationalrat die Interpellation (21.4568) von François Pointet (GLP/VD) «Droht Knappheit an sauberem Wasser?» Die Antwort des Bundesrats gibt eine Tour d’Horizon der laufenden Projekte. Wichtig, so der Bundesrat, seien der konsequente Vollzug der Vorschriften des Gewässerschutzgesetzes und der Gewässerschutzverordnung. Explizit erwähnt werden der Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, die geplante Verbesserung des Trinkwasserschutzes durch die Bestimmung von Zuströmbereichen sowie der weitere Ausbau der Abwasserreinigung in Bezug auf die Entfernung von Mikroverunreinigungen und Stickstoff.
Weitere Vorstösse drehen sich – angesichts des sehr heissen und trockenen Sommers 2022 – nicht nur um die Qualität, sondern um die Menge und multifunktionale Nutzung des Wassers, so die Motion (22.4219) von Benjamin Roduit (Mitte/VS): Daten für ein integrales Wassermanagement auf der Grundlage der multifunktionalen Wassernutzungen. Die Interpellation (22.4173) von Céline Weber (GLP/VD): Wann kommt die kohärente Strategie für die Schweizer Wasserversorgung? Und diejenige von Céline Vara (Grüne/NE): Wir müssen das Wasser, diese lebenswichtige Ressource, besser bewirtschaften (22.4127). Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR) sorgt sich mit einem Postulat (22.4168) Ende September um die Wasserversorgung für die Bergland- und Alpwirtschaft. Delphine Klopfenstein (Grüne/GE) verlangt mit einer Motion eine verbesserte Information bei Wasserstress (22.4488): Wasserstress. So rasch wie möglich warnen!
Der Nationalrat lehnt am 9. Juni die parlamentarische Initiative (21.409) von Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) ab, wonach alle Seeufer mit öffentlichen Wegen zu erschliessen seien, allerdings mit Vorrang für die ökologische Aufwertung der Ufer.
Am 14. Dezember nimmt der Nationalrat die Motion (21.3804) von Martin Schmid (FDP/GR) an: Landwirtschaftsland soll gegen Alpland (Sömmerungsland) abgetauscht werden können. Der Motionär hofft, damit mehr Flexibilität zu erzielen, u.a. zur Ausscheidung von Gewässerraum. Der Bundesrat lehnt das Ansinnen ab, da er eine intensivierte Bewirtschaftung von Alpflächen nicht fördern will und da es zu einer Ungleichbehandlung zwischen Berg- und Mittellandkantonen käme. Gleichentags lehnt der Rat die Motion (22.3610) von Beat Rieder (Mitte/VS) ab, wonach der minimale Anteil von Biodiversitätsflächen aus dem ökologischen Leistungsnachweis gestrichen und für Direktzahlungen an Landwirte nicht mehr erforderlich wäre. Auch Céline Vara (Grüne/NE) thematisiert mit ihrer Motion (22.4596) den Zusammenhang zwischen finanziellen Anreizen und deren Auswirkungen auf Biodiversität und Klima. Sie verlangt vom Bundesrat eine systematische Überprüfung aller Subventionen in dieser Hinsicht. Der Bundesrat lehnt den Vorstoss ab – einen Bericht und allfällige Reformvorschläge stellt er auf Ende 2024 in Aussicht. Am 12. Dezember lehnt der Nationalrat fünf gleichlautende Parlamentarische Initiativen ab (u.a. 21.440), wonach Natur- und Umweltschutz in der Bundesverfassung gestärkt werden sollen, u.a. mit einem Recht des Menschen auf eine gesunde Umwelt.
Der Nationalrat nimmt am 17. März die Motion (21.3974) von Jacques Bourgois (FDP/FR) «Analyse des Wasserkraftpotenzials der Gletscherschmelze» an. Hintergrund ist u.a. das von Eawag und Swisstopo präsentierte Inventar von rund 1’200 neuen Gletscherseen, die seit 1850 entstanden sind.
Am 30. September beschliesst das Parlament einen mit maximal zehn Milliarden Franken dotierten Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmen. «Subsidiäre Finanzhilfen zur Rettung systemkritischer Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft» (22.031).
