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Fachartikel
05. Juni 2025

Netzmessungen in der Wasserversorgung

Der Weg zum kalibrierten Rechenmodell

Wie hoch ist die effektive Leistungsfähigkeit eines Wassernetzes? Diese Frage stellt sich z.B. bei der Rohrnetzberechnung im Rahmen Genereller Wasserversorgungsplanungen. Denn oft weisen Leitungen infolge Inkrustationen oder anderen Störungen eine vom theoretischen Soll-Zustand stark abweichende hydraulische Kapazität auf. Um praxisgerechte Rohrnetzberechnungen durchführen zu können, muss deshalb vorgängig das Rechenmodell mittels Netzmessungen kalibriertwerden.
Tobias Noseda 

Für die Dimensionierung von Leitungen und Anlagen (z. B. im Rahmen einer Generellen Wasserversorgungsplanung, GWP) sind Rohrnetzberechnungen erforderlich. Bei der Erstellung des Rechenmodells müssen diverse Annahmen getroffen werden. Dies betrifft neben unbekannten Durchmessern insbesondere die betriebliche Rauheit der einzelnen Leitungen. Diese sogenannten k-Werte berücksichtigen sämtliche Rohre, Rohrverbindungen, Formstücke und Armaturen, die den Druckverlust (bzw. Druckanstieg) beeinträchtigen. Insbesondere die durch Korrosionsprozesse verursachten Inkrustationen reduzieren die theoretische Leistungsfähigkeit der Leitungen massgeblich. Um praxisgerechte Rohrnetzberechnungen durchführen zu können, müssen die k-Werte daher mit Netzmessungen ermittelt werden [1, 2].

Figur 1 zeigt den Einfluss der betrieblichen Rauheit auf die Leistungsfähigkeit von Wasserleitungen auf. Es zeigt sich, dass eine Leitung NW 150 mit k = 3 mm eine um 27% reduzierte Leistungsfähigkeit (Durchsatz bei gleichbleibendem spezifischem Verlust, s. Fig. 2) gegenüber einer neuen Leitung (mit k = 0,4 mm) aufweist. Dieses Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit von Netzmessungen: Mit theoretischen Rohrnetzberechnungen werden die effektiven Verhältnisse oft nur ungenügend abgebildet.

RECHENMODELL – ERSTELLUNG

Mit Hilfe von Rohrnetzberechnungsprogrammen (wie z. B. Neplan, [4]) kann der Versorgungsbetrieb analysiert und optimiert werden. Dabei werden die relevanten Lastfälle (Wasserbeschaffung, Brandfälle, Störfälle etc.) virtuell simuliert. Die Erstellung der Rechenmodelle erfolgt heute in vielen Fällen automatisiert. Als Grundlagendaten dienen dabei primär der GIS-Datensatz, ein Höhenmodell (z. B. swissALTIRegio [5]) sowie Verbrauchsdaten der am Netz angeschlossenen Kunden. Die Verbrauchsdaten werden für die Erstellung der Verbrauchsverteilung (Verteilung im Netz) herangezogen. In den GIS-Daten sind praktisch alle für die Wasser-Rohrnetzberechnung relevanten Leitungsattribute enthalten (Durchmesser, Länge, Material, Baujahr, Druckzone, Status und Eigentum). Es fehlen jedoch in der Regel die Höhendaten und die k-Werte der einzelnen Leitungen. Während die Höhen (wie bereits erwähnt) mit einem Höhenmodell in genügender Genauigkeit bestimmt werden können, sind die betrieblichen Rauheiten der Leitungen meist unbekannt. Für die k-Werte werden daher meist materialspezifische Annahmen getroffen, z. B. für GG/GD-Leitungen: k = 0,4 mm, für PE/PVC-Leitungen: k = 0,1 (Richtwerte s. auch [6]). Das damit definierte theoretische Rechenmodell ist in einem zweiten Schritt mittels Netzmessungen auf die effektiven Verhältnisse zu kalibrieren.

