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Fachartikel
05. Juli 2023

Trinkwasser

Wassertemperaturen im Verteilnetz

Kontinuierliche Temperaturmessungen im Trinkwasserverteilnetz der Wasserversorgung Zürich haben gezeigt, dass überraschend hohe Temperaturen an unerwarteten Stellen auftreten. In Kombination mit Bodentemperaturmessungen wurden Einflussfaktoren zur Wärmeentwicklung von Trinkwasser in Verteilnetzen bewertet. Ein einfaches Modell hilft, ganzheitliche Ansätze zur Reduktion von hohen Temperaturen im Netz, wie zum Beispiel Leitungstiefe, Leitungsmaterial oder Isolationsmaterial beurteilen zu können.
Caroline Marks, Silvano Murk, Jakob Helbing, 

Seit Beginn der Aufzeichnung von Klimadaten ist eine steigende globale Durchschnittstemperatur zu beobachten, insbesondere in den letzten Jahren hat sich der Anstieg beschleunigt. Auch im Kanton Zürich hat sich die Jahresmitteltemperatur im Vergleich zum Mittel von 1864 um etwa 2 °C erhöht [1]. Speziell in den Sommermonaten sorgt der Wärmeinseleffekt zusätzlich für erhöhte Temperaturen in den Städten im Vergleich zum Umland. Die hohe Oberflächenversiegelung der Stadtgebiete durch dichte Bebauung, die gleichzeitig mit einer verringerten Durchlüftung einhergeht, sorgt für eine starke Aufwärmung tagsüber und eingeschränkte Abkühlung in der Nacht. Daraus resultieren mehr Hitzetage sowie mehr Tropennächte in städtischen Gebieten während den Sommermonaten [2].

Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und Österreich gibt es eine Anforderung an die Wasserversorger, dass die Kaltwassertemperatur an der Entnahmestelle maximal 25 °C betragen soll [3–5]. Allgemein beeinflusst die Temperatur des Trinkwassers chemische, physikalische und mikrobiologische Prozesse. Insbesondere die Mikrobiologie ist für kurzfristige gesundheitliche Gefährdungen entscheidend. Allerdings ist an der Wasserversorgung Zürich bisher kein eindeutiger Einfluss von erhöhten Temperaturen im Trinkwasser auf die mikrobiologische Stabilität erkennbar, da nicht nur die Temperatur, sondern auch die Nährstoffverfügbarkeit über mikrobiologisches Wachstum entscheidet. Zudem ist es bisher unklar, welche langfristigen Auswirkungen die erhöhten Temperaturen in den Städten gemeinsam mit dem Wärmeinseleffekt auf die Temperaturen des Trinkwassers in Verteilnetzen haben. Weiterhin können Risiken durch erhöhte Temperaturen auch in Hausinstallationen entstehen und allgemein wird warmes Trinkwasser von den meisten Konsumentinnen und Konsumenten weniger geschätzt.

Um nachhaltige Massnahmen zur Bereitstellung von kühlem Trinkwasser entwickeln zu können, müssen Wärmeeffekte im Trinkwassernetz verstanden werden. Dies setzt voraus, dass die Temperaturentwicklungen im Trinkwasser gemessen werden. Aus diesem Grund hat die Wasserversorgung Zürich im Rahmen eines Pilotprojektes mehrere Messstellen direkt im Trinkwassernetz installiert, an denen kontinuierlich Qualitäts- sowie Hydraulikparameter gemessen werden. Der Hauptfokus des Pilotprojektes ist es, die verschiedenen Zusammenhänge und Einflüsse auf die Trinkwassertemperatur besser verstehen und bewerten zu können. In diesem Bericht werden Messergebnisse und erste Schlussfolgerungen aus eineinhalb Jahren Aufzeichnung von Messdaten vorgestellt und diskutiert.

Methoden

Das Pilotgebiet zur Messung von Qualitäts- und Hydraulikparametern im Trinkwassernetz befindet sich im Zürcher Quartier Höngg. Dort wurden Ende 2021 zusätzlich zu drei bereits bestehenden Messstellen neue Sensoren für Qualitäts-, Hydraulik- und Bodentemperaturmessungen installiert. In diesem Abschnitt werden zunächst die verschiedenen Sensortypen vorgestellt und anschliessend die Grundlagen für die theoretische Diskussion von Wärmeübergangseffekten im Trinkwassernetz gegeben.