Im Herbst beginnt die Beratung mehrerer Vorlagen mit Bezug zu einem intensivierten Weiterausbau der inländischen Wasserkraft. Die wesentlichen Auslöser dazu sind der beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie, der Umbau des Energiesystems auf nicht-fossile Energieträger, das fehlende Stromabkommen mit der EU und der Angriff Russlands auf die Ukraine. Vor dem Hintergrund einer drohenden Stromlücke im Winter geht es vor allem um die folgenden zwei Gesetze:
Die Zielkonflikte zwischen Versorgungssicherheit und Umwelt-/Gewässerschutz sind offensichtlich. Unter anderem soll das Interesse an Anlagen zur Steigerung der Winterstromproduktion allen anderen nationalen Interessen vorangestellt werden, auch dem Schutz von nationalen Biotopen. Und die Regeln zum Schutz minimaler Restwassermengen bei neuen Konzessionen sollen bis zum Erreichen der Zubauziele gänzlich ausser Kraft gesetzt werden. Die Parlamentsdebatte wird 2023 weitergehen. Ob es zu einer Referendumsabstimmung kommt, ist offen.
Der Bundesrat verabschiedet am 4. März die Botschaft zu einem indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative. Aufgrund energiepolitischer Erwägungen und kritischer Rückmeldungen der Energiebranche wird der Plan, aquatische Schutzgebiete für Fische und Krebse zu schaffen, verworfen. Im September ergänzt der Nationalrat den Vorschlag mit dem Instrument der Biodiversitätsgebiete. Im Dezember verlängert der Ständerat die Frist zur Behandlung der Initiative bis 2024.
Am 4. Mai stellt der Bundesrat den Länderbericht zur Umsetzung Agenda 2030 vor. Um die Qualität des Trinkwassers langfristig zu sichern, ist darin die Forderung enthalten, die Grundwasserfassungen besser vor Verunreinigungen durch Siedlungen und andere Bauten und Nutzungen zu schützen, namentlich durch raumplanerische Massnahmen. Das Grundwasser beschäftigt den Bundesrat im Weiteren mehrfach: Am 30.6. veröffentlicht die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats den Bericht Grundwasserschutz in der Schweiz. Die Kommission kritisiert darin das Vollzugsdefizit scharf und verlangt mit drei Vorstössen Gegenmassnahmen. Am 4. Oktober präzisiert der Bundesrat dann in seiner Stellungnahme an die GPK die geplanten Massnahmen, u.a. mit einer Verbesserung der Aufsicht und der planerischen Festlegung der Zuströmbereiche zu «regional wichtigen» Fassungen. Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) hat der Jurist Hans W. Stutz dazu ein Gutachten verfasst, das den Grundwasserschutz der Schweiz mit den Nachbarländern und der EU vergleicht. Einzelne Kantone verabschieden parallel dazu erste Bestandsaufnahmen und Massnahmenpakete. So untersucht z.B. der Thurgau wie mit den Nutzungskonflikten in Grundwasserschutzzonen umgegangen werden soll.
Am 18. Mai verabschiedet der Bundesrat den Grundlagenbericht Wasserversorgungssicherheit und Wassermanagement als Antwort auf die Postulate (18.3610) von Beat Rieder (Mitte/VS) und (20.3429) von Maya Graf (Grüne/BL). Unter anderem empfiehlt er darin den Kantonen, ein regionales Wassermanagement einzurichten und den aktuellen Wasserverbrauch umfassender zu messen. Namentlich die Datengrundlage zum Wasserverbrauch für die Landwirtschaft wird als mangelhaft kritisiert. Zwei direkt auf den Bericht bezugnehmende Motionen (22.4235) und (22.4236) von Aline Trede (Grüne/BE) und Benjamin Roduit (Mitte/VS), die eine verstärkte Nutzung von Regenwasser fordern, lehnt der Bundesrat am 23. November ab. Im Parlament sind sie noch nicht behandelt.