NETZMESSUNGEN

In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze zur Planung und Ausführung von Netzmessungen beschrieben [1, 2, 7–11]. Das zweckmässige Vorgehen hängt insbesondere vom Versorgungsauftrag (reine Trinkwasserversorgung, kombinierte Trink- und Löschwasserversorgung oder Industrieversorgung) sowie von den vorhandenen Daten bzw. von der verfügbaren Messtechnik ab. Da die Schweizer Wasserversorgungen neben Trinkwasser auch Löschwasser für die Feuerwehr liefern, sind für die Kalibrierung von Rechenmodellen hohe Belastungen erforderlich. In der Regel wird durch gezielte Hydrantenbetätigung Wasser aus dem Netz entnommen, sodass die hierdurch resultierenden Druckabsenkungen mit Druckloggern aufgezeichnet werden können. Alternativ ist die Belastung auch durch eine Einspeisung (z. B. eines Grundwasserpumpwerks) zu bewerkstelligen. Meist können damit allerdings nicht genügend hohe Belastungen (Druckanstiege) in allen Netzteilen erzeugt werden. Nachfolgend wird daher davon ausgegangen, dass die Netzmessungen durch Hydrantenentnahmen ausgeführt werden.

Erforderliche Messtechnik

Für die Durchführung von Netzmessungen, wie sie das DVGW-Arbeitsblatt GW 303-1 [1] für die Kalibrierung von Rechenmodellen empfiehlt, ist eine umfangreiche Messtechnik erforderlich. In der Praxis beinhaltet ein Messbus (Fig. 3) meist folgende Geräte/Materialien:

  • Drucklogger (Druckmessgerät mit integriertem Datenlogger) in genĂĽgender Anzahl (etwa  60 StĂĽck fĂĽr Schweizer Netze)
  • MID-Datenlogger (magnetisch-induktiver Durchflussmesser, mit integriertem Datenlogger)
  • mA-/Impuls-Datenlogger
  • Druckvernichter
  • Hydraulikschläuche fĂĽr Anschluss der Drucklogger an Hydranten
  • Feuerwehrschläuche
  • Hydranten-/SchieberschlĂĽssel, Adapter etc.


Diese Messtechnik ermöglicht neben Netzmessungen auch diverse andere Anwendungen in der Wasserversorgung, z. B. Pumpen-, Sprinkler-, Hydranten- oder Druckschlagmessungen.

Messkonzept

Zur Vorbereitung der Netzmessung ist ein Messkonzept zu erstellen. Auch sollten die Anlagen (Reservoire, Pumpwerke etc.) vorgängig besichtigt werden. Zunächst ist kritisch zu hinterfragen – meist bereits in der Offertphase –, ob Messungen aus hydraulischer Sicht sinnvoll sind. Gegen Netzmessungen sprechen folgende Ausgangslagen: Das Netz ist sehr schwach dimensioniert (z. B. Reservoirleitung in NW 80); alle Leitungen sind aus Polyethylen. Bei stark unterdimensionierten Netzen führen Messungen meist nicht zu viel zusätzlichen Erkenntnissen, sodass bei solchen Versorgungen meist auf Netzmessungen verzichtet wird. Bei reinen PE-Netzen sind aufgrund fehlender Inkrustationen keine hohen k-Werte zu erwarten. Hier kann mit den theoretischen Annahmen (z. B. k = 0,1 mm) gerechnet werden.

Die Basis für das Messkonzept stellen das theoretische Rechenmodell sowie die Bilanzierung der Momentanverbrauchswerte dar. Mit diesen Grundlagen kann die Durchführung der Netzmessung geplant werden. Hierzu sind pro Druckzone die notwendigen Entnahmephasen sowie die Standorte der Drucklogger (und allfälliger weiterer Messgeräte) zu definieren. Ziel dabei ist, alle Gebiete der Druckzone in mindestens einer Messphase genügend zu belasten. Die Figur 4 zeigt das Messkonzept einer kleinen Druckzone.