Messschächte im Pilotgebiet

Eine Übersicht über alle Messstellen im Pilotgebiet Höngg ist in Figur 1 gegeben. Man erkennt das dichte Messnetz mit insgesamt 13 Qualitätsmessstellen, 6 hydraulischen Messstellen und 2 Bodentemperaturmessstellen. Die hydraulischen Messstellen werden in diesem Bericht nicht weiter betrachtet und sind nur der Vollständigkeit halber eingezeichnet. An den Qualitätsmessstellen werden zusätzlich zur Temperatur Leitfähigkeit, pH, Redox Potenzial, Trübung und gelöster Sauerstoff sowie Durchfluss und Druck gemessen. Die Daten werden ungefähr im Zwei-Minuten-Takt aufgezeichnet und alle zehn Minuten per GSM in eine Datencloud des Herstellers übertragen. Insgesamt kommen drei verschiedene Sensortypen der Firma Intellitect für die Qualitätsmessungen zum Einsatz. Zwei Sensortypen erlauben eine direkte Inline-Messung im Trinkwasserrohr und ein Sensortyp wird im Bypass betrieben. Figur 2 zeigt Beispiele der drei Sensortypen. Die sogenannte Direct Insertion (DI)-Sonde eignet sich für die Installation in grossen, begehbaren Schächten. Sie kommt innerhalb des Pilotgebietes nur an der Zuflussleitung Einspeisung Höngg zum Einsatz. Die im Bypass betriebenen Flow Cells (FC) sind in Brunnenschächten von zwei Trinkwasserbrunnen an der Gsteigstrasse und der Limmattalstrasse 111 installiert. An allen übrigen Qualitätsmessstellen sind Sonden vom Typ Direct Bayonet (DB) in Minischächten direkt in den jeweiligen Leitungen im Strassenraum eingebaut. Die beiden FC sind bereits seit einigen Jahren in Betrieb, alle anderen Sensoren wurden Ende 2021 installiert.

Zusätzlich zu den Qualitätsmessstellen zur Überwachung der Trinkwasserqualität im Verteilnetz wurden im Rahmen des Pilotprojektes an der Limmattalstrasse 159 unter Asphalt und auf der gegenüberliegenden Strassenseite unter Wiese zwei Messketten zur Aufzeichnung der Bodentemperatur eingebaut. Diese Bodentemperatursonden messen in 0,2 m, 0,5 m, 0,9 m, 1,6 m und 2 m Tiefe alle zehn Minuten die Bodentemperatur und speichern die gemessenen Werte in einem angeschlossenen Datenlogger. Die Auslesung der Daten erfolgt manuell vor Ort über einen Funkdongle.

Modellierung Wärmeübergang

Die Haupteinflussfaktoren auf die Entwicklung der Trinkwassertemperatur im Verteilnetz sind schematisch dargestellt in Figur 3. Durch Einstrahlung der Sonne wärmt sich der Boden insbesondere im Sommer auf. Der Wärmeübergang aus der Atmosphäre in den Boden sowie der Einfluss verschiedener Oberflächen wie zum Beispiel Asphalt und Wiese wird in diesem Bericht nicht näher betrachtet. Der Fokus liegt auf den unterirdischen Einflussfaktoren Bodentemperatur, Leitungstiefe, Leitungsmaterial und -durchmesser sowie Fliessgeschwindigkeit.