Aus der bundesrätlichen Antwort vom 13. Juni auf eine Anfrage (22.7506) von Isabelle Pasquier-Eichenberger (Grüne/GE) wird deutlich, wie schwierig der Verzicht auf gewisse an sich verbotene Pestizide ist: Mit Berufung auf eine Notfallsituation werden 2022 ein Herbizid, zwölf Fungizide und vierzehn Insektizide zugelassen.
Gleich vier Postulate von 2018 und 2019 beantwortet der Bundesrat am 23. September mit der Verabschiedung des fast 60seitigen Berichts: «Kunststoffe in der Umwelt». Die Regierung hält im Bericht fest, dass trotz guter Entsorgungssysteme in der Schweiz jährlich rund 14'000 Tonnen Makro- und Mikroplastik in die Umwelt gelangen, auch ins Wasser. Es gebe Verbesserungspotential, etwa in der Entwicklung von kreislauffähigen Materialien, aber auch durch Vermeiden von Einträgen, zum Beispiel beim Reifenabrieb.
Das BAFU stellt im Februar eine neue Praxishilfe (Arbeitsgrundlage) vor zu Schutz und Aufwertung von Quell-Lebensräumen. Diese meist kleinflächigen Lebensräume sind stark unter Druck. Die Sensibilisierung der Eigentümer, Nutzer und Akteure für diese Teile der ökologischen Infrastruktur ist daher besonders wichtig.
Ebenfalls im Februar präsentiert das BAFU ein neues Dossier: Rote Listen – Barometer der Artenvielfalt; es will die Frage «Wie gross ist das Risiko von Arten, in der Schweiz auszusterben?» beantworten. Im Februar 2023 folgt die überarbeitete Rote Liste der Fische und Rundmäuler.
Mitte Juni präsentiert das BAFU einen Bericht zu Regenwasser im Siedlungsraum; er zeigt Strategien und Massnahmen, wie mit zunehmenden Starkregenereignissen und dem Überschwemmungsrisiko umgegangen werden, und wie eine klimaangepasste und risikobasierte Siedlungsentwicklung erfolgen kann.
Ende Juni startet mit der Verankerung der ersten Messboje im Murtensee ein Pilotprojekt des Bundes und der Eawag zur online Temperaturüberwachung von Seen. Bisher umfasst das nationale Messnetz für Wassertemperaturen nur Fliessgewässer. Im Lauf von 2022 kommen Messbojen im Hallwilersee und Ägerisee dazu. Die Messreihen sollen die Entwicklung beobachten und eine Basis legen für Prognosen.
Im Herbst wird der Mangel an Fällmitteln für die Kläranlagen in der Schweiz und fast ganz Europa zum Politikum, da ohne ausreichende Fällung unter Umständen Phosphor-Einleitungsgrenzwerte überschritten werden. Die meisten Anlagen können sich aber mit Ersatzprodukten behelfen. Der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) erstellt dazu in Absprache mit dem BAFU ein Infoblatt mit Empfehlungen.
Im Februar präsentiert das BAFU neue Zahlen aus der nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA für 2020. Sie zeigen: Metaboliten von Pestiziden belasten das Grundwasser grossflächig mit mehr als 0,1 Mikrogramm pro Liter. Betroffen ist hauptsächlich das landwirtschaftlich intensiv genutzte Mittelland. Besonders weit verbreitet sind Metaboliten des Fungizids Chlorothalonil. In Ackerbaugebieten überschreiten sie an mehr als 80% der Messstellen 0,1 μg/l. Landesweit ist jede dritte Messstelle betroffen.
Das Bundesamt für Energie (BFE) stellt am 5. Mai die Wasserkraftstatistik 2021 vor: Im Berichtsjahr hat demnach die Produktionserwartung aller 682 Zentralen über 300 kW Leistung um 55 GWh zugenommen und betrug Anfang 2022 37'172 GWh. Eine ausserordentliche Korrektur betraf die Grande Dixence (+395 GWh), da dort mehr Wasser turbiniert wird, als bisher in der Statistik berücksichtigt. 20 Zentralen mit einer geplanten Jahresproduktion von 210 GWh standen 2021 im Bau. Am 16. Dezember veröffentlicht das BFE dann auch den Bericht: Energiestrategie 2050 - Fünfjährliche Berichterstattung im Rahmen des Monitorings. Im Bereich Wasserkraftnutzung hält der Bericht fest, dass zwischen 2000 und 2020 164 neue Wasserkraftanlagen (>300 kW Leistung) in Betrieb genommen wurden, 140 davon nach 2009, als die kostendeckende Einspeisevergütung eingeführt wurde.