Die Anzahl der notwendigen Messphasen ist stark von der räumlichen Ausdehnung der jeweiligen Druckzone abhängig. Mittels Rohrnetzberechnung wird abgeschätzt, wie viel Wasser (Volumenstrom) dem Netz über Hydranten entnommen werden muss, damit genügend hohe Druckverluste resultieren bzw. um aussagekräftige Messdaten zu erhalten. Hierbei müssen bei der Berechnung kritische Punkte im Netz (z. B. hochgelegene Gebiete) identifiziert werden, damit diese während der Messung überwacht werden können. Generell sind die Belastungen so zu wählen, dass in keinem Gebiet kritische Betriebszustände resultieren (z. B. Betriebsdrücke unter ca. 1,5 bar). Zu beachten ist dabei, dass das Messkonzept auf Basis des theoretischen Rechenmodells erstellt wird. Bei davon stark abweichenden effektiven Verhältnissen (z. B. aufgrund hoher k-Werte) kann das Netz während der Messung deutlich abweichend reagieren. Daher sind die im Messkonzept definierten Entnahmemengen nur als Richtwerte (z. B. für die Wahl der Anzahl Entnahmehydranten) zu verstehen. Während der Messung wird in der Regel bereits bei einem Bruchteil der berechneten Entnahmemenge das effektive Verhalten des Netzes überprüft. Davon abhängig entscheidet der Messingenieur/die Messingenieurin vor Ort, wie stark das Netz effektiv belastet werden kann.

Neben der Definition der Messphasen und der Entnahmemengen sind im Messkonzept Anzahl und Standorte der Drucklogger zu bestimmen. Die Grösse und räumliche Ausdehnung der Druckzone sind neben der Dichte der Messpunkte entscheidend für die Anzahl der notwendigen Messgeräte. Das DVGW-ArbeitsblattGW 303-1 [1] empfiehlt für Netzlängen (inkl. Anschlussleitungen) bis 100 km zwischen 20 und 30 Messpunkte. Dies ist gemäss der Erfahrung des Autors als niedriger Wert zu bezeichnen und gilt nur für grosse Druckzonen mit relativ homogener Materialbeschaffenheit. Für Schweizer Verhältnisse, mit im Vergleich zu Deutschland kleinen Druckzonen (aufgrund Topografie, kleinräumiger Versorgungsstrukturen), ist nach Ansicht des Autors etwa die doppelte Anzahl Drucklogger zielführend. Mit einer geringeren Messpunktdichte lassen sich die in der Praxis vorkommenden Abweichungen vom theoretischen Rechenmodell nicht in ausreichender Genauigkeit den einzelnen Leitungssträngen zuordnen. Generell ist die Positionierung der Messpunkte fallspezifisch und auf Basis von Erfahrungswerten des Messingenieurs/der Messingenieurin zu planen.

Neben den Betriebsdrücken müssen während den Messungen auch die Auslaufmengen aus den Reservoiren und Hydranten aufgezeichnet werden. Für ersteres kann in den meisten Versorgungen auf Fernsteuerungsdaten zurückgegriffen werden. Ist diese nicht möglich, können die Auslaufmengen beispielsweise über die Absenkung des Reservoirs ermittelt werden. Ist ein Zähler vorhanden, jedoch nicht in die Fernsteuerung integriert, kann unter Umständen die Auslaufmenge über ein Impuls- oder ein mA-Signal des Zählers aufgezeichnet werden. Die Entnahmemenge bei den Hydranten wird meist über mobile MID-Zähler mit eingebautem Datenlogger gemessen und registriert. Unter Umständen muss auch das Verbrauchsverhalten von Grossbezügern während den Messungen überwacht und bei der Auswertung berücksichtigt werden.

Ein weiterer wichtiger Teil des Messkonzepts stellt die Definition des Systemzustands während den einzelnen Messphasen dar:

  • Pumpenschaltungen/Abgaben und BezĂĽge im Freigefälle (in der Regel auf «Aus»)
  • Reservoirausgleichssteuerung (in der Regel in «Mittelstellung»)
  • Löschklappen (in der Regel offen)
  • allenfalls Schieberstellungen von Transporleitungen (zur temporären Schwächung des Netzes)
  • Quellzufluss in Reservoir (in Verwurf, falls die Auslaufmenge ĂĽber die Reservoirabsenkung ermittelt werden muss)
  • etc.