Solange die umgebende Bodentemperatur höher ist als die des Wassers in der Leitung, findet ein Wärmeübergang aus dem Boden in das Wasser statt. Die zeitliche Entwicklung der Wassertemperatur TWasser in Abhängigkeit des Wärmedurchgangskoeffizienten k, Dichte ρWasser und Wärmekapazität cρ,Wasser von Wasser sowie Rohrradius r und Temperatur an der Rohraussenwand Taussen kann durch eine Differentialgleichung beschrieben werden [6]:

Der Wärmedurchgangskoeffizient k wird beeinflusst von der Wärmeleitung durch die Rohrwand in Abhängigkeit von Wandstärke dRohrwand und Wärmeleitfähigkeit Rohrwand sowie von konvektiven Prozessen im Wasser in Abhängigkeit vom Leitungsdurchmesser dRohr, Wärmeleitfähigkeit λWasser und Nusselt-Zahl Nu:

Für die Nusselt-Zahl gibt es je nach Strömungsbedingungen unterschiedliche Näherungen. Da in den Leitungen innerhalb des Pilotgebietes überwiegend turbulente Strömungsbedingungen herrschen, werden die Analysen in diesem Bericht auf Näherungen für voll ausgebildete turbulente Strömungen gestützt [7]:

Mit dem Druckverlustbeiwert ξ = (0,79 ln(Re) – 1,5)–2 und Rohrlänge l. Die Reynolds-Zahl Re = v dRohr/vWasser berücksichtigt zusätzlich die Fliessgeschwindigkeit v und kinematische Viskosität vWasser, die Prandtl-Zahl Pr = cp,Wasser μWasser/λWasser bezieht sich auf die dynamische Visksität μWasser.

Ergebnisse und Diskussion

Figur 4 zeigt eine Karte der Wärmebelastung im Siedlungsraum überlagert mit den Trinkwasserleitungen und den Messstellen im Pilotgebiet. Die Farbskala der Hintergrundkarte gibt die physiologisch äquivalente Temperatur an einem Sommertag um 14 Uhr an. Die physiologisch äquivalente Temperatur beschreibt das mittlere thermische Empfinden einer Standardperson und wird hauptsächlich durch Lufttemperatur und -feuchtigkeit, Windgeschwindigkeit sowie direkte Sonneneinstrahlung beeinflusst [8]. Es ist deutlich erkennbar, dass es im Pilotgebiet mehrere Hotspots mit einer extremen Überwärmung gibt. Ob diese Hotspots der Wärmebelastung im Siedlungsraum mit einer Erwärmung des Trinkwassers korrelieren, war bisher unklar.

Um den Zusammenhang zwischen Wärmebelastung im Siedlungsraum und Temperaturentwicklung im Trinkwassernetz zu bewerten, wurden in einem ersten Schritt die gemessenen Temperaturen an den Messstellen qualitativ ausgewertet. Figur 5 zeigt die Entwicklung der Wassertemperaturen an ausgewählten Standorten aus dem Pilotgebiet, die die Varianz der Temperaturentwicklung im Netz repräsentieren. Dargestellt ist das gleitende Mittel über zwei Tage für den Zeitraum April 2022 bis März 2023. Wie oben erwähnt, ist die Messstelle Einspeisung Höngg an der Hauptzuflussleitung für das Pilotgebiet und stellt somit die Ausgangstemperatur dar. Im Verlauf des Sommers sieht man in allen Stationen eine Erwärmung gegenüber der Temperatur der Einspeisung Höngg. Die drei Stationen Gsteigstrasse, Bläsistrasse und Kürbergstrasse zeigen dabei die geringste Erwärmung gegenüber der Ausgangstemperatur. Diese drei Stationen sind unter den dargestellten am nächsten zum Zufluss. In etwas weiterer Entfernung zeigt sich an der Limmattalstrasse 159 noch etwas mehr Erwärmung. Die Hotspots bezogen auf Trinkwassertemperatur im Pilotgebiet sind Limmattalstrasse 52, Limmattalstrasse 111, Bäulistrasse und Giacomettistrasse mit mittleren Temperaturen zwischen 21 und 23 °C im Hochsommer. Diese vier Messstellen liegen in Strassen mit wenigen Verbrauchern und zeigen dementsprechend geringe Durchflüsse. Die im dargestellten Zeitraum gemessene Maximaltemperatur war 24 °C (7.8.2022 um 04:43 an der Limmattalstrasse 52). Interessant zu beobachten ist, dass sich der Zusammenhang ab Mitte November ändert, und die Messungen im Verteilnetz tiefere Temperaturen anzeigen als im Hauptzufluss Einspeisung
Höngg.