Im Fall des Wasserkraftwerks Hallau an der Wutach befasst sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage, ob eine Restwassersanierung bei laufender Konzession weiter aufgeschoben werden kann, bis das Werk selbst erneuert und auch die Fischgängigkeit saniert ist. Die Frage wird bejaht, da die drei Verfahren voneinander abhängig seien, auch wenn klar ist, dass die zurzeit abgegebene Dotierwassermenge ungenügend ist (Urteil A-720/2021).
In einem Fall im Lötschental entscheidet das Bundesgericht im März gegen den Kanton Wallis und die beteiligten Gemeinden für mehr Restwasser (BGE 1C_401/2020): Die Herabsetzung der Mindestrestwassermenge erfordere eine besonders sorgfältige Abklärung sowie eine Interessenabwägung im Einzelfall, begründet das Gericht. Es dürfe nicht nur auf Fische abgestützt werden, auch andere Arten müssen berücksichtigt werden. Ersatzmassnahmen müssen Lebensraum für die tatsächlich vom Projekt betroffenen Arten schaffen. Im vorliegenden Fall kann ein neues Biotop für Grasfrösche keinen Ersatzlebensraum anbieten für Arten, die auf kaltes, rasch fliessendes und dynamisches Wasser spezialisiert sind.
Zwei Bundesgerichtsurteile bestätigen, dass illegal im Gewässerraum erstellte Anlagen zurückgebaut werden müssen. Einmal geht es um Steinkörbe mit einer Solaranlage an einem Seitenbach der Reuss (1C_178/2021 vom 3. März) und einmal um einen Bootskran an der Aare (1C_600/2021 vom 25. August).
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz weist am 23. Mai die Gewässerraumfestlegung in Feusisberg als ungenügend zurück. Die Gemeinde hat sich auf Vorgaben des Regierungrats und des Schwyzer Umweltdepartements berufen, welche den gänzlichen Verzicht auf eine Gewässerraumausscheidung für viele Bäche als zulässig erachten. Kantone und Gemeinden dürfen nach dem Urteil trotz ihres Ermessensspielraums die Gewässerraumausscheidung nicht pauschal vornehmen. Die Abwägung der Interessen muss aufgezeigt werden und hinter die Vorgaben der Gewässerschutzverordnung des Bundes kann nicht zurückgegangen werden.
Am 23. November weist das Verwaltungsgericht des Kantons Jura die Beschwerden zweier Gemeinden gegen den kantonalen Sonderplan für die Gewässerräume ab. Damit kann der Plan «Périmètre réservé aux eaux» im ganzen Kanton in Kraft treten.
Der Zürcher Kantonsrat nimmt am 12. Dezember die im Februar 2020 vom Regierungsrat vorgestellte Neuauflage des Zürcher Wassergesetzes einstimmig an. Eine erste Version ist 2019 vom Volk verworfen worden, unter anderem weil befürchtet wurde, die Wasserversorgungen könnten privatisiert werden. Im Januar 2023 stellt der Kanton Zürich ausserdem den Gewässerbericht 2022 mit vielen Fakten zum qualitativen und morphologischen Zustand der Zürcher Flüsse und Seen sowie zum Grundwasser vor. Die Kürzestfassung: Einiges wäre eigentlich auf dem Weg zur Besserung, aber der Klimawandel trübt die Erfolge zunehmend.
Auch im Kanton Basel-Stadt legt die Regierung ein neues Wassergesetz vor. Wie in Zürich soll es die Themenbereiche Hochwasserschutz, Gewässerschutz und Nutzung der Gewässer neu in einem einzigen Erlass zusammenfassen. 2022 in Vernehmlassung schickt es der Regierungsrat schliesslich im März 2023 ans Parlament.