Auf Basis des Messkonzepts können die notwendigen Messgeräte vorgängig programmiert und deren Akkus geladen werden. Für Netzmessungen sind Abtastraten im Sekundenbereich ausreichend. Es hat sich bewährt, die Druckverhältnisse über den ganzen Messtag aufzuzeichnen, da damit (neben den eigentlichen Messphasen) weitere Informationen zum Versorgungsbetrieb erhoben werden können (z. B. Druckschläge bei Pumpenabschaltungen oder der Einfluss von Grosskunden auf die Druckverhältnisse). Ebenfalls sollte der Messingenieur bzw. die Messingenieurin sich Gedanken zum Messablauf machen (Reihenfolge der Messphasen, Bilden von Messgeräte-Montageteams etc.). Das Messkonzept wird üblicherweise auf einem Messplan (Basis Übersichtsplan, z. B. 1:5000) grafisch dargestellt. Dieser Plan dient dem Messteam auch zur Navigation zu den einzelnen Hydranten/Anlagen.

DurchfĂĽhrung der Netzmessung

Die Ausführung von Netzmessungen erfolgt in der Regel in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Brunnenmeister und verläuft meist in folgenden Teilschritten:

  • Sicherstellung der VerfĂĽgbarkeit der Einspeisemengen (Fernsteuerungsdaten oder lokale Messung im Bauwerk)
  • Drucklogger-Installation – meist fĂĽr gesamtes Netz (Fig. 5)
  • pro Druckzone:
  • Installation der Entnahmestellen: Feuerwehrschläuche, MID-Logger, Druckvernichter (Fig. 6)
  • Einrichten des gewĂĽnschten Systemzustandes
  • Ăśberwachen von kritischen Punkten im Netz
  • Aufzeichnen des Normalbetriebs vor der Entnahmephase (ca. 5 Minuten)
  • Entnahmephase (Messdauer: meist mind. 5 Min.)
  • Kontrolle der statischen DrĂĽcke (Ausschliessen von Lufteintrag)
  • Herstellen des normalen Systemzustands (Pumpen auf «Automatisch» etc.)
  • Demontage aller Messtechnik
  • Auslesen der Messgeräte im BĂĽro

 

Bei der Installation der Drucklogger an den Hydranten ist auf vollständige Entlüftung des Hydraulikschlauchs zu achten. Bei der Inspektion der vorgesehenen Entnahmestellen muss vor Ort beurteilt werden, ob die Entnahmemenge (idealerweise in Kanalisation) abgeleitet werden kann, ohne dass Schäden (z. B. Überflutung von Garagen) entstehen. Zudem ist auf eine ausreichende Signalisation und Sicherung der Entnahmestellen zuachten.

Während den Entnahmephasen ist das effektive Verhalten des Netzes zu beobachten und bei Bedarf die geplante Entnahmemenge entsprechen anzupassen. Weiter muss beobachtet werden, ob die Betriebsdrücke im Netz (während konstanter Entnahme) stabil bleiben. Sinkende Drücke bei konstanter Entnahme deuten auf Lufteintrag hin, was es zu vermeiden gilt. Tritt dies trotzdem ein, kann die Messphase nicht für die Auswertung genutzt werden. Durch geeignete Massnahmen ist in einem solchen Fall die Luft wieder aus dem System zu befördern, bevor die Messung (mit reduzierter Menge) erneut gestartet werden kann. Ansteigende Drücke bei (praktisch) gleichbleibender Entnahmemenge deuten auf eine ungewollte Einspeisung ins System hin (Verletzung des gewünschten Systemzustands). Sinkt die Entnahmemenge trotz gleichbleibender Hydrantenöffnung ab, kann die Ursache eine verstopfte Entnahmeinstallation sein (z. B. durch gelöste Inkrustationen in Fangnetz von mobilem Zähler). Selbstverständlich ist bei den Entnahmen auf fachgerechte Bedienung der Hydranten zu achten, um Druckstösse zu vermeiden. Generell sind Netzmessungen nur durch erfahrene Messingenieure/Messingenieurinnen zu leiten, um einerseits Schäden an der Wasserversorgung zu vermeiden und andererseits auswertbare Messdaten zu erhalten (genügend Druckverlust sowie stabile Druckverhältnisse).

