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03. April 2020

COVID-19

Abwasser als Corona-Frühwarnindikator?

Von infizierten Menschen ausgeschiedene Coronaviren finden sich im Abwasser. Forschende wollen das nutzen: Gelingt es, die Viren zu erfassen, könnte so eine Welle von Infektionen vermutlich deutlich früher erkannt werden als via Tests bei Menschen mit Symptomen. Eawag-Forscher Christoph Ort dazu im Interview.

Eawag-Forscher Christoph Ort erklärt im Interview, was es mit dem Abwasser als Corona-Frühwarnindikator auf sich hat. Das Eawag-Interview basiert auf einem Beitrag im "Echo der Zeit" vom 31. März 2020.

Sie haben vor Wochen bereits im Tessin Abwasserproben entnommen, warum?

Christoph Ort (Umweltingenieurwissenschaftler): Wir haben langjährige Erfahrung mit dem Messen illegaler Drogen im Abwasser, denn das Abwasser lügt nicht und spiegelt innert weniger Stunden was die Bevölkerung ausscheidet. So haben wir Epidemiologen und Fachleute aus der Drogenprävention mit neuen Zahlen unterstützen können. Jetzt gibt es erste Hinweise von Holländischen Kollegen*, dass man auch das Virus SARS-CoV-2, das die Krankheit COVID-19 auslöst im Abwasser findet. Wir sind zuversichtlich, dass man diese nicht nur feststellen, sondern auch quantifizieren – also gewissermassen zählen – kann. Im Idealfall lässt sich daraus eine Anzahl erkrankter Menschen abschätzen. Nach heutigem Wissensstand sollten wir in der Lage sein, wenige Erkrankte unter 100'000 Gesunden erfassen zu können.

Was haben Sie in den Tessiner Proben entdeckt?

Leider noch nichts, weil auch wir home office machen mussten. Wir sind ein sehr interdisziplinäres Team und wir hoffen, dass wir und unsere Projektpartner von der EPF Lausanne in den nächsten Tagen mit einer Sonderbewilligung wieder in unsere Labors gehen können, um die Messmethode zu optimieren und die ersten Proben zu messen.

Wo haben Sie in der Zwischenzeit weitere Proben entnommen?

Mittlerweile haben wir Proben von 12 Kläranlagen. Das sind neben den neun grössten Tessiner Kläranlagen auch Zürich, Lausanne und Kloten/Opfikon. In unseren Gefrierräumen lagern jetzt über 300 Proben!

Sie und ihr Team beginnen jetzt, rund 200 Liter Abwasser zu untersuchen. Wie gehen sie dabei vor?

Wir planen, die aktuellsten Proben zuerst zu messen und arbeiten uns dann zurück, um rückblickend die Ausbreitung des SARS-CoV-2 abbilden zu können.

Haben Sie keine Angst, selbst angesteckt zu werden?

Wir müssen uns auch ohne Coronavirus schützen im Umgang mit Abwasser. Nach heutigen Wissenstand ist der Coronavirus weniger lang überlebensfähig im Abwasser als andere Viren, aber meine Kollegen können auch den inaktiven Virus im Abwasser nachweisen.

Was ist das langfristige Ziel?

Wir hoffen, dass wir das Auftreten und die Ausbreitung räumlich und zeitlich deutlich früher, d.h. ein bis zwei Wochen früher erfassen können, als mit Einzeltests an infizierten Menschen, die Symptome zeigen und ins Spital gehen. So könnten die Behörden rascher reagieren.

Wird unser Abwasser also zu einer Art «Covid19-Frühwarnsystem»?

Wir müssen dazu ein Netz aufbauen mit strategisch ausgewählten Kläranlagen. Wenn wir dann den roten Knopf drücken, schicken diese Proben in die Labors, wo sie rasch untersucht werden können. Als Beispiel in Anlehnung an die Zahl 19 vom Covid-19: Mit Proben von 19 grossen Kläranlagen, geografisch gut über die Schweiz verteilt, könnten wir das Abwasser von rund 2.5 Millionen Leuten analysieren.

Noch Wunschdenken ist, dass wir das Virus sogar «live» im Abwasser messen können, so wie die Wassertemperatur. Für Medikamentenrückstände und viele andere organische Mikroverunreinigungen können wir das heute schon mit dem Prototypen MS2field, den wir im vergangenen Jahr gebaut haben.

 

 

Was brauchen die Eawag und ihre Forschungspartner, dass dieses Ziel erreicht werden kann?

Der Vollzug von Gewässer- und Abwasseruntersuchungen ist eine Aufgabe der Kantone. Aber der Bund hilft stark mit, dass alle Betroffenen – also Kläranlagen, Gemeinden, Kantone, Privatwirtschaft und die Forschung – am gleichen Strick ziehen und die gleichen Ziele haben. Wir möchten dazu beitragen, dass es eine einheitliche Methode gibt, um das neue Corona-Virus im Abwasser nachzuweisen und wir stellen diese Ergebnisse dann allen interessierten zur Verfügung.

Es wäre schön, wenn wir weiterhin unkompliziert an Kläranlagen und deren Proben und Daten kommen. Das beruht bis anhin auf persönlichen Kontakten und viel Goodwill auf Seiten der Kläranlagenbetreiber und kann sehr zeitaufwändig sein. Des Weiteren wäre es hilfreich, wenn wir im Austausch mit dem BAG Zugang zu offiziellen, georeferenzierten Fallzahlen hätten, um unsere Resultate abgleichen zu können.

Für das Projekt selbst haben wir im Rahmen der Corona-Sonderausschreibung beim Schweizerischen Nationalfonds Geld beantragt. Das Gesuch wird zurzeit geprüft. Mit Unterstützung der EPFL und der Eawag haben wir aber erste Arbeiten mit beträchtlichem Aufwand schon durchgeführt – vor allem mit den Probenahmen konnten wir nicht warten. Das musste jetzt passieren.

 

 

Keine Hinweise auf Corona im Trinkwasser

Während Forscherinnen und Forscher das neue Coronavirus im Abwasser finden, gibt es nach aktuellem Wissensstand keine Hinweise, dass der Erreger sich über Wasser verbreitet. Schweizer Trinkwasser ist hygienisch von hervorragender Qualität und eignet sich auch während einer Pandemie zum Trinken. Mehr Information dazu bei
Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfachs
Deutsches Umweltbundesamt; Stellungnahme «Trinkwasser und Coronavirus SARS-CoV-2»
Wasserforschungsinstitut mKWR (Nieuwegein, Niederlande).

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Kommentare (1)

Edith Breitler am 17.04 2020 um 10:53

Kläranlage und Corona

Die logische Schlussfolgerung wäre ein möglicher Urintest bei allen Menschen oder nicht.
Oskar Sigel am 20.04 2020 um 18:51

Corona im Abwasser

Und falls sich Corona im Stuhlgang tummeln?

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