Im Kanton Schaffhausen stimmt am 30. Mai der Kantonsrat einer Änderung des Wasserwirtschaftsgesetzes zu. Es erlaubt grundsätzlich eine erweiterte Wasserkraftnutzung am Rheinfall. Eine Kraftwerkskonzession wäre aber obligatorisch dem Referendum unterstellt. Der Kanton Zürich hat sich bisher zu den Kraftwerkplänen am Rheinfall nicht geäussert.
Zahlreiche grössere Projekte und Wassermanagementkonzepte in den Kantonen lassen sich 2022 auf die Folgen des Klimawandels zurückführen, und zwar sowohl auf längere Trockenperioden als auch auf vermehrt drohende Starkregenereignisse. Fast durchwegs erlassen die Mittellandkantone wie St. Gallen, Thurgau oder Luzern ab Juli Beschränkungen oder Verbote für Wasserentnahmen aus kleineren Bächen und müssen Notabfischungen vornehmen. Die Waadt und Jura nehmen die Unterstützung der Armee an, die bei der Notversorgung von trockenen Alpen mit Wasser hilft. Basel-Land passt seine Verordnung der Wasserversorgung in Mangellagen an, Bern und das Wallis ihre Wasserstrategien. In Bern will eine Motion, dass die Betreiber von alpinen Stauseen verpflichtet werden können, bei Knappheit Wasser abzugeben, um im Flachland einen Beitrag zur Speisung des Grundwassers und der Gemüsebauern im Seeland zu leisten. Der Regierungsrat verwirft das Ansinnen. Analysen zeigten, dass selbst grosse Speicher wie der Grimselsee «keine massgeblichen Beiträge» zur Linderung der Trockenheit im Mittelland leisten könnten. Die Speicherkapazität sei zu gering und die Entfernung zum Mittelland zu gross, argumentiert der Regierungsrat. Die Mehrfachnutzung von alpinen Speichern ist auch im Wallis ein Thema: Eine Motion verlangt, dass die Konzessionäre zur Abgabe von Trinkwasser verpflichtet werden können, um die Gemeinden vor hohen Kosten zu schützen.
In St. Gallen verabschiedet der Regierungsrat einen Bericht über die langfristige Wasserverfügbarkeit. Der Thurgau bildet einen Fachstab, der im Rahmen einer Trockenheitsstrategie Massnahmen erarbeitet, u.a. mit einer Trink- und Brauchwasserplanung, welche den Anbau von trockenheitsresistenten Kulturen fördert.
In Luzern bewilligt das Stadtparlament im Februar über 13 Millionen Franken für zwei neue Regenrückhaltebecken. Der Kanton Neuenburg ändert seine Organisation im Tiefbau in Bezug auf den Klimawandel: Er gründet im März ein neues Amt für Fliessgewässer und Naturgefahren.
Mehrere seit Jahren in der Planung stehende grössere Flussbauprojekte machen 2022 Fortschritte: Für das Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekt RHESI am Alpenrhein werden erstmals Auflageprojekte vorgestellt. In den kommenden 20 Jahren sollen rund 1,4 Mrd. Franken investiert werden. An der Thur stellt St. Gallen die Aufwertungen im unteren Toggenburg vor. Das Thurgauer Parlament genehmigt im Dezember das Hochwasserschutz- und Revitalisierungskonzept Thur+ der Regierung. Es sieht in den kommenden 30 Jahren Investitionen von rund 325 Millionen Franken vor. Der Kanton Zürich plant mit «Fil Bleu» Uferwege und eine Aufwertung der Glatt. Der Kantonsrat bewilligt dafür am 5. September einen Rahmenkredit über 63 Millionen Franken. Die Luzerner Regierung verabschiedet im Juni das Projekt «Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss». Der Kredit über rund 200 Millionen Franken muss noch vors Volk. Flussabwärts plant auch der Kanton Aargau, den Hochwasserschutz an der Reuss zu erhöhen. Ein vorgesehener Rückhalteraum im Bereich der Lorzemündung in den Kantonen Zürich und Zug muss der Regierungsrat im Mai allerdings fallenlassen – er hätte zwar Ackerland verschont, hingegen ein geschütztes Flachmoor und eine Moorlandschaft von nationaler Bedeutung beansprucht. Der Kanton Uri schliesslich verabschiedet am 1. März ein neues Verkehrskonzept im Falle eines Reusshochwassers. Grund dafür: Die Gotthardautobahn A2 dient dann als Entlastungskorridor für das Wasser bis zum Urnersee.