In der Praxis sollten an den kritischen Punkten Betriebsdrücke unter ca. 1,5 bar vermieden werden. Bei städtischen Verhältnissen kann es notwendig sein, dass das Netz für eine genügende Belastung der einzelnen Quartiere gezielt durch temporäres Schliessen von grosskalibrigen Transportleitungen geschwächt werden muss. Bei Druckzonen mit mehreren Reservoiren ist zudem teilweise ein temporäres Abschiebern von Behältern zielführend. Bei via Druckreduzierventil versorgten Druckzonen muss der Ausgangsdruck der Armatur überwacht werden.

Bei Verwendung von Fernsteuerungsdaten für die Bilanzierung der Einspeisemengen sind nach Abschluss der Messung die Daten in möglichst feiner zeitlicher Auflösung zu beziehen. Auch die Daten der mobilen Messgeräte sind auszulesen und den jeweiligen Messorten zuzuordnen. Hierzu sind während der Messung entsprechende Notizen (z. B. auf dem Messplan) zu erstellen.

KALIBRIERUNG DES RECHENMODELLS

Für die Kalibrierung des Rechenmodells müssen zunächst die Messdaten ausgewertet werden. In einem zweiten Schritt sind die gemessenen Druckverhältnisse mit denjenigen der (theoretischen) Rohrnetzberechnung zu vergleichen. Durch diverse Anpassungen am Rechenmodell ist darauf aufbauend eine Konvergenz zwischen Messdaten und Berechnungsergebnissen herzuführen.

Die Figur 7 definiert nachfolgend verwendete Fachbegriffe der Rohrnetzberechnung/Messauswertung.

Messauswertung

Der erste Schritt zur Messauswertung ist die grafische Darstellung der Daten. In Figur 8 sind die gemessenen BetriebsdrĂĽcke als ausgezogene Linien dargestellt (linke Skala, in [m WS]). Die aufgezeichnete Entnahmemenge ist rot gestrichelt ersichtlich (rechte Skala, in [l/s]).

In der Beispielmessung wurde bis um 14:09 h mit einem Stufenpumpwerk in die Zone eingespiesen, sodass überstatische Drücke resultierten. Das Abschalten der Pumpe um 14:09 h verursachte einen deutlich erkennbaren Druckschlag. Die Entnahme aus dem Hydranten begann um 14:19 Uhr. Bis 14:25 h wurde mit im Vergleich zum Messkonzept reduzierter Menge (ca. 42 l/s) das Verhalten des Netzes getestet. Als feststand, dass das Netz eine höhere Belastung verkraftet, wurde daraufhin um 14:26 h die Entnahmemenge auf 60 l/s erhöht. Für die Messauswertung wurden zwei Messphasen definiert:

  • 14:11–14:17 h: Normalverbrauch
  • 14:26–14:32 h: Entnahmephase


In Tabelle 1 ist der Wasserhaushalt während diesen beiden Messphasen aufgelistet. Der Zonenverbrauch (Normalverbrauch) betrug rund 6 l/s.

Tab. 1 Wasserhaushalt während Netzmessung
Wasserhaushalt

NV1 E1
14:11–14:17 14:26–14:32
[l/s] [l/s]
Reservoir 6 67
Entnahmehydrant 0 60
Normalverbrauch 6 6

Tabelle 2 zeigt für ausgewählte Messpunkte (s. Messkonzept, Fig. 4) die Messauswertung. Die Auswertung erfolgt durch Vergleich der Druckverluste, nicht der Betriebsdrücke. Diese Methode eignet sich für Netzen, die bei Normalverbrauch (ohne zusätzliche Hydrantenentnahme) praktisch statische Drücke aufweisen, was in Schweizer Versorgungen meist der Fall ist. Bei für den Löschschutz deutlich unterdimensionierten Druckzonen (z. B. Reservoirleitung ≤ NW 100) muss die Messauswertung auf Basis der absoluten Druckhöhen erfolgen, was eine präzise Kenntnis der Messstellenhöhe und des jeweiligen Reservoirstands erforderlich macht.