Im Vergleich zwischen der Klimakarte (Fig. 4) und den gemessenen Trinkwassertemperaturen (Fig. 5) zeigt sich, dass an einigen Messstellen die Wärmebelastung im Strassenraum mit der Temperaturentwicklung im Trinkwassernetz übereinstimmt. Die Messtellen Limmattalstrasse 52 und 111 liegen beide in Zonen mit sehr starker Wärmebelastung und gehören zu den beobachteten Hotspots in Bezug auf Trinkwassertemperatur. Dieser Zusammenhang gilt jedoch nicht für alle Messstellen. Beispielsweise wurden an der Giacomettistrasse hohe Trinkwassertemperaturen gemessen, wobei sich die Messstelle in einem Gebiet mit mässiger Wärmebelastung befindet. Andersherum ist die Wärmebelastung an den Messstellen Gsteigstrasse und Bläsistrasse sehr stark, während die Erwärmung des Wassers gegenüber der Ausgangstemperatur eher gering ist. Insgesamt lässt sich also sagen, dass es keine direkte Korrelation zwischen der Überwärmung im Siedlungsraum und Trinkwassertemperaturen im Verteilnetz gibt. Es müssen also weitere Einflussfaktoren berücksichtigt werden.

Ein Faktor, der die Trinkwassertemperatur im Verteilnetz beeinflusst, ist die Bodentemperatur. Figur 6 zeigt die gemessenen Bodentemperaturen an den zwei Standorten nahe der Limmattalstrasse 159 unter Asphalt und unter Wiese für den gleichen Zeitraum wie die Wassertemperaturen in Figur 5. Aufgrund eines Defektes sind die Daten für den Logger unter Asphalt (welcher sich in unmittelbarer Nähe zur Qualitätsmessstelle Limmattalstrasse 159 befindet) unvollständig. Der Plot macht deutlich, dass tägliche Schwankungen der Bodentemperatur mit zunehmender Tiefe gedämpft werden. Insbesondere in 1,6 m und 2 m Tiefe lassen sich nur noch die Verläufe einzelner Wärme- und Kälteperioden erkennen. Weiterhin sind die Maxima sowohl von einzelnen Warm- und Kaltphasen als auch die der gesamten Jahresganglinie mit zunehmender Tiefe zeitverzögert. Das heisst, ein Wärmeeintrag von oben macht sich in der Ebene der Leitungstiefe (ca. 1,6 m) erst nach einigen Tagen bemerkbar.

Durch die Nähe der Qualitätsmessstelle und der Bodentemperaturmesskette an der Limmattalstrasse 159 kann hier ein direkter Vergleich zwischen der Bodentemperatur in 1,6 m Tiefe sowie der Temperatur in der daneben verlaufenden Trinkwasserleitung gemacht werden. Dies ist in Figur 7 (a) dargestellt. Da die Bodentemperatur an der Messstelle nicht über das gesamte Jahr aufgezeichnet werden konnte, ist als Ergänzung die Bodentemperatur in 1,6 m Tiefe gemessen auf der anderen Strassenseite unter Wiese geplottet. Es wird erkennbar, dass die Bodentemperatur im Verlauf von Frühjahr und Sommer eine Art obere Grenze für die Trinkwassertemperatur darstellt. Der Ausschnitt in Figur 7 (b) zeigt den detaillierten Temperaturverlauf von Wasser und Boden an zwei einzelnen Tagen im August 2022. Weiterhin ist die Fliessgeschwindigkeit und -richtung des Trinkwassers geplottet. Figur 7 (c) zeigt schematisch die Fliessverhältnisse. Tagsüber fliesst Wasser von der Bläsistrasse über die Limmattalstrasse 159 weiter in Richtung Limmattalstrasse 111 (dunkelgrüne Kurve, Fig. 7 (b) sowie dunkelgrüner Pfeil, Fig. 7 (c)). Nachts dreht die Fliessrichtung (hellgrüne Kurve und entsprechender Pfeil), sodass Wasser wieder aus Richtung Limmattalstrasse 111 zurückfliesst. Dabei fliesst es allerdings nicht zurück in die Bläsistrasse (dort wurden keine Richtungswechsel beobachtet), sondern weiter entlang der Limmattalstrasse (angedeutet durch den hellgrünen gestrichelten Pfeil). Der zeitliche Verlauf von Wassertemperatur und Fliessgeschwindigkeit zeigt, dass mit dem nächtlichen Richtungswechsel und leicht niedrigeren Fliessgeschwindigkeiten die Wassertemperatur bis auf das Niveau der Bodentemperatur ansteigt. Morgens, einhergehend mit Richtungswechsel und steigendem Wasserverbrauch (dementsprechend höhere Durchflüsse), nimmt die Wassertemperatur innerhalb von weniger als drei Stunden um mehrere Grad Celsius ab. Es ist also bereits qualitativ erkennbar, dass Bodentemperatur, Fliessgeschwindigkeit und Aufenthaltszeit im Netz einen gewichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Wassertemperatur haben.