Im September beginnt der Kanton Fribourg mit der Aufwertung der Kleinen Glane (Petite Glâne). Bis 2026 sollen insgesamt rund sieben Kilometer revitalisiert und gut 20 Millionen Franken investiert werden. Der Kanton Genf stellt 2022 die vierte Etappe der Revitalisierung der Aire zwischen der Landesgrenze und der Stadt fertig. Am 24. August spricht der Regierungsrat zudem rund 60 Millionen Franken für die Teil-Ausdolung der beiden Bäche Aire und Drize im stark überbauten Gebiet von Carouge bis zur Mündung in die Arve.
Die Kantone Wallis und Waadt arbeiten an der dritten Rhonekorrektion. Die Walliser Regierung beantragt dem Parlament drei Verpflichtungskredite über insgesamt rund 180 Millionen Franken für die Abschnitte Sierre bis Grône sowie prioritäre Massnahmen für die Abschnitte Riddes - Fully und Chessel - Port-Valais im Chablais vor der Mündung in den Genfersee. Hier, wo der Fluss die Kantonsgrenze bildet, wird das Projekt für den Abschnitt auf Höhe Yvorne bis Vouvry öffentlich aufgelegt. Auch eine Aufwertung des Rhonedeltas wird projektiert.
Mehrere Kantone verabschieden ihre Planung für die Revitalisierung der Seeufer, so Glarus, Obwalden und Graubünden.
Wesentliche Debatten um den weiteren Ausbau der Wasserkraft laufen 2022 auf nationaler Ebene, unter anderem die Festschreibung von 15 alpinen Speicherprojekten zur Steigerung der Winterstromproduktion im «Mantelerlass», wie sie im Prozess «Runder Tisch Wasserkraft» evaluiert wurden. Drei Hinweise zu weiteren Entwicklungen:
Die Staatsanwaltschaft St. Gallen büsst ein Unternehmen wegen Verschmutzung des Bodensees und der Goldach mit dem seit 2011 verbotenen Stoff Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) in Löschschaum. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), zu denen auch PFOS gehört, sind sehr langlebig und können sich in der Nahrungskette anreichern. Dadurch sind sie eine Gefahr für fischfressende Vögel und Säuger. Sie sind auch in anderen Kantonen vermehrt ein Thema. Im Oberengadin (GR) und im Goms (VS) finden die Behörden lokal erhöhte PFAS-Belastungen wegen Langlaufwachs. Im Wallis treten erhöhte Konzentrationen im Boden, Oberflächen- und Grundwasser auf unterhalb der Raffinerie von Collombey, vereinzelt über dem zulässigen Grenzwert für Trinkwasser. Für einen Baggersee wird darauf ein Fischfangverbot erlassen.
Die Kantone Luzern und Zug (Juli) sowie Schwyz (Dezember) legen die Zuströmbereiche für den Zugersee fest. In LU und ZG werden rund 70 Bauernbetriebe Massnahmen treffen müssen, damit weniger Nährstoffe in den See gelangen. Wie viele im Kanton SZ betroffen sind, ist offen. Mit einer Zirkulationsunterstützung im Winter sind auch technische, seeinterne Massnahmen geplant.
Die Genfer Regierung unterstützt am 2. November die Motion «Microplastiques dans le Léman: stop pollution !». Die Reduktion der Plastikemissionen sei ein zentrales Ziel im kantonalen Abfallwirtschaftsplan. Gemeinsam mit der internationalen Genfersee-Schutzkommission (CIPEL) arbeite man daran, die Quellen der Verschmutzung zu identifizieren und Massnahmen zu bestimmen.