Tab. 2 Messauswertung Druckmesspunkte
Messauswertung


BetriebsdrĂĽcke Druckverluste
NV1 E1 dp E1 gemessen dp E1 theor. delta dp E1
14:11–14:17 14:26–14:32 14:26–14:32
[m WS] [m WS] [m WS] [m WS] [m WS]
MP 01 53 48 6 2 4
MP 01 69 59 10 9 1
MP 11 74 53 20 29 -9

Aus den gemessenen Betriebsdrücken wird der Druckverlust (dp) berechnet. Dieser wiederum wird mit dem (theoretisch) berechneten Druckverlust verglichen. Es zeigt sich, dass bis zum Messpunkt MP 01 (s. Fig. 4) ein höherer Druckverlust gemessen wurde als berechnet (positives «delta dp»). Bis zum Messpunkt MP 05 in der Mitte des Netzes stimmt der Druckverlust praktisch mit der Theorie überein. Dies bedeutet, dass zwischen den Messpunkten MP 01 und MP 05 die Leistungsfähigkeit des Netzes höher ist als angenommen. Bis ans Ende des Netzes (MP 11, nahe Entnahmestelle) summiert sich die Differenz zwischen Messdaten und theoretischer Rohnetzberechnung auf rund –9 m WS (–0,9 bar). Hier zeigt sich eine Umkehr der Differenzen: Das Netz ist zwischen den Messpunkten MP 05 und MP 11 leistungsfähiger als dies das theoretische Rechenmodell annimmt.

Die Abweichungen zwischen den Messdaten und der theoretischer Rohrnetzberechnung werden idealerweise räumlich abgebildet (Fig. 9). Die gemessenen (rot) und berechneten Drücke (magenta) werden dabei als absolute Betriebsdrücke (in [m ü. M.], s. Fig. 7) dargestellt. Der Druckhorizont ist jeweils als grüner Punkt erkennbar. Die Abweichungen «delta dp» zwischen den Messdaten und der theoretischen Rohrnetzberechnung sind als orange Linien ersichtlich. Zur besseren Visualisierung sind die Druckhöhen dabei skaliert und mit einem Versatz dargestellt. Diese räumliche Illustration der Messauwertung hilft entscheidend die notwendigen Anpassungen am Rechenmodell zu dessen Kalibrierung vorzunehmen.

Anpassungen am Rechenmodell

Die festgestellten Abweichungen können unterschiedlichen Gründe haben. Anspruchsvoll wird die Kalibrierung dann, wenn eine Kombination von Ursachen vorliegt (z. B. erhöhte k-Werte und teilgeschlossener Schieber). Oft müssen auch mehrere möglich Fehlerkombinationen auf Plausibilität überprüft werden (z. B. mit Hilfe der Leitungsmaterialien, Jahrgänge). Zu den Fehlerquellen gehören:

  • erhöhte Rauheitswerte (infolge Inkrustation)
  • niedrige Rauheitswerte (z. B. infolge langer Transportleitungen ohne Verzweigungen etc.)
  • (teil-)geschlossene Schieber
  • lokale Verluste (z. B. durch eine unterdimensionierte Reservoirinstallation)
  • falsche Durchmesserangaben im GIS-Datensatz
  • inkorrekt angenommene Druckzonengrenzen
  • unbekannte Einspeisungen (beispielsweise Zonenschieber nicht dicht)
  • Einfluss von (nicht ĂĽberwachtem) Grossverbraucher
  • fehlerhafte MID in Reservoiren
  • Lufteintrag während Messung
  • etc.