Für eine erste quantitative Analyse wurde die Wassertemperatur an der Limmattalstrasse 159 basierend auf den oben angegebenen Formeln geschätzt. Für die Fliessrichtung tagsüber wurde die Wassertemperatur an der Bläsistrasse als Ausgangstemperatur betrachtet. Für den Wechsel der Fliessrichtung nachts wurde eine zusätzliche Aufenthaltszeit in der Leitung der Limmattalstrasse berücksichtigt. Der direkte Fliessweg zwischen den beiden Messstellen sowie die jeweiligen Durchmesser und Materialien der Rohrleitungen geben weitere Randbedingungen vor. Weiterhin wird aufgrund der Nähe zwischen Bodentemperaturmessung und Rohrleitung angenommen, dass die Rohraussentemperatur der gemessenen Bodentemperatur entspricht. Die Wärmeleitung innerhalb des Bodens zwischen Bodenmessstelle und Leitung wurde in erster Näherung vernachlässigt. Figur 8 zeigt die gemessene sowie die modellierte Wassertemperatur und zusätzlich die Ausgangstemperatur gemessen an der Bläsistrasse und die Bodentemperatur. Es ist eine gute Übereinstimmung zwischen Modell und Messung erkennbar, da die an der Limmattalstrasse 159 gemessenen Tagesprofile mit geringen Abweichungen durch das Modell vorhergesagt werden. An anderen Messstellen ist die Übereinstimmung zwischen vorhergesagten und gemessenen Temperaturen weniger gut (nicht gezeigt). Das heisst, dort gibt es noch zu viele Unbekannte, um eine realistische Übereinstimmung zu erzielen. Insbesondere bei der Bodentemperatur ist noch unklar, wie stark sich diese über das Pilotgebiet verändert und inwiefern die Wärmeleitung innerhalb des Bodens eine Rolle spielt. Weiterhin sind aufgrund der vielen Verzweigungen im Netz die Durchflüsse trotz der hohen Sensordichte nicht für alle Leitungen bestimmbar. Um eine Vorhersage von Hotspots in den Trinkwasserleitungen zu ermöglichen, bräuchte man zum einen weitere Erkenntnisse über die Variabilität der Bodentemperatur über das Leitungsnetz hinweg und zum anderen genauere Daten über die jeweiligen Durchflüsse.

möglichkeiten zur reduktion der trinkwassertemperatur

Mit den aus den Formeln bekannten Einflussfaktoren lassen sich verschiedene Ansatzmöglichkeiten zur Reduktion der Temperatur von Trinkwasser im Verteilnetz bewerten. Unabhängig von der tatsächlichen Ausgangstemperatur des Trinkwassers sowie der Temperatur des die Leitung umgebenden Bodens lässt sich berechnen, wie lange es dauert, bis sich das Trinkwasser um 95% der Differenz zwischen Wasser- und Bodentemperatur erwärmt hat (Aufwärmzeit t0,95). Für eine bestimmte Fliessgeschwindigkeit v im Rohr lässt sich die Aufwärmzeit t0,95 umrechnen in eine Aufwärmstrecke x0,95 : x0,95 = v t0,95. Diese Aufwärmstrecke ist in Figur 9 in Abhängigkeit des Volumenstroms durch ein Rohr für verschiedene Materialien und Durchmesser gezeigt. Der Bereich des Volumenstromes sowie die ausgewählten Durchmesser und Rohrmaterialien repräsentieren die im Pilotgebiet herrschenden Bedingungen. Die Stoffwerte für Wasser wurden für eine mittlere Wassertemperatur von 15 °C berücksichtigt. In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Einflussfaktoren zur Temperaturreduktion näher diskutiert.