Die EU-Kommission plant eine Strategie zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik. Sie lanciert am 22. Februar dazu eine Anhörung. Gleichzeitig veröffentlichen mehrere Organisationen um den Bodensee eine Charta zur Reduzierung und Vermeidung von Mikroplastik und Plastikmüllverschmutzung in und um Seen [10]. Ziel ist eine Selbstverpflichtung der Gemeinden rund um den Bodensee zum Ergreifen von Massnahmen gegen Mikroplastik.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) präsentiert am 4. März den Bericht «Financing a Water Secure Future» [11]. Darin wird festgehalten, dass das UN-Nachhaltigkeitsziel SDG 6 – Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen – wegen unzureichender Investitionen verfehlt wird. Weiterhin leben zwei Milliarden Menschen ohne sichere Trinkwasserversorgung und die Verluste an Feuchtgebieten schreiten voran. «Um die Ziele in den Bereichen Trinkwasser, Abwasserentsorgung und Hygiene (SDG 6) bis 2030 zu erreichen, muss das Tempo der Fortschritte um das Vierfache erhöht werden», hält auch der UN-Report über die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele fest [12].
Über 170 Wasserversorger in den Einzugsgebieten der grossen europäischen Flüsse aus 18 Ländern unterzeichnen am 22. März das «Europäische Grundwasser-Memorandum zur Sicherung der Qualität und Quantität des Trinkwassers für künftige Generationen» – ein beachtlicher Schulterschluss.
Der Weltklimarat IPCC stellt in seinem Report vom 4. April fest, wie der Klimawandel bereits heute nachteilige Auswirkungen auf die Wassersicherheit hat. Die Klimarisiken für Ökosysteme und Menschen nehmen weltweit rapide zu, warnt der IPCC. Nur konsequenter Klimaschutz und frühzeitige Klimaanpassung könnten Risiken verringern.
Die EU-Kommission legt am 22. Juni den Entwurf für eine neue Pestizidverordnung vor. Unter anderem soll damit der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbiert werden. Am 26. Oktober legt die EU-Kommission den Vorschlag für die revidierte Abwasserrichtlinie vor. Sie enthält unter anderem Regeln für eine energiesparende Abwasserbehandlung, eine Kostenübernahme durch die Industrie für die Entfernung von Mikroverunreinigungen, eine verstärkte Berücksichtigung von Einleitungen von Industrieabwässern in die öffentliche Kanalisation, Regeln zum Umgang mit Regenwasser und ein Monitoring von Gesundheitsparametern im Abwasser. In diesem Rahmen schlägt die Kommission auch eine Aktualisierung der Liste der Schadstoffe vor, die in Oberflächengewässern und im Grundwasser strenger kontrolliert werden müssen. Dazu gehören PFAS, zahlreiche Pestizide (vor allem Pyrethroide und Neonicotinoide sowie Abbauprodukte), Bisphenol-A und hormonaktive Substanzen. Neu sollen auch kumulative Wirkungen von Stoffgemischen berücksichtigt werden.
Im Rahmen der Weltbiodiversitätskonferenz COP-15 im kanadischen Montreal werden im Dezember neben Nährstoffen und Pestiziden neu auch generell «gefährliche Chemikalien» in die Konventionen aufgenommen.
Die folgenden wasser- oder gewässerrelevanten Themen werden 2023 absehbar auf den Bühnen der Politik diskutiert:
Sie will die Verbauung von Kulturland stoppen und dem Bauen ausserhalb der Bauzonen Grenzen setzen. Welche Auswirkungen die Initiative auf die Bereiche Hochwasserschutz, Revitalisierung und Gewässerraum hätte, ist offen. Das Parlament hat die Behandlungsfrist bis zum 8. März 2024 verlängert. Eine Volksabstimmung wird frühestens 2024 stattfinden.
Das Parlament muss 2023 über den indirekten Gegenvorschlag befinden. Vorgesehen sind Biodiversitätsgebiete, die auch Gewässer umfassen können.
Dieses Volksbegehren hat nur indirekt mit Wasser zu tun. Ziel ist der Kampf gegen den Klimawandel mit einer Netto-Null-Schweiz ab 2050. Die Initiative wurde bedingt zurückgezogen, nachdem das Parlament Ende September das neue «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit, KIG» (21.501) als indirekten Gegenvorschlag angenommen hat.