In der Literatur werden unterschiedliche Methoden zur Kalibrierung von Rechenmodellen erwähnt [7–11]. Einige Softwaretitel verfügen hierfür über (teil-)automatisierte Werkzeuge (z. B. [12]), deren Annahmen und Algorithmen jedoch fallbezogen kritisch hinterfragt werden müssen. Die Erfahrung des Autors zeigt, dass für eine erfolgreiche Kalibrierung neben der Erfahrung des Ingenieurs/der Ingenieurin eine ausreichende Messstellendichte sowie aussagekräftige Messdaten entscheidend sind. Für die Festlegung der am Rechenmodell notwendigen Anpassungen hat sich in der Praxis die räumliche Darstellung der Messauswertung bewährt. Lässt sich eine Störung im Netz aufgrund der Messdaten und der im Nachgang zur Messung durchgeführten Massnahmen (z. B. Schieberkontrollen, Recherche Durchmesser etc.) nicht exakt genug lokalisieren, sind Nachmessungen im betroffenen Gebiet mit erhöhter lokaler Messstellendichte in Betracht zu ziehen.

In Figur 10 sind die zur Kalibrierung häufig notwendigen Anpassungen am Rechenmodell exemplarisch dargestellt.

Dokumentation der Netzmessung

Die Netzmessungen sind in einem technischen Bericht (oder als Teil einer GWP) zu dokumentieren. Wichtig ist dabei, dass die Erkenntnisse (k-Werte, falsche Durchmesser etc.) in die GIS-Datenbank der Versorgung eingepflegt werden.

NUTZEN VON NETZMESSUNGEN

Mit flächendeckenden Netzmessungen kann sichergestellt werden, dass die Dimensionierung von Leitungen und Anlagen mit der hierfür notwendigen Genauigkeit vollzogen werden kann. Im Umkehrschluss führen rein theoretische Rohrnetzberechnungen oft zu unschönen Erfahrungen bei der Umsetzung von Ausbau- und Erneuerungsmassnahmen, die sich nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich negativ auswirken. Beispielsweise kann bei der Inbetriebnahme einer Pumpe die effektive Fördermenge deutlich vom Soll-Wert abweichen. Neben der daraus resultierenden Fehlmenge bei der Wasserbeschaffung fördert eine falsch ausgelegte Pumpe auch nicht am Bestpunkt der Wirkungsgradkennlinie, was zu entsprechend höheren Stromkosten führt. Weiter ist bei Verwendung von kalibrierten Rechenmodellen sichergestellt, dass der ausgewiesene Löschschutz in Brandfällen der Feuerwehr auch effektiv zur Verfügung steht. Insgesamt dienen Netzmessungen somit der Qualität der Rohrnetzberechnung und der darauf aufbauenden Planungen.

 

Bibliographie

[1] DVGW (2006): Arbeitsblatt GW 303-1, Berechnung von Gas- und Wasserrohrnetzen – Teil 1: Hydraulische Grundlagen, Netzmodellierung und Berechnung

[2] American Water Works Association (2005): AWWA Manual M32, Computer Modeling of Water Distribution Systems

[3] Roscher, H. et al. (2000): Sanierung Städtischer Wasserversorgungsnetze, Verlag Bauwesen, Berlin

[4] Neplan: Rohrnetzberechnungssoftware der PSI Neplan AG, KĂĽssnacht

[5] swissALTIRegio: Digitales Höhenmodell der Swisstopo, Wabern

[6] SVGW (2022): Richtlinie fĂĽr Wasserverteilung W4

[7] Zhao, Q. et al. (2022): Simpler Is Better – Calibration of Piep Roughness in Water Distribution Systems. Water Journal, MDPI, Basel

[8] Klingel, P. (2018): Modellierung von Wasserverteilungssystemen. Springer Vieweg, Karlsruhe

[9] Walski, T. (2017): Procedure for Hydraulic Model Calibration. Journal AWWA (American Water Works Association), Denver

[10] Tomic, S. et al. (2013): Committee Report: Defining model calibration. Journal AWWA (American Water Works Association), Denver

[11] Grayman, W. M. et al. (2006): Calibrating Distribution System Models with Fire-Flow Tests. Opflow (American Water Works Association),Denver

[12] «Darwin Calibrator» innerhalb der Rohrnetzberechnungssoftware WaterGEMS, Bentley, Exton, USA

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