Senkung der Ausgangstemperatur

In Zürich wird zum grossen Teil aufbereitetes Seewasser als Trinkwasser zur Verfügung gestellt, das rund ums Jahr eine Temperatur zwischen 6 und 12 °C (Mittel 7–8 °C) am Werksausgang aufweist. Zusätzlich wird Grundwasser gefördert, das in den Sommermonaten bis 18 °C warm werden kann (Mittel 15 °C). Eine naheliegende Idee zur Senkung der Temperaturen im Verteilnetz ist die Senkung der Ausgangstemperatur. Dies würde bedeuten, im Sommer eher Trinkwasser aus den Seewasserwerken zu verteilen. Aus Figur 9 ist jedoch ersichtlich, dass sich das Trinkwasser je nach Rohrmaterial, Durchmesser und Volumenstrom bereits nach sehr kurzen Strecken von überwiegend weniger als 800 m um 95% der Temperaturdifferenz zwischen Wasser und Boden erwärmt hat. Für den Vergleich zwischen See- und Grundwasser würde das bei einer angenommenen Bodentemperatur von 23 °C bedeuten: Das ursprünglich 8 °C kühle Seewasser erwärmt sich auf 22,25 °C und das deutlich wärmere Grundwasser von 18 °C auf 22,75 °C. Die ursprünglich grosse Temperaturdifferenz zwischen den beiden Trinkwässern wäre also innerhalb kurzer Zeit (bzw. kleiner Strecke) kaum noch vorhanden. Eine Senkung der Ausgangstemperatur würde also nur sehr lokal um die jeweiligen Werke den gewünschten Effekt erzielen.

Bodentemperatur

Aus Figur 6 ist ersichtlich, dass mit zunehmender Tiefe die Bodentemperatur und damit die obere Grenze für die Trinkwassertemperatur während der Sommermonate sinkt. Eine weitere Möglichkeit zur Reduzierung der Trinkwassertemperatur im Verteilnetz wäre also die Rohrleitungen in grösserer Tiefe zu verlegen, um die Maximaltemperatur zu begrenzen. Dies wäre jedoch eine sehr langfristige und mit hohen Kosten verbundene Massnahme.

In Bezug auf Überwärmung in den Städten gibt es verschiedene Ansätze zur Abkühlung von Hitzeinseln im Stadtgebiet (z. B. verstärkte Begrünung, verschiedene Bodenbeläge) [2]. Diese Massnahmen wurden nach unserem Wissen bisher allerdings nur oberirdisch bewertet. In Bezug auf steigende Temperaturen im Trinkwasser sollten hitzemindernde Massnahmen künftig nicht nur oberirdisch bewertet werden, sondern ein möglicher den Boden kühlender Effekt mit berücksichtigt und ausgewertet werden.

Leitungsmaterial

Das Leitungsmaterial beeinflusst direkt den Wärmeübergang zwischen Boden und Trinkwasser. Gusseisen ist ein beliebter Werkstoff, allerdings auch ein guter Wärmeleiter. Figur 9 zeigt, dass bereits einige Millimeter zusätzliche PUR-Beschichtung einen stark isolierenden Effekt haben. An kritischen Stellen wie zum Beispiel Rohrleitungen mit geringem Durchmesser und/oder geringem Durchfluss könnte eine zusätzliche Isolierung dazu beitragen, das Trinkwasser länger kühl zu halten.