Der Mantelerlass Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (21.047) umfasst Energie- und Stromversorgungsgesetz, mit Änderungen im weiteren Erlassen. Wasserrelevant sind namentlich die Ausbaupläne und Fördermechanismen für die Wasserkraft. Der Nationalrat hat am 13. März 2023 zudem die Restwasservorschriften für Neukonzessionen bis 2035 sistiert, und pendent sind in diesem Zusammenhang zwei Postulate der nationalrätlichen Umweltkommission: (23.3007) «Mehr Strom bei gleichzeitiger Verbesserung der Biodiversität der Gewässer» und (23.3006) «Erhöhung der Stromproduktion dank der Erneuerung und Erweiterung der Grosswasserkraftwerke.» Am 14. Februar 2023 hat ausserdem die Kleinwasserkraftvereinigung Swiss Small Hydro eine Volksinitiative lanciert, die Nutzungsanliegen in der Verfassung höher gewichtet will als andere nationale Interessen.
Nitrat im Grundwasser und entsprechende Düngebeschränkungen werden Thema bleiben, trotz der abgeschwächten Zielsetzung aufgrund der Motion (22.3795) von Johanna Gapany (FDP/FR). Dies auch in der EU, die gegenüber den Mitgliedstaaten das Vorsorgeprinzip nochmals gestärkt hat. Ins Parlament kommt nun auch die Agrarpolitik ab 2022, AP 22+, (20.022). Die Vorlage war 2020 im Vorfeld der Abstimmungen, über die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative sistiert worden. Die 260seitige Botschaft enthält zahlreiche wasserrelevante Bestimmungen. Vieles ist aber mit dem Aktionsplan Pflanzenschutz sowie der Bearbeitung der 2021 angenommenen parlamentarischen Initiative (19.475) «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» bereits eingeleitet. Mit der Motion «Reduktion der Stickstoffeinträge aus den Abwasserreinigungsanlagen» (20.4261) hat der Bundesrat zudem noch einen Auftrag vor sich.
Für den Sommer 2023 ist eine Vernehmlassung geplant zum planerischen Grundwasserschutz. Ende Jahr will das UVEK Grenzwerte für weitere Pestizide und andere Mikroverunreinigungen in Kraft setzen. Ebenfalls noch 2023 soll die Pflicht zur Berichterstattung bei Trockenheitsereignissen für die Kantone in Vernehmlassung geschickt werden.
Aufgrund einer Anfrage (22.7982) von Jon Pult (SP/GR) zu Grenzwerten für PCB sowie des Postulats Postulat (22.4585) von Tiana Moser (GLP/ZH) kündigt der Bundesrat an, im Frühling 2023 über weitere Schritte für eine übergeordnete Strategie zum Umgang mit langlebigen und giftigen Stoffen wie PFAS, TFA und PCB in der Umwelt und zur Sanierung der beeinträchtigen Umweltbereiche zu orientieren. Das Postulat Moser verlangt einen eigentlichen Aktionsplan zur Belastungsreduktion von Mensch und Umwelt durch langlebige Chemikalien. Deutschland will gemeinsam mit Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) in der Europäischen Union verbieten lassen. Etwa 10’000 dieser «ewigen Chemikalien» sollen beschränkt werden. Ein Vorschlag ist bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA eingereicht.
Die Parlamentarische Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» (Pa.Iv. 20.433) kommt im Mai 2023 in der Sondersession ins Parlament. Sie enthält wasserrelevante Bestimmungen, so zur Rückgewinnung von Stickstoff und Phosphor aus dem Abwasser. Vom Bundesrat zuhanden des Parlaments verabschiedet ist ausserdem eine Revision des Wasserbaugesetzes WBG. Neu ist darin das integrale Risikomanagement verankert.
Die Autoren bedanken sich bei Julia Schegg und Reto Schmid. Julia Schegg hat zu wasserpolitischen Ereignissen in den Kantonen und beim Bundesgericht recherchiert, Reto Schmid von der Vereinigung für Umweltrecht VUR hat Rückmeldungen zu den Gerichtsentscheiden gemacht.
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