Leitungsdurchmesser

Mit geringerem Durchmesser sinkt die Fläche, über die ein Wärmeübergang aus dem Boden stattfinden kann. Weiterhin wird, unter der Annahme eines gleichbleibenden Verbrauches (also keine starken Veränderungen in den beobachteten Durchflüssen an einzelnen Standorten), über den Leitungsdurchmesser die Fliessgeschwindigkeit beeinflusst. Genauer gesagt bedeutet eine Halbierung des Durchmessers eine Vervierfachung der Fliessgeschwindigkeit. Die Fliessgeschwindigkeit wiederum beeinflusst die Aufenthaltszeit des Wassers im Rohr und definiert damit den Zeitraum, in dem sich das Wasser erwärmen kann. Gleichzeitig bedeutet eine höhere Fliessgeschwindigkeit höhere Turbulenz und damit einhergehend ein besserer Wärmeübergang. In Figur 9 ist ersichtlich, dass der Einfluss von kleineren Rohrdurchmessern begrenzt ist und je nach Volumenstrom zu grösseren, aber auch zu geringeren Aufwärmstrecken führen kann. Es kann also keine pauschale Empfehlung abgegeben werden, ob eine Verkleinerung oder Vergrösserung des Leitungsdurchmessers sinnvoll ist.

Fazit/Ausblick

Die ersten Auswertungen der Sensoren der Wasserversorgung Zürich im Pilotgebiet Höngg zeigen, wie sich die Temperatur von Trinkwasser im Verteilnetz im Laufe eines Jahres entwickelt. Dabei konnte in den Sommermonaten teilweise eine starke Erwärmung gegenüber der Ausgangstemperatur beobachtet werden. Der Vergleich mit Klimakarten zur Wärmebelastung im Siedlungsraum zeigt, dass es keinen pauschalen Zusammenhang zwischen oberirdischen Hitzeinseln und der in den Rohrleitungen gemessenen Trinkwassertemperatur gibt. Diese Ergebnisse können in Kombination mit Modellierungsansätzen dabei helfen, Einflussfaktoren auf die Trinkwassertemperatur zu bewerten. Insgesamt zeigt sich, dass in der wärmeren Jahreshälfte die Bodentemperatur als obere Begrenzung für die Trinkwassertemperatur ein entscheidender Faktor ist. Deshalb sollten Massnahmen zur Hitzeminderung im städtischen Siedlungsraum die Bodentemperatur explizit miterfassen. Weiterhin sollten Trinkwasserverteilnetze in Massnahmeplänen gegen Hitze berücksichtigt werden. Zum weiteren Verständnis der Entwicklung der Bodentemperatur im städtischen Raum werden mehr Bodentemperaturmessungen gebraucht. Dies sollte es ermöglichen, ein räumlich aufgelöstes Bodentemperaturmodell zur Vorhersage der Wassertemperatur zu entwickeln. Als weitere Massnahme bietet es sich an, Leitungen an kritischen Stellen zusätzlich zu isolieren. Der Effekt einer geringeren Ausgangstemperatur ist stark lokal begrenzt. Ebenso sorgt eine Reduktion des Leitungsdurchmessers nicht in allen Fällen für kühleres Trinkwasser. Insgesamt erscheint es sinnvoll, die Entwicklung der Trinkwassertemperatur in der langfristigen Netzplanung explizit zu berücksichtigen, um frühestmöglich passende Massnahmen ergreifen zu können.

Bibliographie

[1] Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz (2021): Klimawandel im Kanton Zürich. National Centre for Climate Services
[2] Stadt Zürich (2020): Fachplanung Hitzeminderung. Zürich
[3] SVGW-Arbeitsgruppe Richtlinie W3/E3 (2020). Richtlinie für Hygiene in Trinkwasserinstallationen
[4] DIN 2000:2017-02 (2017): Zentrale Trinkwasserversorgung - Leitsätze für Anforderungen an Trinkwasser, Planung, Bau, Betrieb und Instandhaltung der Versorgungsanlagen
[5] ÖNORM B2531 (2019): Technische Regeln für Trinkwasserinstallationen
[6] Pieterse-Quirijns, E. J.; Blokker, E. J. M. (2019): Modeling temperature in the drinking water distribution system. J AWWA. 105(1): E19-E28
[7] VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (2013). VDI-Wärmeatlas. Springer-Verlag Berlin Heidelberg
[8] Kanton Zürich. Amt für Raumentwicklung – Abteilung Geoinformation (2021): Klimaerwärmung im Strassenraum. https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/mitteilungen/2021/planen-bauen/geoinformation/klimaerwaermung-im-strassenraum.html [Zugriff am 6 .6. 2023]

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